Meine Entschlossenheit war da: Ich wollte mir das Video ansehen. Boris Palmer gegen Markus Frohnmaier, Tübingen als Bühne. Ein Experiment, hatte Palmer gesagt. Ich drückte auf Play – und hielt 18 Minuten durch. Dann musste ich abbrechen. Nicht, weil Frohnmaier so schwer erträglich gewesen wäre. Nicht wegen Palmer. Sondern wegen der Atmosphäre, die körperlich weh tat: Hass, Hetze, Niederbrüllen.
Schon in den ersten Minuten erinnerte das Ganze an die dunkelsten Saalschlachten der späten 1920er und frühen 1930er Jahre – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Damals waren es vor allem die Nazis, die mit Trillerpfeifen und Sprechchören Veranstaltungen ihrer Gegner zerstörten. Heute sind es Leute, die sich „Antifaschisten“ nennen – ein Begriff, den nicht zufällig Stalin geprägt hat, um seine Gegner unter diesem Etikett gleichzusetzen mit den Nazis und vom „Sozialismus“ in deren Parteinamen abzulenken. Der gleiche Furor, die gleiche Selbstgerechtigkeit, die gleiche Unfähigkeit, überhaupt noch zuzuhören. Und mehr noch: eine „Haltung“, die an die Frömmigkeit, die Abschottung und den Fanatismus einer geschlossenen Sekte erinnert – wer widerspricht, wird sofort ausgestoßen.
„Nazis raus!“ – „Faschismus ist keine Meinung!“ – „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“ Wieder und wieder brandeten die Chöre auf. Der Moderator, ein Rhetorikprofessor, läutete hilflos eine kleine Glocke. Er versuchte, die Schreihälse zu besänftigen. Er biederte sich ihnen regelrecht an: Ja, er verstehe doch, dass man so etwas kritisch sehe. Ja, es sei sinnvoll, sich zu wehren. Er erzählte, wie schon die Nazis damals ihre Gegner niederbrüllten. Aber keiner der Störer schien zu merken, dass er damit ihr eigenes Verhalten beschrieb. Vielleicht nicht einmal der Moderator selbst.
Palmer stand auf der Bühne, blickte ins Chaos. Frohnmaier lächelte in die Kameras. Polizisten führten Störer hinaus, die draußen wie Helden empfangen wurden. Innen glich die Stimmung einem religiösen Exorzismus: Wer das falsche Wort sagt, wird gebrandmarkt. Ketzerverfolgung im 21. Jahrhundert. Man spürte: Hier ging es nicht um Politik, sondern um eine Art Heilslehre. Ein Feindbild musste herhalten, um die eigene moralische Reinheit zu bestätigen.
Dieser Fanatismus erinnerte an religiöse Eiferer: eine Besessenheit, Andersdenkende gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen, sie zu entmenschlichen, sie für „unhygienisch“ und unwürdig zu erklären. Genau das, was man vorgibt zu bekämpfen – und was in meinen Augen den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte erschreckend nahekommt. Nicht bei den Auswirkungen und der Dimension – zumindest noch nicht, aber bei der totalitären Denkweise dahinter.
Die erschreckende Frage, die ich mir unwillkürlich stellen musste: Wie weit ist es noch von solcher Hass-Extase bis zu einer Progrom-Stimmung, bis zum nächsten Stück, wo nicht mehr nur zu sozialen und gesellschaftlichen Vernichtung der „Ketzer“ aufgerufen wird, wie heute schon üblich, sondern auch zur physischen?
Es ist zum Erschaudern.
Diese Menschen sind aufgehetzt durch die Dauer-Propaganda, durch die Dauer-Verteufelung und die Dauer-Dämonisierung der AfD.
Der Moderator zitiert am Anfang einen Satz darüber, dass die Anhänger der AfD für rationale Argumente nicht zu haben seien, und meint dann, in dem Duktus, in dem ein Psychiater über seine Patienten spricht, vielleicht sei es doch gar nicht so. Was zwischen den Zeilen durchscheint. Vielleicht sind doch nicht alle, die Sympathien für die AfD haben, gaga und krank.
So entlarvte die Veranstaltung nicht etwa die AfD, wie der Ex-Grüne Palmer erhofft hatte, sondern das Publikum und die Atmosphäre der Ketzerverfolgung in Deutschland. Wer nicht völlig vernebelt ist im Kopf, konnte nur Mitleid mit Frohnmaier und der „Ketzer-Partei“ haben – bei aller inhaltlicher Distanz. Frohnmaier, der für seine große Nähe zu Moskau auch in der AfD selbst von einigen kritisch gesehen wird, musste kaum reden, er musste nur ausharren. Die „Antifaschisten“ lieferten ihm und seiner Partei die stärksten Argumente frei Haus: Seht her, wir dürfen nicht einmal sprechen.
Und die öffentliche Reaktion? Der Tagesspiegel schrieb später in einem Propaganda-Stück, Palmer habe „Bärendienst an der Demokratie“ geleistet – schon das Gespräch mit einem AfD-Mann sei Verrat. Die alte Kontaktschuld-Logik: Wer überhaupt redet, hat verloren. Inhalt zweitrangig. Dass damit die eigentliche Problematik – der zerstörerische Fanatismus im Saal – völlig ausgeblendet wird, ja, dass das Klima mit solchen Texten sogar noch weiter angeheizt wird, ist der eigentliche Skandal. Ein solcher Journalismus versagt in seiner Kernaufgabe – und trägt Mitverantwortung für die Vergiftung des Klimas, für totalitäres Denken, für Hetze und Hass.
Ich sage das als jemand, der kein Fan der AfD ist, ja viele ihrer außenpolitischen Positionen dezidiert ablehnt. Aber genau deshalb erschüttern mich diese Zustände so sehr. Eine Gesellschaft, die vorgibt, Hass zu bekämpfen, erzeugt selbst genau jene Atmosphäre, die sie anderen vorwirft – Intoleranz, Hetze, Ausgrenzung. Und wenn das so ritualisiert geschieht, mit Trillerpfeifen, Gebrüll und Sprechchören, wenn das auch noch im Dunstkreis von staatlich finanzierten angeblichen Nicht-Regierungsorganisationen geschieht, dann hat es etwas von Massensuggestion, fast wie in einer Sekte.
Das besonders Absurde ist: Solche Szenen bestätigen genau das, was die Gegner der AfD ihr ständig als bloße Inszenierung vorwerfen – die Opferrolle. In Wahrheit braucht die Partei sie nicht zu spielen, sie bekommt sie von ihren Gegnern auf dem Silbertablett serviert. Damit aber wird zugleich die Substanz der Demokratie zerstört. Denn sie lebt vom offenen Streit – nicht von Exorzismen gegen den politischen Gegner. Und genau das offenbarte sich in Tübingen: Die eigentliche Niederlage spielte sich nicht in den Schlagzeilen ab, sondern im Saal. Dort zeigte sich, dass in Deutschland ein offener Streit kaum noch möglich ist. Statt Argumenten gibt es Pfeifen. Statt Zuhören gibt es Geschrei. Statt Demokratie eine Sekte, die glaubt, sie sei die Demokratie.
Ich wollte das Video sehen. Nach 18 Minuten schaltete ich ab. Mit dem Gefühl, einer Szene beigewohnt zu haben, die nicht in die Zukunft weist – sondern zurück in die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.
Es ist einfach nur noch gespenstisch, was in diesem Land passiert.
Wenn Sie Nerven aus Drahtseilen haben, und keine Angst, sich den Tag zu versauen, können Sie sich die Szenen hier ansehen.
PS: Ich habe beim Schreiben gezögert, ob ich den Vergleich zu den frühen Auftritten der SA ziehen kann. Nicht als Gleichsetzung, sondern als Hinweis: Auch die SA setzte in ihrer Frühzeit nicht immer nur auf ihre berüchtigten Schlägereien, sondern oft auch vorrangig auf Psychoterror – Saalschlacht nannte man das damals: Trillerpfeifen, Sprechchöre, Dauerlärm, um Gegner mundtot zu machen. Mir ist bewusst, dass solche Parallelen schwerster Tobak sind. Aber genau weil mir dieser Vergleich einerseits widerstrebt und ich ihn andererseits nicht aus dem Kopf bekomme, wenn ich solche Bilder wie die aus Tübingen sehe, fände ich es unzulässig, mir diese schrecklichen Gedanken zu verkneifen.
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