Genau kann ich mich nicht erinnern, wie viele Male ich als Kind im Ringhotel Winzerhof in Rauenberg geschlafen habe. Zehn? Zwanzig? Ich weiß nur: Es war das erste Hotel meines Lebens. Der erste Hauch von Luxus, die erste frisch gestärkte Tischdecke, das erste Frühstücksei im silbernen Halter. Ich erinnere mich an den sanften Dialekt der Großmutter, die damals das Haus führte, und an das Gefühl, dass hier alles richtig war. Immer beim Verwandtenbesuch in Wiesloch wurde dort haltgemacht. Allein das Schwimmbad liebte ich.
Vielleicht trifft es mich deshalb so besonders, was ich jetzt sehe: Ein Instagram-Video, das ein unordentliches Zimmer zeigt, mit Konfetti auf dem Boden, einer zerwühlten Bettdecke, ein paar Handtüchern am Boden. Dazu der dramatische Text: „WARNUNG AN ALLE KOLLEGEN! VÖLLIG VERWÜSTETES ZIMMER! BITTE TEILEN!“ Und ein Focus-Artikel, der das Ganze zum landesweiten Skandal aufbläst.
Natürlich: So hinterlässt man kein Hotelzimmer. Punkt. Mir hat meine Mutter beigebracht, dass man einen Raum immer so verlässt, wie man ihn vorgefunden hat – oder besser. Das ist eine Frage des Respekts. Und wer im Hotel Gläser zerschlägt oder gar Bademäntel klaut, gehört zur Kasse gebeten – notfalls mit Strafanzeige.
Aber wenn ich mir die Bilder genau anschaue, dann sehe ich: Konfetti, Luftschlangen, Müll. Viel Putzaufwand, keine Frage. Aber Verwüstung?
PR oder echter Ärger?
Im Internet wurde schnell spekuliert, ob es sich nicht um eine PR-Aktion handeln könnte. Denn das Video, das ursprünglich auf Facebook geteilt wurde, ist mittlerweile gelöscht – auf Instagram allerdings noch zu finden. Der Ton war eindeutig: Dramatisierung pur. Die Message: Ein unfassbarer Vorgang! Ein Aufreger! Ein medienreifes Ärgernis!
Und ich gebe zu: Auch ich wollte erst aufspringen. Als ich die ersten Zeilen las, dachte ich sofort an die Familie, an die Kinder und Enkel derer, die mich damals freundlich empfangen haben. „Da schreibst du jetzt gleich eine Solidaritätsmail“, dachte ich. Doch dann schaute ich mir die Fotos an. Und erinnerte mich an Gespräche mit Hoteldirektoren. Sie erzählen von Zimmern, die nach gewissen Gästen erst nach zwei Wochen wieder belegbar sind. Von durchlöcherten Decken, zerlegten Armaturen, nächtlichen Tieropfern. Kein Witz. In deutschen Hotelzimmern hängen inzwischen ernstgemeinte Schilder: „Bitte nicht schächten!“
Nicht ohne Grund.
Dagegen wirkt das Konfetti-Chaos von Rauenberg, das ein junges Paar hinterlassen hat und nicht der Gästetyp, vor dem Hoteldirektoren sonst oft großen Bammel haben, fast charmant. Ärgerlich – ja. Aber einzigartig? Nein. Skandalös? Wohl kaum. Eher: eine ganz gewöhnliche Grenzüberschreitung, wie sie in Hotels weltweit vorkommt. Nicht entschuldbar, klar. Aber eben leider, leider auch nicht (mehr) außergewöhnlich.
Und noch ein Gedanke kam mir beim Lesen:
Heute kann man ja kaum noch ein Hotelzimmer buchen, ohne dass eine Kaution hinterlegt oder die Kreditkarte vorab autorisiert wird. Ich habe es selbst erlebt, dass bei einer Verlängerung einfach automatisch weiter abgebucht wurde – effizient, unpersönlich, aber eben sicher.
Umso mehr frage ich mich: Wurde in diesem Fall keine Kaution verlangt? Keine Kartensperre eingerichtet? Das soll kein Vorwurf sein, Gott bewahre – aber eine journalistische Frage, die sich nun einmal aufdrängt. Denn genau dafür sind solche Sicherheiten ja da: um Schäden direkt abzudecken. Ohne virale Empörungswellen, ohne dramatische Posts mit Großbuchstaben.
Zudem: Beim Einchecken wird doch heute standardmäßig der Ausweis verlangt. Warum also nicht einfach eine Rechnung schicken – für den Schaden, den Reinigungsaufwand, fertig? Warum gleich der öffentliche Pranger – ohne Chance auf Wiedergutmachung?
Weil es heute nicht mehr um Lösung geht, sondern um Reichweite?
Zwischen Aufschrei und Augenmaß
Ich will den Ärger der Hoteliers gar nicht kleinreden. So ein Verhalten ist respektlos, egoistisch, unreif. Wer so ein Zimmer hinterlässt, hat das Gastrecht nicht verdient. Aber ich wehre mich gegen die inszenierte Empörung. Gegen das große Wort „Verwüstung“, das inflationär eingesetzt wird – als wäre ein schmutziger Boden gleichzusetzen mit Vandalismus. Es ist, als würde man eine Pommes auf dem Teppich gleichsetzen mit einem Molotowcocktail.
Und ich wehre mich gegen das neue Schwarz-Weiß-Denken: Entweder man solidarisiert sich bedingungslos – oder man verharmlost. Dazwischen scheint nichts mehr zu existieren. Doch genau da liegt die Wahrheit: Es war falsch, was da passiert ist. Aber es war eben auch keine „Verwüstung“. Sondern: eine ärgerliche, respektlose, aber nicht außergewöhnliche Grenzüberschreitung.
Wer das nicht mehr differenziert wahrnehmen darf, sondern sofort ins moralische Hochamt gezwungen wird, der verlernt das, was eine gesunde Gesellschaft braucht: Augenmaß.
Und mehr noch: Er übersieht, wie selektiv diese Empörung oft funktioniert. Dass ein Paar in Rauenberg mit Konfetti und zerknüllten Handtüchern zum landesweiten Aufreger wird – aber wenn Hoteldirektoren hinter vorgehaltener Hand von weit drastischeren Zuständen erzählen, insbesondere durch eine bestimmte Gästeklientel, dann bleibt das öffentlich folgenlos.
Und ja – das Beispiel mit dem „Bitte nicht schächten“-Schild ist real. Und doch: Kein Aufschrei, kein Focus-Artikel, kein moralisches Theater. Obwohl dort „schächten“ eben nicht metaphorisch gemeint ist.
Dass stattdessen ein Konfettiboden medial eskaliert, sagt mehr über unsere selektive Empörungsbereitschaft als über den Zustand des Zimmers.
Warum? Vielleicht weil es politisch nicht korrekt wäre, darüber zu sprechen. Weil man damit die üblichen rotgrünen öffentlichen Empörungsrituale riskieren würde – die bei einem jungen Paar nicht drohen. Und genau das ist der doppelte Skandal: Die Rücksichtslosigkeit – und die Scheinheiligkeit ihrer selektiven Entrüstung.
Und vielleicht ist das die bittere Ironie dieser Geschichte: Dass ein Haus, das mir einst die Welt des Maßes und der Gastfreundschaft zeigte, nun Teil dieser Empörungsdynamik geworden ist.
Und ja – auch wenn das Ganze kein Grund für landesweite Aufregung war: Eine Sauerei war es trotzdem. Und den Mitarbeitern, die diese Sauerei mit Wischmopp und Sauger buchstäblich ausbaden mussten, gehört mein Mitgefühl. Aber nicht denjenigen, die es zum „Zerstörungs“-Skandal machten.
PS:
Falls sich jetzt jemand fragt, warum ich über so etwas überhaupt schreibe – nun, vielleicht gerade deshalb. Weil es manchmal die kleinen Geschichten sind, die die großen Mechanismen sichtbar machen: Unsere kollektive Erregbarkeit. Unsere Lust auf Skandale. Unsere sprachliche Verwahrlosung, bei der aus Putzaufwand gleich „Verwüstung“ wird. Und ja – auch unsere Fähigkeit zur Differenzierung. Oder genauer gesagt: ihr schleichender Verlust.
Ich gestehe offen – diese Tendenz beobachte ich auch bei mir selbst. Gerade deshalb muss man wachsam bleiben.
Wer solche Texte für „unwichtig“ hält, hat eine seltsame Vorstellung von Journalismus. Ich halte sie für notwendig. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Alltäglichkeit. Weil sie zeigen, was sich gerade in uns und um uns verschiebt. Und weil wir – geblendet von Merz, rot-grünem Irrsinn und Weltpolitik – viel zu selten auf das schauen, was ganz leise, aber wirkungsmächtig unterhalb der Aufregung passiert – und am Ende oft weit mehr Einfluss auf unser Leben hat als das große Getöse.
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Bild: Screenshot Instagram
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