Heute habe ich mir den X-Account des Noch-Wirtschaftsministers etwas genauer angeschaut und mich mit Erstaunen und mit aufsteigender Abscheu auch durch diese ganzen Mittäter- und Stockholm-Syndrom-Lautäußerungen seiner Follower geklickt.
Was für eine Stimmung ist dabei entstanden? Ich kann es am ehesten als eine wachsende Bedrückung beschreiben. Und ich glaube jetzt, wir schulden den Jüngeren wirklich eine Erklärung, wie so jemand wie Robert Habeck geschehen konnte und wer es zu verantworten hat.
Ich bin ein Zeitgenosse von Robert Habeck. Ich bin sogar in etwa gleich alt, der grüne Minister ist nur unwesentlich jünger als ich. Das heißt, dass wir vergleichbaren äußeren Einflüssen ausgesetzt waren, dieselbe Musik angeboten bekamen und grundsätzlich ein ähnliches Lebensgefühl hätten entwickeln können.
Ich war in den letzten Jahren sogar öfter mal in der angestammten Heimat von Habeck im schleswig-holsteinischen Flensburg unterwegs. Und ich kann nur jedem, der verstehen will, warum der grüne Promi so tickt, wie er tickt, einen Besuch empfehlen: Flensburg ist eine Konserve der 1980er Jahre.
Wer aus dieser Generation nie erwachsen werden wollte – und es waren viele –, der musste nur nach Flensburg ziehen oder einfach niemals von dort weggehen. In Flensburg gibt es sogar noch den Schallplattenladen von 1985, als hätte es niemals eine technische Tonträger-Entwicklung gegeben. Hier wird schon seit Jahrzehnten jede freie Wandfläche mit Plakaten für alternative Musikabende beklebt. Es gibt also auch diese Abende noch, die anderswo allenfalls noch aus Nostalgiegründen neuaufgelegt werden.
Wer diese Flensburger Plakatflächen einmal häutet, der kann sich mit etwas Glück zurückarbeiten bis hin zu den Toten Hosen live in Flensburg 1985, damals, als Campino – das Alter Ego von Habeck – sich noch als Punk inszenierte. Viel später schrieb mal ein linker Journalist, Campino sei „Der Robert Habeck des Klassenfahrtgelages“. Aber da wussten viele schon gar nicht mehr, wer Campino überhaupt ist und dass der Name des alten Mannes etwas mit klebrigen Bonbons zu tun hat.
Wer in dieser Zeit aufgewachsen ist, der kann sich gut, aber ungern an diese Habeck-Typen erinnern. An die Frühpolitisierten, die das Glück der Anderen immer so schwer ertragen konnten, weil sie immer diesen zentnerschweren Sack an Problemen aus der ganzen Welt mit sich herumgetragen haben.
Diese Jungen und Mädchen, die nicht dazu berufen waren, am Lagerfeuer enger zusammenrückten und die sich nach einer Flasche Wein im Zelt auf der Luftmatratze im Interrail-Urlaub unter der griechischen Sonne das erste Mal explosiv ineinander verkeilten und dachten, die Welt bliebe für immer stehen.
Nein, die habeckschen Explosionen passierten wenn überhaupt, dann immer erst, nachdem man sich bis zur Erschöpfung den Weltuntergang, den Atomtod, die Auswirkungen von Tschernobyl und die Verheerungen eines unmittelbar bevorstehenden dritten Weltkrieges – Stichwort: Nato-Doppelbeschluss – bis ins Detail ausgemalt hatte.
Das erste enge Beisammensein war dann jenes kurz vor dem Ende der Welt, das Lebensgefühl unter dem Halleyschen Kometen, als die Astromomen 1903 meinten zu erkennen, dass 1910 die Welt untergeht und die Untergangsgläubigen Kopf standen und begannen, alles, was von Dauer ist, von nun an grundsätzlich in Frage zu stellen.
Und was viele ebenfalls schon vergessen haben: Als die Generation Habeck gerade entdeckt hatte, was unter den Röcken steckt, wurde die jugendliche Neugier auf das andere Geschlecht je in einer Panik erstickt, die man heute rückblickend durchaus als Vorbote des Corona-Regimes lesen kann, als Blaupause. Vier schreckliche Buchstaben: AIDS, der Untergang der Menschheit, angelegt im Zeugungsakt.
Kaum ein Jugendlicher oder junger Erwachsender, der – selbst wenn er vollkommen kirchenfern aufgewuchs – kein Stoßgebet zum Himmel schickte mit der Bitte, ihn doch von dieser tödlichen Krankheit zu verschonen. Jeder Kuss und jede ungestüme Verliebtheit wurde noch rückblickend auf ihr Ansteckungspotenzial hin abgeklopft, jeder Hausausschlag wurde zum düsteren Vorboten eines AIDS-Karzinoms:
„At night I could hear the blood in my veins, just as black and whispering as the rain“, wie es Springsteen in “Philadelphia” sang und damit den Takt der Schwermut dieser Tage vorgab.
Diese Habecks haben das unbeschwerte Glück der anderen immer besonders schwer ertragen und so sehr geneidet, dass sie sich instinktiv diese mitfühlenden Knittermiene antrainiert haben, damit man ihnen den Neid nicht so offensichtlich ansieht.
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Die Sorglosen, die einfach nur leben wollten, wurde verachtet. Das waren Nihilisten, Egoisten und damit natürlich die Schuldigen, die Ignoranten gegenüber der Tatsache, dass der Untergang der Menschheit oder gleich der ganzen Welt unmittelbar bevorstand.
Wenn ich heute Robert Habeck und andere Alt-Grüne sehe, dann liegt alles ganz offen vor mir. Ich war altersgleich und dabei, als sich diese tiefschürfende Bitternis in ein apokalyptisches Lebensgefühl umformte.
Und weil das für die Habecks dieser Generation alles so schwer zu ertragen war, wurden von diesen durch die Welt schlurfenden Späthippies auch Unmengen an damals noch illegalen Joints geraucht und andere Drogenexperimente gemacht. Wirklich jeder kannte damals einen, der sich den täglichen Trip zum Lebensmittelpunkt gemacht hatte und schleichend daran kaputt gegangen ist.
Wirklich niemand dachte damals, diese Leute seien etwa weltoffen, besonders frei oder zukunftsfest und dem Morgen zugewandt. Das waren immer schon ängstliche Bitterlinge, die sich tief in ihren Flensburger Altbauten eingegraben haben, die am liebsten um alles eine Mauer gezogen hätten, die kurz gesagt ihre gesamte Umwelt als etwas überaus Bedrohliches empfunden haben.
Aber es kam oft noch schlimmer: Ich bin kein Psychologe, um es aus der Fachperspektive erklären zu können. Aber diese jungen Männer versanken immer noch tiefer in ihrer Angst, sie waren viel radikaler und ängstlich als die jungen Frauen. Die fanden das zwar eine Weile attraktiv – der Soundtrack dieser Leidensphase wurde von „The Smith“ oder „Joy Division“ geschrieben – aber dann war es vorbei und es kam zur Befreiung von diesen Griesgramen, die sich zwischenzeitlich diesen unansehnlichen Zottelbart mit Freiflächen hatten stehen lassen und damit nur noch unattraktiver aussahen und die dann schon mit 27 alte weiße Männer mit grundschlechter Laune geworden waren.
Das alles muss man erinnern, wenn man genauer verstehen will, in welcher Welt diese Habecks bis heute gefangen sind in ihrer ollen Flensburg-Konserve.
Das muss man einen Moment lang wiederaufleben lassen, um zu begreifen, warum wir schon viel zu lange von dieser destruktiven politischen Ideologie umgeben sind, die diesem neuen Deutschland in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren ein Lebensgefühl implantiert hat, das man vielleicht wie folgt beschrieben könnte:
Man rettet sich von Tag zu Tag. Einer der seltenen guten Tage ist einer ohne neue Hiobsbotschaften. Man bleibt unter dem Radar, bloß nicht auffallen, nicht zu weit nach vorn greifen, keine großen Pläne mehr für die Zukunft machen. Ach, es ist ja sowieso alles dem Untergang geweiht.
Der Mensch ist ein Ungeheuer an der Natur und am Mitgeschöpf, alle Männer sind Vergewaltiger. Woanders ist es genauso scheiße wie in Flensburg. Eigentlich ist überall dieses grauenvolle Flensburg. Aber wenigstens ist in Flensburg noch alles so beruhigend perspektivlos wie schon vor fünfzig Jahren: Die gute alte Flensburger Kontinuität eines Robert Habeck.
Aber jetzt hat es wenigstens jeder im Land kapiert und diese widerlichen Optimisten sind endlich komplett durchgeimpft. Und wenn nicht von Biontech, dann von dieser ansteckenden Angst. Die Angst ist die größte Seuche. Die Angst ist das AIDS der Neuzeit.
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Author:
Alexander Wallasch