„Schule ist scheiße.“
Mit diesem Satz startet die SPD-Fraktion Thüringen in das neue Schuljahr. Nein, das ist kein Witz. Und auch kein bearbeitetes Satirebild. Es ist ein offizielles Plakat. In Erfurt. In anderen Städten. Großflächig, in Kreideschrift auf schwarzem Hintergrund – als wäre es direkt aus einem Klassenzimmer entnommen.
Darunter, etwas kleiner:
„… ohne die Bildungspolitik der SPD-Fraktion.“
Man wolle „provozieren“, „zum Nachdenken anregen“, vielleicht auch ironisieren – so heißt es später in den Kommentaren auf Facebook. Doch für viele Lehrer, Eltern und Schulbeschäftigte ist dieser Spruch vor allem eines: ein Schlag ins Gesicht.
Denn das Timing könnte absurder nicht sein. Pünktlich zum Schulstart, während Zehntausende Lehrerinnen und Lehrer nach Ferien, Konferenzen und Vorbereitung wieder an die Front des Bildungssystems zurückkehren, erklärt eine Regierungspartei öffentlich: „Schule ist scheiße“ – und glaubt, das sei gute Werbung.
Man kann sich ausmalen, wie das ankommt bei denen, die täglich mit Lehrermangel, Verhaltensauffälligkeiten, Prüfungsstress und überforderter Bürokratie kämpfen. Die auf Klassenfahrten fahren, weil sonst niemand will. Die Nachhilfe geben, wenn der Lehrplan zu knapp ist. Die Unterricht halten, wenn andere streiken. Und die still ihren Job machen – während andere plakatieren.
Natürlich versucht sich die SPD zu rechtfertigen. Man wolle ja gerade zeigen, was ohne die SPD droht. Ein „kommunikativer Kunstgriff“ sei das, ein „Stilbruch“, ein „Eye-Catcher“. Doch was bleibt, ist das Wort: Scheiße. Und das klebt nun am Tafelhintergrund. An der Schule. Am Lehrerbild.
Es ist ein weiterer Tiefpunkt einer politischen Kommunikation, die auf Reiz statt Respekt setzt. Die lieber Aufmerksamkeit heischt, als Verantwortung zu zeigen. Die sich selbst für clever hält – und dabei nicht merkt, wie viel Porzellan sie zerschlägt.
Ursprünglich war dieser Text anders.
Er enthielt wörtliche Zitate einer Lehrerin aus Thüringen. Wütend, klar, klug. Eine, die das System kennt, weil sie mittendrin steht. Ihre Worte waren stark. Ihre Analyse war schmerzhaft präzise.
Doch dann kam die Angst.
Angst, erkannt zu werden.
Angst, dass jemand einen Zusammenhang sieht.
Angst, dass das Schulamt fragt, wer mit Journalisten spricht.
Und dann die Bitte: Nicht wörtlich. Bitte schreib von einem „Freund“. Oder gar nicht.
Deshalb blieb nur das Paradoxon, das so vieles über dieses Land erzählt:
Ein Plakat darf „Schule ist scheiße“ sagen – laut, öffentlich, groß.
Aber wer es kritisiert, muss still bleiben.
Ausgerechnet die, die Schule noch retten wollen.
Vielleicht ist das Problem gar nicht das Plakat.
Vielleicht ist das Problem die Angst.
Aber das ist eine andere Geschichte.
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