• 22. August 2025

Grüne wollen nicht mehr sitzenbleiben – Klassenwiederholung soll gestrichen werden

ByMichael Klein

Aug. 22, 2025
Werbung

Die letzte Diskussion darüber, ob in Schulen das Sitzenbleiben beendet werden soll, wurde Anfang der 2000er Jahre und als Folge der zuvor veröffentlichten PISA-Studie geführt, die gezeigt hatte, dass Deutschland im Konzert von 32 Nationen, die gePISAt wurden, Spitzenreiter im Sitzenbleiben ist: Damals galt: 24% der Schüler waren im Verlauf ihrer Schulkarriere mindestens einmal sitzen geblieben, 12% wurden von der Einschulung zurückgestellt. Ergebnis: Eine in die Länge gezogene Schulkarriere. Schon damals wurde über die Frage, ob man dieses missliche Ergebnis nicht am besten dadurch beseitigt, dass man Schüler generell versetzt, egal, ob sie den Lehrstoff des Schuljahres ansatzweise beherrschen oder nicht, gestritten.

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung
  • Krohne, J. A., Meier, U., Tillmann, K.J. (2004). Sitzenbleiben, Geschlecht und Migration – Klassenwiederholungen im Spiegel der PISA-Daten. Zeitschrift für Pädagogik 50(3): 373-391.
  • Schümer, G./Tillmann, K.-J./Weiß, M. (2002): Institutionelle und soziale Bedingungen schulischen Lernens. In: Baumert, J. u.a. (Hrsg.): PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske+Budrich, S. 203-218.
  • Tillmann, K.-J./Meier, U. (2001): Schule, Familie und Freunde – Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland. In: Baumert, J. u.a. (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske+Budrich, S. 468-509.

Wie man daran sieht, dass dieselbe Frage 25 Jahre später abermals diskutiert wird, hat sich damals die Vernunft durchgesetzt.

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Das will Gabriele Triebel nun ändern: Sie fordert Sitzenbleiben zu streichen (gähn) und statt dessen, mehr Personal und Geld, individuelle Förderung und „gezielte Diagnostik von Schülern“, was auch immer das bedeuten soll. Auch diese Forderungen haben einen Bart, denn Geld ist in der ärmlichen Landschaft deutscher Bildungspolitik immer das einzige, was den Verdummungsexperten einfällt, individuelle Förderung wird seit Jahrzehnten ohne erkennbaren Erfolg betrieben, „warum also nicht noch ein paar Bereiche für „individuelle Förderungsprofiteure“ erschließen?“ und was mit Diagnostik gemeint ist, das erschließt sich mir schlicht und ergreifen nicht, aber es klingt gelehrt.

SEDO

Ihren Vorschlag begründet Triebel wie folgt – wir zitieren die BILD-Zeitung:

„Wissenschaftlich ist längst bewiesen, dass Sitzenbleiben nichts bringt“, sagt die grüne Bildungsexpertin Gabriele Triebel (65). Sie hat selbst als Lehrerin gearbeitet.“

Tribel hat in der Tat selbst als „Lehrerin“ gearbeitet, von 1989 bis 2018 war sie Sportlehrer an einem bayerischen Gymnasium, sicher eine Tätigkeit, die sie umfangreich mit dem Problem des Sitzenbleibens konfrontiert hat. Der wissenschaftliche Beweis, den Triebel kennen will, ist natürlich kein Beweis, bestenfalls ein Beleg, aber wir sind natürlich nicht alle Wissenschaftler, auch wenn manche den Mund so voll nehmen, dass man denken könnte, sie hielten sich dafür, Sportlehrer scheinen hier prädestiniert zu sein.

Der, der nach Ansicht von Triebel „bewiesen“, nein „wissenschaftlich bewiesen“ haben soll, dass Sitzenbleiben nichts bringt, trägt den Namen John Hattie und hat 2008 ein Buch mit dem Titel „Visible Learning“ veröffentlicht, ein Buch, in dem er an keiner Stelle den Anspruch erhebt, etwas bewiesen zu haben, vielmehr ein Buch, in dem Hattie die Forschungsergebnisse für alle Bereiche, die nach seiner Ansicht den Schulerfolg eines Schülers beeinflussen, zusammenstellt. Unter diesen Bereichen findet sich: (grade) Retention, das Sitzenbleiben in englischer Sprache. Das entsprechende Kapitel gehört zu den kürzeren des Buches von Hattie und basiert im Wesentlichen auf den Ergebnissen von Holmes, der 1989 und 1983 zwei Meta-Studien zu diesem Thema veröffentlicht hat.

Historische Forschung, wenn man so will, die zudem methodisch fehlerhaft ist, wie man der Zusammenfassung der Holmesschen Ergebnisse entnehmen kann:

„Thus the groups of non-promoted or retained students scored d = 0.15 standard deviation units lower than the promoted comparison groups on the various outcome measures, over most academic and personal educational outcomes and at every age level.“

Es dürfte nicht verwunderlich sein, dass Schüler, die eine Klasse wiederholen müssen, weil ihre Leistungen erheblich hinter denen der Schüler zurückbleiben, die versetzt werden, in der Folge Schwierigkeiten haben, diesen Rückstand zu den Schülern, die versetzt wurden, wieder wettzumachen. Die eigentliche Frage, die sich mit Sitzenbleiben verbindet, kann auf diese Weise nicht beantwortet werden, denn sie zerfällt in zwei nur longitudinal operationalisierbare Bereiche:

  • Hätte der Schüler wenn er, obschon seine Leistungen nicht ausreichen, um die nächste Klassenstufe zu erreichen, dennoch versetzt worden wäre, besser oder schlechter abgeschnitten als er abgeschnitten hätte, wäre er sitzengeblieben?
  • Hätte die Leistung der anderen Schüler, die weiterhin mit einem Klassenkameraden konfrontiert sind, der weit hinter ihrem Niveau zurückbleibt, darunter gelitten?

Die erste Frage ist, wie gesagt, schwer zu operationalisieren, die zweite ebenfalls. Indes, die Interessen der Schüler, die mit Kameraden konfrontiert sind, die zwangsläufig das Unterrichtsniveau reduzieren, weil sie bereits das Leistungsniveau der letzten Klassenstufe nicht erreicht haben, sie spielen bei guten Menschen und Sportlehrern, die apodiktisch verkünden, dass „längst bewiesen“ sei, was sie gerade als Marotte mit sich herumtragen, KEINE Rolle.

SciFi-Support

Auch ScienceFiles muss finanziert werden.

Und es wird, angesichts stetig steigender Kosten, immer schwieriger, ScienceFiles zu finanzieren.

HELFEN Sie uns bitte dabei, den Laden am Laufen zu halten!

Es gibt drei Möglichkeiten, uns zu unterstützen:

Weitere Informationen finden Sie hier:

ScienceFiles-Unterstützung

Bei allen Unterstützern bedanken wir uns bereits an dieser Stelle sehr HERZLICH!

Keiner dieser Sitzenbleibengegner hat sich je gefragt, was dies für das Leistungsniveau der Klasse bedeutet, in der nun Schüler mitgeschleppt werden, die nachweislich den Lehrstoff des vorausgehenden Schuljahres nicht bewältigt haben. Vermutlich fällt diese Frage für Linke und andere Formen von grünen Maulhelden unter „Solidarität“, die man guten Schülern einfach abverlangt, weil man sich gerade durch die Protegierung von schlechten Schülern profilieren will.

Holmes, C. Thomas (1983). The Fourth R: Retention. Journal of Research and Development in Education 17(1): 1-6.

Holmes, C. Thomas (1989). Grade level retention effects: A meta-analysis of research studies. In L. A. Shepard & M. L. Smith (Eds.). Flunking grades: Research and policies on retention (pp. 16–33). London: Falmer Press.

Kehren wir zurück zu Hattie, der seinen kurzen Überblick über die Forschung wie folgt zusammenfasst:

„The research indicates that the threat of non-promotion is not a motivating force for students; grade retention does not generally improve achievement or adjustment for developmentally immature students; economically, grade retention is a poor use of the education dollar, because it increases the cost of education (the retained child spends an additional year in the public school system) without any benefits for the vast majority of retained children; characteristics such as low socioeconomic status and peer classroom conduct affect the likelihood that a child will be retained (Byrnes, 1989).

Perhaps one of the most frightening and costly effects of retention is the increased risk of dropping out of school. …“ (Hattie, 2008: 98)

Für Hattie ist durch die Ergebnisse also nichts BEWIESEN, die Ergebnisse legen nach seiner Ansicht vielmehr den Schluss nahe (indicate), dass Sitzenbleiben, die betroffenen Schüler nicht generell zu besserer Leistung motiviert bzw. ihre Leistungen verbessert. Wobei allein das Wort „generally“ ausreicht, um einmal mehr die Ergebnisse anzuzweifeln, denn offenkundig gibt es eine Standardabweichung von dem, was „generally“ zu erwarten ist, d.h. Schüler, die durch ihr Scheitern an einer Versetzung den Weckruf erhalten, den sie benötigt haben, um sich auf den Hintern zu setzen und Schülern, die an der nicht erfolgten Versetzung keinerlei Anstoß nehmen, vielmehr ihre Zeit in der Schule weiter ohne großes Engagement, vielleicht durch intellektuelle Defizite verursacht, absitzen.

Auch bei Hattie findet sich keinerlei Hinweis auf die Kosten, die durch Nicht-Sitzenbleiben von Schülern, die das Klassenziel nicht erreicht haben, den Schülern entstehen, die das Klassenziel erreicht haben. Vermutlich ist es diese Unfähigkeit oder Unwilligkeit, ein Thema genauer zu betrachten, die Grüne und andere Linke anzieht. Indes muss man Hattie zugute halten, dass er immerhin versucht hat, die spärlichen Ergebnisse, die es zum Thema „Sitzenbleiben“ gibt, für das dem deutschen Schulsystem nicht vergleichbare angelsächsische System zusammenzustellen. Eine vergleichbare Arbeit, die Sitzenbleiben im deutschen Schulsystem zum Gegenstand hat, fehlt bislang, sie fehlt schon deshalb, weil das, was Triebel als „längst erwiesen“ ansieht, im deutschen Kontext weitgehend unerforscht geblieben ist.

Kosten finden sich bei Hattie als Schulkosten pro Schüler, die durch Sitzenbleiben erhöht werden, ein Hinweis, den Triebel wohl gierig aufgenommen hat:

„Ein Platz in einer Schule kostet im Jahr laut Statistischem Bundesamt 11.300 Euro. Bedeutet: Sitzenbleiben kostete in Bayern laut grünen Berechnungen 2022/2023 an die 260 Millionen Euro.“

Eine Rechnung, wie sie nur Grüne anstellen können. Denn diese Berechnung ist Unfug, da der Schüler, der sitzengeblieben ist, wäre er nicht sitzengeblieben die Kosten in der Folgeklasse verursachen würde und Sitzenbleiben eine mehr oder minder rechtszensierte Angelegenheit ist, die in das Verlassen einer Schule ohne Schulabschluss mündet. Wenn Sportlehrer rechnen, dann kommt dabei ein Bocksprung heraus. Zumindest wäre zu kontrollieren, wie viele Sitzenbleiber mit dem Ende der Schulpflicht und somit kostenneutral die Schule verlassen haben.

Und wenn man nun noch bedenkt, dass diejenigen, die so falsch mit den Kosten des Sitzenbleibens argumentieren, diese Kosten durch Mehrkosten, wie sie mehr Personal, mehr „individuelle Betreuung“ und mehr „Diagnostik (was auch immer das sein soll)“ verursachen, REDUZIEREN wollen, dann kann man nur feststellen, dass es Leute gibt, die besser Sportlehrer geblieben wären.

Runden wir den Beitrag mit ein paar Zahlen zum Sitzenbleiben ab, die wir heute beim Statistischen Bundesamt gesourced haben.

Sitzenbleiben ist in 60% der Fälle eine Angelegenheit von männlichen Schülern, Sitzenbleiben kommt am häufigsten in der Mittelstufe (Klassen 8 und 9) und nach der 10. Klasse vor und, wie wir seit 2004 auf Basis der Auszählung von Krohne, Meier und Tillmann wissen, betrifft das Sitzenbleiben insbesondere Schüler, die oder deren Eltern zugewandert sind.

Jährlich müssen in Deutschland rund 150.000 Schüler eine Klasse wiederholen. Das entspricht einem Anteil von rund 2,3%, wobei der Anteil zwischen 1,2% in (ausgerechnet) Berlin und 3,7% in Mecklenburg-Vorpommern (Bayern: 3,5%) variiert.

An der Größenordnung hat sich seit 2013 wenig geändert, mit der Ausnahme des Lockdown-Jahres, das offenkundig dafür gesorgt hat, dass rund 60.000 potentielle Sitzenbleiber versetzt wurden. Temporäre Schulschließungen wirken sich negativ auf Sitzenbleiben aus… Generell gilt, was bei den meisten Dingen, die Schulerfolg negativ beeinflussen gilt: Jungen sind davon deutlich häufiger betroffen als Mädchen, was nur naive Personen als einen Beleg für den größeren Lerneifer von Mädchen ansehen können.

Wie die folgende Abbildung zeigt, sind die 8. und die 9. Klasse die Klassenstufen, in denen Sitzenbleiben am häufigsten ist, gemeinhin in der 9. Klasse dann wohl mit einem Schulabgang ohne Abschluss verbunden.

Falls Sie unsere Arbeit unterstützen, und dafür sorgen wollen, dass bei ScienceFiles auch weiterhin das Rad rund läuft, dann kaufen Sie uns doch einen Kaffee:
Oder unterstützen Sie uns auf einem der folgenden Wege Unser herzlicher Dank ist Ihnen sicher! DENN: ScienceFiles lebt von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen, damit Sie uns auch morgen noch lesen können!


Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:

Donorbox

Unterstützen Sie ScienceFiles


Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion

Zum Spenden einfach klicken

Unser Spendenkonto bei Halifax:

ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):

  • IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
  • BIC: HLFXGB21B24

Folgen Sie uns auf Telegram.


Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org


Print Friendly, PDF & Email

Zur Quelle wechseln
Author: Michael Klein
Michael Klein

Teile den Beitrag mit Freunden
Werbung