Deutschland 2025. Bücherprozesse in Frankfurt, ein Professor kaltgestellt, ein Verlag vor Gericht, und ein Geheimdienst, der über „verfassungsfeindliche“ Begriffe in wissenschaftlichen Debatten urteilt. Kein Roman von Orwell, sondern das ganz normale Funktionieren unserer „Demokratie“ im Hier und Heute.
Der Fall klingt wie eine Randnotiz – und entpuppt sich als Lehrstück. Martin Wagener, Professor für Sicherheitspolitik an der Hochschule des Bundes, veröffentlichte 2021 ein 500-Seiten-Werk mit dem Titel „Kulturkampf um das Volk“. Darin setzt er sich mit dem Begriff des Volkes auseinander, zeichnet historische Veränderungen nach, beschreibt, wie sich Bedeutungen verschoben haben. Einen einheitlichen „Volksbegriff“ vertritt er nicht. Wohl aber kommt er zu klaren Wertungen: Er schreibt, Angela Merkel habe mit ihrer Politik versucht, aus der deutschen Kulturnation eine multikulturelle Willensnation zu formen – und genau diese Entwicklung könne sich langfristig als schwere Hypothek für die Zukunft erweisen.
Wagener nimmt sich auch den Verfassungsschutz selbst vor. Unter Präsident Thomas Haldenwang, so seine Analyse, lasse sich die Behörde politisch instrumentalisieren, sie liefere Ergebnisse nach Bedarf – „intelligence to please“. Zugleich gesteht er dem Amt in anderen Bereichen eine wichtige Funktion zu.
Das genügte, um den Apparat in Bewegung zu setzen. Der Verfassungsschutz prüfte das Buch „proaktiv“ und kam zu dem Schluss, es sei verfassungsfeindlich. Der Kern des Vorwurfs: Wagener stelle Deutsche, die die Staatsbürgerschaft besitzen, nach ethnischen Kriterien in Kategorien von Bürgern erster und zweiter Klasse. Zudem warne er, die deutsche Kulturnation könne ohne inneren Zusammenhalt durch demografische Verschiebungen zur Minderheit im eigenen Land werden – mit der Frage, ob eine neue Mehrheit dann überhaupt noch am Grundgesetz festhielte.
Was für mich wie eine nüchterne Prognose klingt, gilt heute im streng regulierten öffentlichen Meinungskorridor als Blasphemie. Wer es ausspricht, riskiert, als Ketzer gebrandmarkt zu werden – so auch Wagener. Offenbar ist die Angst vor genau dieser demografischen Entwicklung, davor, im eigenen Land zur Minderheit zu werden, so tief verankert, dass sie verdrängt werden muss. Und wer dieses Tabu bricht, wer das unausgesprochene Schweigegebot verletzt, wird nicht widerlegt, sondern bekämpft.
Für Wagener hatte das Folgen. Der Auslandsgeheimdienst BND entzog ihm die Sicherheitsfreigabe. Seit Oktober 2021 ist er faktisch kaltgestellt: Voll bezahlt, aber ohne Lehrtätigkeit, ohne Zugang zu seiner Hochschule – seit Jahren in einem Disziplinarverfahren gefangen.
Damit nicht genug. Der kleine Lau-Verlag, der für das Buch 7.500 Euro Förderung aus dem Corona-Hilfsprogramm „Neustart Kultur“ erhalten hatte, geriet ins Visier des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Auf Hinweis aus dem Hause Claudia Roth und nach erneuter Begutachtung durch den Verfassungsschutz forderte der Verband die Mittel zurück – Begründung: Das Buch verbreite verfassungsfeindliche Inhalte. Dass ausgerechnet der Börsenverein damit zum Zensor wurde, störte weder die Öffentlichkeit noch die eigenen Funktionäre. Im Gegenteil: mancher dürfte es insgeheim begrüßt haben.
Es brauchte erst ein Gericht, um diese Spirale zu stoppen. Das Landgericht Frankfurt stellte klar: Das Buch sei in vielen Passagen reaktionär und national-konservativ, zweifellos schwer zu ertragen. Aber verfassungsfeindlich sei es nicht. Diese simple Unterscheidung – trivial, möchte man meinen – musste juristisch erkämpft werden.
Und damit offenbart sich das ganze Ausmaß. Institutionen, die eigentlich Schutzräume der Freiheit sein sollten, mutieren zu deren Gegnern. Der Verfassungsschutz spielt Bücherpolizei. Der Börsenverein, sonst schnell bei der Hand, wenn es um Meinungsfreiheit in fernen Ländern geht, denunziert einen seiner eigenen Verlage. Politiker nutzen den Apparat, um missliebige Stimmen auszuschalten. Und die Mehrheit schaut weg.
Das Ergebnis ist ein Klima des Schweigens. Lieber kein Risiko eingehen, lieber keinen Streit provozieren, lieber das Geld zurückfordern und die Debatte vermeiden. Ein 78-jähriger Verleger stellt sich dagegen, während ganze Gremien schweigen. „Dieser vorauseilende Gehorsam wäre in meiner Generation undenkbar gewesen“, sagt Willi Lau – und trifft damit ins Herz der Sache.
So entsteht ein Sittengemälde der Republik: Ein Geheimdienst, der Bücher seziert. Ein Berufsverband, der seine Mitglieder denunziert. Eine Politik, die Wissenschaftler suspendiert. Und ein Gericht, das mit nüchterner Feststellung die Meinungsfreiheit rettet.
Doch genau hier liegt die Krux: Manchmal funktioniert der Rechtsstaat noch – wenn man Glück hat und Richter erwischt, die Recht über Gesinnung oder Karriere stellen. Aber allzu oft erleben wir das Gegenteil: dass Urteile klingen wie nach Parteitagsbeschluss, dass die Justiz sich der Politik andient, dass das Wort „Rechtsstaat“ zur leeren Formel wird. Wo das geschieht, verwandelt sich Rechtsprechung in Gesinnungsjustiz – und zurück bleibt ein bitterer Nachhall.
Wo bleibt das Gericht, das die Kaltstellung des Professors aufhebt?
Hätte mir das jemand in den Achtziger- oder Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erzählt, ich hätte ihn für verrückt erklärt: Dass in Westdeutschland, nach den miefigen Anfangsjahren der Republik, ein Professor wieder kaltgestellt wird – nicht wegen Korruption, nicht wegen eines Verbrechens, sondern einzig wegen einer unliebsamen Meinung. Heute ist es Realität. Alltag. Nicht nur bei Professoren, sondern in vielen Bereichen des Lebens. Fast schlimmer als die Maßnahme selbst ist die Reaktion: die schnelle Gewöhnung. Das Achselzucken. Die Resistenz gegen jede Lehre der Geschichte.
Die Pointe dieses Prozesses lautet deshalb: In Deutschland darf man alles sagen – solange der Verfassungsschutz es vorher abnickt. Dass ein Gericht diesen Satz für einen Moment widerlegt hat, ist kein Grund zur Entwarnung. Sondern nur der Beweis, wie tief wir schon gesunken sind.
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