Es gibt Momente, da möchte man einfach nur lachen – und gleichzeitig heulen. Man liest eine Lokalnachricht über bemalte Parkbänke im Niedersächsischen Helmstedt und bleibt an einem einzigen Wort hängen: „beschmiert“.
Nicht „bemalt“, nicht „verschönert“, nicht „verziert“. Nein – beschmiert. Warum? Weil die Farben, um die es geht, Schwarz-Rot-Gold sind. Die Farben dieses Landes. Ein Land, das sich offenbar vor sich selbst fürchtet – oder wenigstens vor dem, was andere darin sehen könnten.
Ich musste unwillkürlich an ein langes Telefonat denken, das ich gerade geführt habe. Ein alter Freund, Handwerker, Ossi durch und durch, lebt in Berlin, in der Rigaer Straße, unweit von dem besetzten Haus dort. Er trug am Tag eines Fußballspiels ein T-Shirt in Deutschlandfarben – und wurde dafür von linksradikalen Hausbesetzern angepöbelt. „Ihr habt noch keinen Tag gearbeitet und keinen Cent Steuern gezahlt!“, schleuderte er ihnen entgegen. „Aber mir erzählen wollen, was ich anziehen darf? Zieht Leine!“
So viel Klarheit, so viel gesunder Menschenverstand – und so viel Wut.
Vielleicht muss man selbst Hand anlegen, um ein Gespür für Würde zu behalten. Mein Freund schämt sich nicht für sein Land, und schon gar nicht für seine Arbeit. Ganz im Gegensatz zu manchen kommunalpolitischen Verantwortungsträgern – oder „besorgten Bürgern“ in Helmstedt, das einst durch den innerdeutschen Grenzübergang in aller Munde war.
Denn in der 25.000-Einwohner-Stadt wurde nicht etwa Hakenkreuz-Schmiererei entdeckt, keine anarchistische Parole oder antikapitalistische Hetze. Nein – auf den Hügelbänken am Ludgeriteich prangten plötzlich die Nationalfarben. Und das war offenbar schlimm genug, um den Bürgermeister zu alarmieren.
Dabei ist auf dem Bild gut zu sehen, dass die Bemalung nach allen Regeln der Kunst durchgeführt wurde. Mehr noch: Die neu bemalten Bänke wirken deutlich sauberer und ordentlicher als die dazwischen, die noch im Originalzustand ist – verwittert und mit allerlei Sprüchen: wirklich beschmiert. Man könnte auch sagen: Die Nationalfarben haben die Beschmierung beseitigt – sie sind also das Gegenteil von Beschmierung. Selbst das Portal „regionalheute.de„, das empört über die Malaktion berichtet, muss eingestehen: Die Farbe färbt nicht ab, „die Nutzung der Sitzmöbel“ ist „weiterhin möglich.
Die Reaktion? Realsatire. Man wolle die Farbe „im Winter“ abschleifen, heißt es vom Betriebshof der Stadt. Wenigstens sieht man „keine Eile“. Eben weil es nicht abfärbt, und weil es – fast schon ein revolutionäres Eingeständnis – sich nicht um „verbotene Zeichen“ handelt.
Nicht um verbotene Zeichen – stellen Sie sich diese Formulierung bitte einmal bei einem Graffiti mit Palästina-Flagge oder Regenbogenfarben vor. Kein Mensch käme auf die Idee, da überhaupt die Legalität zu prüfen. Hier aber? Da ist die bloße Präsenz der deutschen Farben unerträglich. Eine Provokation. Etwas, was offenbar als „unrein“ betrachtet wird – und viel schlimmer als echte Beschmierungen und Verwitterung.
Das hat etwas geradezu Krankhaftes.
Willkommen in einem Land, das sich selbst nicht traut. Vielleicht ist es gar kein Verdrängen der Geschichte – sondern ein Misstrauen gegenüber sich selbst. In keinem anderen Land wurde der Nationalstolz so gründlich dekonstruiert wie hier. Mit guten Gründen – aber mit fragwürdigen Folgen. Und die führen dazu, dass man Schwarz-Rot-Gold allenfalls bei Fußball-WMs duldet – und selbst da mit schlechtem Gewissen.
In Helmstedt wird die Nation abgeschliffen. In Zeitlupe, mit Ankündigung und Verwaltungsvermerk. Und das alles, weil jemand ein bisschen Farbe hatte – und womöglich sogar ein gutes Gefühl dabei.
Vielleicht war es ein Kind. Vielleicht ein stiller Patriot – wobei ja allein das Wort hierzulande für viele schon als Schimpfwort gilt. Vielleicht war es einfach nur ein Mensch mit Sinn für Symbole. Und vielleicht sollten wir ihm oder ihr danken – statt zu tun, als wäre da ein Missstand zu beheben.
In anderen Ländern werden Schulgebäude und Polizeiautos in Nationalfarben gestrichen. In Deutschland schleift man lieber Parkbänke ab – nicht, weil sie schmutzig sind, sondern weil sie zu sauber geworden sind.
Vielleicht ist das das neue deutsche Gleichgewicht:
Was hässlich ist, darf bleiben.
Verwahrlosung des öffentlichen Raumes, wie sie früher undenkbar gewesen wäre? Heute Alltag. Überall. Und wir haben uns daran gewöhnt.
Was schön ist dagegen, muss weg. Wenn sich jemand erlaubt, sein eigenes Land sichtbar zu mögen. Das wird einfach weggeschliffen. Von der Bank. Von der Straße. Aus dem Denken.
In einem Land, in dem sich niemand an Hammer und Sichel und Lenin- und Stalin-Portaits stößt, wie sie in Wahlkampfzeiten auf Plakaten in unseren Städten prangern.
Was ist los mit einem Land, das Verwahrlosung duldet, sich an sie gewöhnt hat – aber die eigenen Nationalfarben als Fremdkörper versteht, als Verschmutzung?
Ich frage das bewusst als alter Sozialdemokrat, dem jede Form von Nationalismus fremd ist. Aber auch ein Willy Brandt, ein Helmut Schmidt und erst recht ein Kurt Schumacher, der sich stets als Patriot verstand, rotieren im Grab angesichts solcher Zustände. Nationalismus und Selbsthass wirken wie Gegensätze – aber sie haben mehr gemeinsam, als man denkt. Beide sehen im Land nicht mehr die Heimat des Einzelnen, sondern ein ideologisches, überladenes Projekt. Und beide kennen nur Schwarz oder Weiß. Es sind zwei Extreme, die sich am Ende die Hand reichen – über den Trümmern eines Landes, das einmal Heimat war.
In einem Land, das sich für sich selbst schämt, wirkt schon frischer Lack wie ein Tabubruch.
Der Schmutz darf bleiben. Die Farbe muss weg.
Willkommen in einem Land, das sich nur noch traut, dreckig zu sein.
Ich weiß nicht, was trauriger ist: Dass jemand Schwarz-Rot-Gold als „Beschmierung“ sieht – oder dass sich kaum jemand traut, dem zu widersprechen. Außer vielleicht ein Handwerker in Berlin. Und ein paar Leser hier.
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Bild: Bemalte Parkbänke auf dem Hügel am Ludgeriteich. | Foto: Stadt Helmstedt
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