• 8. Oktober 2025

„Laufende Monolithen“: Wie die Moai-Figuren auf der Osterinsel (Rapa Nui) an ihre Standorte gekommen sein sollen

Würden wir nicht im digitalen Zeitalter leben, könnte man sagen, dass der Text von Carl P. Lipo und Terry L. Hunt im Journal of Archaeological Science noch druckfrisch ist. Die beiden Autoren haben in ihrem vor vier Tagen erschienen Text die Ergebnisse berichtet, die ihre Überprüfung der „walking moai hypothesis“, d.h. die Hypothese von den „laufenden Moai-Figuren“, erzielt hat. Diese Hypothese wurde bereits vor mehr als zehn Jahren von den Autoren selbst und Anderen (Callaway 2012; Lipo et al. 2013) vorgeschlagen, aber überprüft worden war sie bislang nicht.

By Phil Whitehouse from London, United Kingdom – Easter Island, CC BY 2.0, Link

Die Hypothese soll die Antwort auf die Frage geben, wie die Bewohner der Osterinsel es bewerkstelligt haben, ihre berühmen Moai-Figuren, die mehrere Tonnen wiegen, vom Steinbruch aus an ihre jeweiligen Standorte zu transportieren – in Abwesenheit moderner Techniken, denn das Alter der Moai-Figuren wird auf die Zeit von 1000 bis 1600 n.Chr. geschätzt.

Und die Hypothese besagt, dass die monolithischen Figuren nicht in liegender Position, wie das gewöhnlich für den Transport von Monolithen mit Hilfe irgendwelcher Holzkonstruktionen – nicht nur mit Bezug auf die Moai-Figuren der Osterinsel – , angenommen wird, transportiert wurden, sondern die Monolithen vielmehr aufrecht stehend mit Hilfe von Seilen in Zick-Zack-Bewegungen zum Zielort gezogen wurden, in einer Bewegung, die etwa so ist wie diejenige, in der wir ein schweres Möbelstück oder eine schwere Kiste bewegen würden. Diese Zick-Zack-Bewegung muss von weiter weg besehen den optischen Eindruck vermittelt haben, dass sich die Figuren langsam, Schritt für Schritt, voranbewegten – daher die Rede von den „laufenden“ Monolithen.

Quelle. Reddit

Tatsächlich wurde in der Folklore der Osterinseln (und anderswo!) berichtet, dass die riesigen Steine zu ihren Standorten gelaufen seien. Diese Technik würde einen relativ glatten und hinreichend breiten Untergrund voraussetzen, so dass die Autoren spekulierten, dass die Monolithen auf einer Art speziell für diesen Zweck angelegten „Straßen“ – von viereinhalb Metern Breite und mit konkaven Querschnitten – bewegt wurden und die Moai-Figuren auf eine Art und Weise gestaltet wurden, die eine Zick-Zack-Bewegung der Figuren, wenn sie mit Seilen auf diesen „Straßen“ entlanggezogen würden, erleichtern würde.

Auf der Basis der systematischen Analyse von 962 Moai-Figuren, kombiniert mit 3D-Modellierungen, konnten die Autoren zeigen, dass die Figuren tatsächlich einige solche Merkmale aufweisen, nämlich eine gewisse Breite der Basis, D-Förmigkeit der Basis und eine leichte Nach-vorne-Neigung der Monolithen. Es folgten Experimente mit einer 4,35 Tonnen schweren und präzise nach den realen Vorbildern skalierten Nachbildung. Das Ergebnis fassen Lipo und Hunt wie folgt zusammen:

„Unsere Experimente ergaben, dass das nach vorne geneigte Design einen effizienten Transport ermöglichte und mit einem Team von 18 Personen 100 m in 40 Minuten zurücklegte – eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren vertikalen Transportversuchen, bei denen falsch proportionierte Ahu-Moai-Formen verwendet wurden“.

Im Original:

„Our experiments revealed that the forward-leaning design enabled efficient transport, covering 100 m in 40 min with a team of 18 people – a significant improvement over earlier vertical transport attempts that used incorrectly proportioned ahu moai forms“.

Die graphische Zusammenfassung der Autoren mit Bezug auf die Hypothese von den „laufenden“ Moai-Figuren bzw. ihrer Überprüfung der Hypothese sieht so aus:

Quelle: Lipo & Hunt 2025; https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0305440325002328?via%3Dihub

Die Bewegung von Monolithen auf diese Weise ist also möglich, und zwar ohne die Muskelkraft von hundert oder gar Hunderten von Männern zu erfordern. Aber der Transport geht doch sehr langsam voran; 100 Meter im Verlauf von 40 Minuten zurückzulegen bedeutet, dass die Reise eine einigermaßen lange Reise sein kann, je nachdem, wie weit entfernt vom Steinbruch ein Monolith aufgestellt werden soll.

Die Autoren spekulieren nicht darüber, ob oder inwieweit ihre Ergebnisse über die Moai-Figuren der Osterinsel hinaus verallgemeinerbar sein können. Aber natürlich drängt sich die Frage jedem auf, der in einem Land lebt, in dem bis heute Zeugnisse vergangener Megalithkulturen zu finden sind, sei es in Ägypten oder auf den Britischen Inseln oder sonst wo, ob auch die „eigenen“ prähistorischen Monolithen auf die von Lipo und Hunt beschriebene Weise „gelaufen“ sind oder sozusagen gelaufen wurden. Immerhin gibt es z.B. in der Folklore der Britischen Inseln eine ganze Reihe von Erzählungen von laufenden Monolithen.

Festgehalten werden kann, dass Experimente mit Bezug auf den die Prähistorie rekonstruierenden Transport von Monolithen in liegender Form über längere Strecken und besonders über unebenes Gelände hinweg nicht erfolgreich gewesen sind (s. hierzu z.B. Harris 2018 und mit Bezug auf das Stonehenge Monolith Project 2019.).

Collectie Wereldmuseum (v/h Tropenmuseum), part of the National Museum of World Cultures, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Aber wie die Arbeit von Lipo und Hunt zeigt, erforderte auch der Transport der aufrecht stehenden Moai-Monolithen deren spezielle Bearbeitung sowie die spezielle Vorbereitung der „Staßen“, auf denen die Monolithen bewegt wurden.

Das Problem ist und bleibt bis auf Weiteres der Transport von Monolithen in prähistorischer Zeit bzw. in Abwesenheit moderner Technologien über weite Strecken und sehr unebenes Gelände hinweg, wie das z.B. hinsichtlich des sechs Tonnen schweren sogenannten Altar-Steines der Fall ist, der vor 3.500 bis 4.000 Jahren vom Norden Schottlands in die Ebene von Salisbury, nach Stonehenge, d.h. mehr als 700km weit, transportiert wurde (Clarke et al. 2024).

Die Annahme scheint plausibel, dass es nicht eine einzige Lösung für dieses Problem gibt bzw. in der Prähistorie gegeben hat, sondern verschiedene, wenn auch in mancher Hinsicht vermutlich ähnliche, Lösungen gegeben hat, je nachdem, wie das jeweilige Terrain beschaffen war, das es zu bewältigen galt, welche Materialien lokal verfügbar waren u.a.


Literatur

Callaway, Ewen, 2012: Easter Island Statues „Walked“ Out of Quarry. Nature (2012). https://doi.org/10.1038/nature.2012.11613

Clarke, Anthony J. I., Kirkland, Christopher L., Bevins, Richard, E., et al., 2024: A Scottish Provenance for the Altar Stone of Stonehenge. Nature 632: 570-575

Harris, Barney, 2018: Roll Me a Great Stone: A Brief Historiography of Megalithic Construction and the Genesis of the Roller Hypothesis. Oxford Journal of Archaeology 37(3): 267-281

Lipo, Carl P., & Hunt, Terry L., 2025: The Walking moai Hypothesis: Archaeological Evidence, Experimental Validation, and Response to Critics. Journal of Archaeological Science 183: 106383; https://doi.org/10.1016/j.jas.2025.106383

Lipo, Carl P., Hunt, Terry L., & Haoa, Sergio Rapu, 2013: The „Walking“ Megalithic Statues (moai) of Easter Island. Journal of Archaeological Science 40(6): 2859-2866

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Author: Dr. habil. Heike Diefenbach
Michael Klein

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