Was passiert mit einem Land, in dem der Inlandsgeheimdienst Meinungen speichert statt Gefahren abzuwehren? In dem Kritik an der Regierung als Verdacht gilt – und Kritiker zu „Extremisten“ werden, weil sie Begriffe wie „Altparteien“, „Masseneinwanderung“ oder gar „Volk“ benutzen?
Diese Fragen stellt Hubertus Knabe. Und wer seine Biografie kennt, weiß: Er ist keiner, der mit leichtfertigen Vergleichen hantiert. Knabe war 18 Jahre lang Direktor der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen. Heute forscht er an der Universität Würzburg. Er hat zig Diktatur-Opfer begleitet – und weiß, wie Überwachungssysteme funktionieren. Wenn ein Mann wie er sagt, es gebe beunruhigende Parallelen zur DDR, dann darf das nicht einfach in der Bezahlschranke verschwinden.
Im Gegenteil: Es ist eine Bürgerpflicht, diese Warnung ernstzunehmen. In einem bemerkenswerten Essay in der „Welt“, das leider nur für Abonnenten zugänglich ist, beschreibt Knabe eine stille, aber fundamentale Verschiebung: Der Verfassungsschutz unter Thomas Haldenwang (CDU) habe sich vom Verteidiger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Kontrollorgan politisch unliebsamer Meinungen entwickelt. Statt Gewaltbereitschaft zu beobachten, gehe es zunehmend um Gesinnungskontrolle.
Und diese ist umfassend.
Besonders gravierend: Eine gesetzliche Neuregelung erlaubt es dem Verfassungsschutz seit einigen Jahren, auch Einzelpersonen ohne Gruppenzugehörigkeit ins Visier zu nehmen. Eine Regelung, die einst aus den Erfahrungen mit Gestapo und Stasi heraus ausdrücklich ausgeschlossen worden war – und nun stillschweigend zurückgekehrt ist.
Schon 2023 wurde der frühere Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen vom BfV selbst als „Rechtsextremist“ gespeichert. Nicht wegen Taten, nicht wegen Aufrufen zur Gewalt – sondern wegen Sätzen wie: „Trump ist für viele Amerikaner der Gegenentwurf zum woken Establishment, zu den linksglobalistischen Eliten an der Ostküste und an den Universitäten.“ Oder: „Am Ende kriegt man immer grüne Politik.“ Laut Knabe wurden solche Aussagen als „antisemitisch“ oder „verfassungsfeindlich“ eingestuft – mit dem Ergebnis, dass selbst CDU-Mitglieder – wie damals noch Maaßen – zur Gefahr erklärt werden, wenn sie aus der rot-grünen Einheitsmeinung ausscheren.
Besonders entlarvend: Kaum hatte Maaßen angekündigt, eine eigene Partei zu gründen, wurde seine Einstufung öffentlich bekannt – samt detaillierter Begründung, in der ihm unter anderem vorgeworfen wird, das Parteiensystem als „autokratisch und scheindemokratisch“ verunglimpft und behauptet zu haben, egal was man wähle, man bekomme am Ende das gleiche. Dass solche streitbaren, aber legitimen Aussagen als extremistisch gelten, wirkt wie eine unfreiwillige Parodie auf demokratische Debattenkultur.
Zehntausende Bürger im Visier
Anfang 2025 waren laut Knabe über eine halbe Million Menschen im geheimdienstlichen Informationssystem gespeichert – selbst nach Abzug der „normalen“ Sicherheitsüberprüfungen. Mehr als 50.000 davon kamen in den letzten vier Jahren hinzu – oft nur, weil sie sich regierungskritisch äußerten.
Die Kriterien sind haarsträubend. In einem 1108 Seiten langen Gutachten zur AfD analysiert der Verfassungsschutz mehr als 3000 Aussagen – von Facebook-Kommentaren über Hashtags bis hin zu Reden. Wer von „Masseneinwanderung“ spricht, das Parteiensystem als „Ampelregime“ bezeichnet oder daran erinnert, dass es in Schwimmbädern zu Messerstechereien und Massenschlägereien oder auf der Straße zu ethnisch geprägten Gruppenvergewaltigungen kommt, wird zur Gefahr erklärt. Nicht wegen Gewalt oder Aufruf zu Hetze – sondern wegen des „verfassungsschutzrelevanten Potenzials“.
Sogar Scholz’sche Jugendsünden gelten rückwirkend als untragbar: Wer heute behauptet, Deutschland sei nicht souverän, äußert sich laut BfV verfassungsfeindlich – obwohl Olaf Scholz genau das früher selbst sagte.
DDR-Vokabular im neuen Gewand
Hubertus Knabe spitzt zu: Was früher „staatsfeindlich“ hieß, nennt sich heute „verfassungsschutzrelevant“. Wer die „Altparteien“ kritisiert, „delegitimiert“ den Staat. Wer den Begriff „Volk“ im kulturellen Sinne verwendet, äußert sich laut BfV ethnisch-exklusiv – und damit extremistisch. Damit entlarvt der Verfassungsschutz ungewollt, dass er selbst zur Gefahr für die Verfassung geworden ist. Denn ausgerechnet das Grundgesetz verwendet mehrfach den Begriff „Volk“ – jener Begriff also, den seine angeblichen Hüter heute verdächtig machen.
Auch viele andere Begriffe stehen auf dem inoffiziellen Index: „Kartellparteien“, „Demokratur“, „DDR 2.0“ oder „globale Eliten“. Letzteres gilt dem BfV zufolge als Ausdruck „politischen Antisemitismus“. Selbst ironische oder sarkastische Wortwahl wird kriminalisiert. Die Tonlage des Verfassungsschutzes erinnert laut Knabe in ihrer apodiktischen Strenge an alte DDR-Dokumente – nur dass heute nicht mehr von „staatsfeindlicher Hetze“, sondern von „Delegitimierung des Staates“ die Rede ist. Die Argumentation des Verfassungsschutzes erinnert in ihrer Konstruktion frappierend an den DDR-Paragrafen zur Staatsverleumdung – nur mit neuen Begriffen und besserem Marketing.
In einem besonders absurden Fall durfte der AfD-Politiker Joachim Paul in Rheinland-Pfalz nicht zur OB-Wahl antreten, weil der Verfassungsschutz seine Nibelungen-Vorträge (!) als Belege für ein „völkisches Geschichtsbild“ einordnete. Das zuständige Verfassungsgericht wies seine Beschwerde ab – nicht etwa, weil es inhaltlich zustimmte, sondern weil es die Willkür nicht „offenkundig“ fand. Das klingt wie aus einem Roman von Kafka.
Einmal als Extremist gespeichert, wird man zum zivilgesellschaftlichen Geächteten: keine Jobs bei Polizei, Bundeswehr oder sicherheitsrelevanten Behörden. In Bayern darf sogar der Vermieter informiert werden. Es ist ein System mit Sippenhaft-Logik – und kaum jemand kennt seine Akte oder kann sich wehren. Auch mir wurde eine Einsicht in meine Akte verweigert – mit dem ebenso zynischen wie dreisten Argument, es gäbe über 1000 Treffer zu meinem Namen (siehe hier). Wer klagt, muss mit jahrelangen Verfahren und fünfstelligen Anwaltskosten rechnen.
Kaum einer kann also klagen, aber alle Betroffenen können die Folgen spüren: Die Überwachung führt zu einem Klima der Einschüchterung – genau das, was eine freiheitliche Demokratie niemals dulden dürfte.
Der Staat schützt sich – nicht die Freiheit
All das wäre schlimm genug. Doch Knabe geht weiter: Der Verfassungsschutz selbst verstößt gegen das Grundgesetz. Denn laut Bundesverfassungsgericht gilt die „Vermutung zugunsten der freien Rede“. Der Staat müsse „auch scharfe, polemische Kritik aushalten“ – er habe „kein Recht auf Ehrenschutz“. Genau das aber wird im Namen des „Kampfs gegen rechts“ systematisch unterlaufen.
Und dieser Kampf ist selbst ideologisch aufgeladen – mit fatalen historischen Vorbildern. In der DDR hieß es: „Kampf dem Faschismus“. Gemeint war: Kampf gegen jede Kritik. Heute nennt man es „Kampf gegen rechts“ – doch der Mechanismus ist erschreckend ähnlich.
Ausgerechnet unter der früheren FDJ-Funktionärin Angela Merkel, deren Vater als systemtreuer Kirchenmann mit dem Regime und den Sowjets bestens vernetzt war, schaffte es ein Trick aus der Propagandaküche der SED – der „Kampf gegen Faschismus“ – als „Kampf gegen rechts“ zurück in die Bundesrepublik. Agitprop-Recycling unter westdeutscher Flagge.
Knabe beobachtet zudem eine seltsame Umkehr der Rollen: Früher galt der Verfassungsschutz als Behörde, die genau beobachtet werden musste. Heute aber klatschen ihm selbst Menschenrechtsorganisationen Beifall – und viele Aktivisten fordern sogar noch mehr Überwachung, aus Angst vor einem imaginierten neuen 1933. Diese Schieflage wurde laut Knabe nicht zuletzt durch die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mitgeprägt. Sie habe den Apparat ermutigt, über das sogenannte „Entschließungsermessen“ eigenmächtig zu definieren, ob jemand nur Missstände kritisiert – oder bereits den Staat diffamiert.
Wer heute zu viel warnt, wird zur Warnung selbst.
Der neue BfV-Chef Sinan Selen könnte den Kurs ändern – wenn er denn wollte. Für Innenminister Dobrindt wäre es die Gelegenheit, endlich ein Zeichen zu setzen. Gegen eine Behörde, die sich selbst zum Richter über das Sagbare gemacht hat.
Doch nichts geschieht. Kein Aufschrei, kein Eingreifen. Medien, Menschenrechtsorganisationen, selbst Juristen – sie schauen zu. Oder sie klatschen.
Und Dobrindt und sein Chef Merz? Schweigen. Wie so viele in der Union, wenn es gegen die rot-grüne Meinungshegemonie geht.
Aus Angst, als „rechts“ zu gelten, kuschen die Bürgerlichen. Und überlassen den Verfassungsschutz jenen, die ihn zur Meinungspolizei umbauen.
Was als Schutz der Demokratie begann, wird zur Waffe gegen ihre Kritiker.
Wer heute laut denkt, wird morgen leise gemacht.
Wer heute widerspricht, steht morgen unter Beobachtung.
Und wer heute noch schweigt – tut es oft nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Angst.
Denn die Wahrheit ist:
Sprechen ist längst zum Risiko geworden. Und Schweigen zur Überlebensstrategie.
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Bild: Screenshot Youtube
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