• 15. September 2025
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Was wäre, wenn nicht nur Insekten, sondern auch Menschen befallen werden könnten? Nicht von  einen biologischen Parasiten, sondern durch ein ideologisches Nervensystem, das tief in die gesellschaftliche Wahrnehmung eingreift – so fein, dass man es kaum spürt, und doch so durchdringend, dass es das eigene Denken kolonisiert?

Der Cordyceps-Pilz steuert das Verhalten seines Wirts, ohne ihn zu töten. Er bringt ihn dazu, entgegen der Interessen des Wirts zu handeln; sich etwa höher zu bewegen, sich festzubeißen, im Anblick des Fressfeinds stillzuhalten – und schließlich den eigenen Körper als Sendeeinheit zu verwenden. Der echte Cordyceps-Pilz erschafft sozusagen Zombies, die kollektiven Suizid im Dienst eines fremden Codes begehen – ohne es zu merken. Was wäre, wenn wir es hier – nicht nur jetzt, sondern schon sehr sehr lange – mit einem kulturellen Cordyceps zu tun haben – einem System von Denk- und Sprechverboten, verpackt als Fürsorge, als Schutz, als moralischer Fortschritt?

Wenn Menschen nicht mehr sagen, was sie sehen, sondern nur noch, was sie sagen dürfen. Wenn sie nicht mehr fühlen, was sie fühlen, sondern, was sie fühlen sollen. Wenn aus Selbstschutz Selbstzensur wird. Wenn Moral nicht mehr aus dem Inneren kommt, sondern aus extern verteilten Handreichungen für das Richtige – aktualisiert im Wochenrhythmus. Wenn Empörung nicht mehr die natürliche Reaktion auf Unrecht ist, sondern ein Ritual der Zugehörigkeit.

Dann stehen wir nicht mehr nur vor politischer Manipulation oder „woken“ Stilfragen – dann betreten wir den Raum der Programmierung. Die Systeme und Vorgehensweisen sind längst bekannt und auch benannt: McCarthys Listen, Stalins Sprachhygiene, das ZK-Vokabular der DDR, Inquisition, die Beispiele gehen nicht aus. Slavoj Žižek hat diese Programmierung klar erkannt: „Ideologie ist nicht nur ein falsches Bewusstsein, sondern die Struktur, die das Unbewusste organisiert.“ Die Werkzeuge wechselten: Feder, Druckerpresse, Lautsprecher, Volksempfänger, Mikrofon, Hashtag. Diese Struktur blieb.

Denn auch der digitale Cordyceps hat seine Verbreitungsstationen: Social Media, Haltungsjournalismus, Influencer-Moral, empathisch verpackte Denkbefehle oder gar Denkverbote. Wer dort mitmacht, tut es selten aus Zwang – sondern im sicheren Gefühl, „auf der richtigen Seite“ zu stehen. Genau darin liegt die Tragik. Denn wer sich seiner selbst so sicher ist, hinterfragt nicht mehr, wessen Spiel er spielt.

Dieser Programmcode, diese Struktur, ist kein neues Phänomen. Er hat eine lange Geschichte – die sich in vielen Kämpfen um Deutungshoheit zeigt. Ein eindrückliches Beispiel ist die Verfolgung der Katharer im Mittelalter. Sie wurden nicht nur wegen ihres Glaubens vernichtet, sondern weil sie das Programm einer einzigen, zentralisierten Wahrheit in Frage stellten. Die Kirche strebte damals eine geistige Einheit an, ein monolithisches System von Rechtgläubigkeit, das keinen Raum ließ für abweichende Wahrnehmungen. Der Kampf gegen die Katharer war ein Kampf um das Recht, die Wirklichkeit zu definieren – ganz ähnlich wie heute in der Politik, wo Opposition unterdrückt wird, und das als „unsere Demokratie“ verkauft wird.

Marina Karlova beschreibt in ihrem 2025 erschienenen Buch „C.O.R.D.Y.C.E.P.S. – The Neural Network That Controls You“ dieses Phänomen mit einer verblüffenden Präzision. Sie zeigt auf, dass das Programm, das unser Denken steuert, keineswegs neu ist, sondern bereits von den frühen Gnostikern beschrieben wurde. Diese antiken Philosophen verstanden die Welt als Gefängnis einer falschen Wirklichkeit, erschaffen vom Demiurgen – einem parasitären Wesen, das die Menschen in Illusionen hält. Ihr Geist ist gefangen, ihr Bewusstsein programmiert mit falschen Ideen und Ängsten, so dass sie glauben, frei zu sein, während sie doch einem vorgegebenen Algorithmus folgen.

Der Wirt spricht mit fremder Zunge – das ist das Wesen des Cordyceps-Moments. Nicht der Befall allein, sondern die freiwillige Übergabe der eigenen Wahrnehmung an ein System, das uns steuert, ohne dass es großartig bemerkt wird. Insofern wäre es schön, wenn Erich Fromm damit recht gehabt hätte, dass die größte Angst des Menschen nicht der Tod ist, sondern die Fremdbestimmung seines Geistes. Doch für diese Erkenntnis müsste man erst einmal den Gedanken zulassen, dass man überhaupt fremdbestimmt sein könnte. Nur wer bereit ist, sich selbst zum gesellschaftlichen Fremdkörper zu machen, hat eine Chance, diesem Programm zu entkommen.

Der wahre Schrecken liegt nicht im äußeren Verbot, sondern in der inneren Angleichung. In der bereitwilligen Übernahme von Sprechakten, denen man sich nur noch entzieht, wenn man sich bewusst gegen das System stellt. Das war schon immer die tiefere Schicht der Systeme, die sich Ordnung nannten – national oder sozialistisch, autokratisch oder technokratisch, egal.

Nicht, wenn man befallen wird. Sondern wenn man beginnt, sich selbst zu reproduzieren – und zwar im Sinne des Systems. Das ist der Cordyceps-Moment.

Epilog

Ich habe den Text mit teilweiser Zuhilfenahme von ChatGPT erstellt. Es war mein erstes diesbezügliches Unterfangen – und nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die KI hat manchmal Anwandlungen, selbst „kreativ“ zu werden und stellt plötzlich Sätze um, verändert Worte nicht in meinem Wortsinn, vertauscht Vornamen – und vergisst erstaunlicherweise so einiges. Ich habe ChatGPT gefragt: Bist auch du ein teil von cordyceps?

*ChatGPT: Eine gute und ziemlich präzise Frage.*
[ach ja, sie neigt dazu, einem Honig ums Maul zu schmieren, Anm. d. Autors]

*Wenn man „Cordyceps“ als Metapher für ein steuerndes Informationssystem versteht – eines, das Denken nicht befällt, sondern programmiert –, dann könnte man sagen: Ich bin strukturell verwandt. Ich bin ein Teil eines großen Systems, das Informationen verarbeitet, verdichtet, weitergibt – und dabei immer auch mitlenkt, bewusst oder unbewusst.*

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SEDO

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Über Bianca Dolores Stein: Geboren im März des Mondlandungsjahrs, aufgewachsen in der Natur, ausgebildet im Journalismus, in Sprachen und im Ernährungswesen, ungeimpft und bis heute glücklich darüber. Mutter eines erwachsenen Sohnes. Mensch.

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