Woher kommt dieses verbissene Festhalten der sich selbst als „Koalition der Willigen“ bezeichnenden westlichen Ukrainekriegsfinanziers?
Putin spricht heute nicht nur mit Trump, weil der US-Präsident der politisch mächtigste Mann der Welt ist. Am Freitagabend nach europäischer Zeit kommen die beiden zusammen, weil Trump diesen Krieg nicht mit immer mehr Waffen und der bedingungslosen Kapitulation Russlands sondern auf dem diplomatischen Weg beenden will. Das hatte er schon im Wahlkampf versprochen – damals war sogar die Rede davon, dass Trump den Krieg in 24 Stunden beenden will, später wurden es drei Monate. Aber diese Versprechen erwiesen sich als haltlos.
Auch Merz wählte heute früh um kurz nach fünf Uhr den Begriff „bedingungslos“, als er forderte, dass Putin nach dem Treffen mit Trump ohne Bedingungen in Verhandlungen mit der Ukraine eintreten muss. Merz hatte sich spätestens nach seiner umstrittenen Entscheidung, Israel keine Waffen mehr zu liefern, zu so etwas wie einem Sprecher der europäischen Geldgeber eines schon Jahre andauernden Gemetzels gemacht. Dieses in der Sache beinahe provinzielle Eigeninteresse diktiert auch die Wirkung der Lautäußerungen des Deutschen.
Und die europäischen Kollegen lassen ihn gewähren frei nach dem Motto: Soll sich doch bitte der deutsche Bundeskanzler die roten Ohren holen.
Schon gestern hatte Merz den Ukrainer einbestellt oder der hatte sich selbst ins Kanzleramt eingeladen, um für eine Videokonferenz knapp 1400 Kilometer zu reisen – eine Schaltung also, so, als stecke man ausgedruckte E-Mails in einen Briefkasten.
Der Begriff ist angesichts des anhaltenden Grauens in diesem Krieg kaum angebracht, aber was Merz da inszeniert, sind Mätzchen. Entweder man tritt dem US-Präsidenten mit offenem Visier gegenüber und hat was Schlagkräftiges in der Faust oder man lässt es einfach. Dieses Insistieren mit hochgezogener Augenbraue und weisen Ratschlägen aus dem „alten Europa“ zeigt einmal mehr, in welcher Zeitschleife Merz weiterhin gefangen ist.
Schon einmal hat eine deutsche Regierung sich gegen die US-Regierung gestellt und die Folgen unterschätzt, mit denen wir uns bis heute herumschlagen müssen. Nachdem Kanzler Schröder und Außenminister Fischer – womöglich sogar zu Recht – dem US-Präsidenten Georg W. Bush den Krieg versagten, ging es stetig bergab mit der deutsch-amerikanischen Freundschaft.
Nach der Finanzkrise fielen die Dominosteine der deutschen Wirtschaft, die Banken mussten ihre internationalen Ambitionen aufgeben, die deutsche Chemieindustrie etwa stolperte über den Monsanto-Glyphosat-Deal und Dieselgate nahm ebenfalls seinen Beginn in den USA – ohne die Schuld der deutschen Autoindustrie damit mindern zu wollen.
Anschließend haben die US-Kriege im Nahen Osten eine illegale Zuwanderungswelle nach Europa und vor allem nach Deutschland ausgelöst, die bis heute nicht enden will.
Was ist die Lehre daraus? Leg dich nicht mit den Amerikanern an, wenn du die Folgen nicht einschätzen kannst. Oder andersherum: Leg dich erst recht nicht mit ihnen an, wenn du die Folgen übersehen kannst. Weiß Merz noch, was er da tut? Wusste er es je?
Zur Wahrheit gehört ebenfalls dazu, dass die Amerikaner alles andere als erklärte Gegner dieses Krieges sind oder waren. Die Unterstützung für die Ukraine war in den vergangenen Kriegsjahren gewaltig und die US-Waffenindustrie floriert wie nie.
Der US-Verteidigungsmarkt wird für 2024 auf 617,29 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll bis 2032 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 0,67 Prozent auf 651,16 Milliarden US-Dollar wachsen. Die USA dominieren den globalen Waffenmarkt mit einem Anteil von 43 Prozent an den weltweiten Rüstungsexporten, was mehr als viermal so hoch ist wie der des nächstgrößten Exporteurs, Frankreich. Und damit sind wir noch nicht einmal beim Engagement der USA in der Ukraine über die vergangene Dekade hinweg angekommen.
Trump und Putin weisen übrigens gewisse Ähnlichkeiten auf: Beide erwecken zwar den Eindruck einer offenen Kommunikation ihrer Politik, dennoch kommen viele Entscheidungen überraschend. Wenn Trump gegenüber der EU, der Koalition der Willigen und ihres Sprechers Merz bisher ruhig hält, dann heißt das noch lange nicht, dass es dazu nicht in ihm gärt.
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Nach dem desaströsen Auftritt von Merz gestern nach einem offensichtlich unbefriedigenden Gespräch mit Trump via Videoschaltung – mit Selenskyj auf dem Schoß oder andersherum – legte der Bundeskanzler heute früh um kurz nach fünf Uhr noch einmal nach und diktierte dem US-Präsidenten per X, was der heute beim Treffen mit Putin zu tun und zu lassen habe.
Aber auch Merz wird sich, wenn dieser Wahnsinn einmal zu Ende ist, verantworten müssen, warum er diesen Krieg immer weiter befeuert und anscheinend die Möglichkeit für diplomatische Versuch zu oft ignoriert oder gar torpediert hat.
Die Mütter, die Frauen und die Kinder der Toten werden Fragen stellen, wenn die Zeit gekommen ist. Es war Merz, der noch mit einem abgewählten Bundestag die nächste gigantische Anschubfinanzierung für Waffen gegen das Wählervotum durchgesetzt hatte.
Der Kanzler schrieb um 5:02 Uhr, dreieinhalb Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine habe Russland die Gelegenheit, einem Waffenstillstand zuzustimmen und die Feindseligkeiten einzustellen. Und Merz ergänzte seinen Morgengruß nach Alaska unter anderem so:
„Wir erwarten von Präsident Putin, dass er das Gesprächsangebot von Präsident Trump ernst nimmt und nach dem Treffen in Alaska ohne Bedingungen in Verhandlungen mit der Ukraine eintritt.“
Auch Trump wird verstanden haben, dass die Erwartungen zunächst an ihn und nicht an Putin gerichtet sind. In jedem Moment dieser komplizierten Vorbereitungsphase wirft Merz mit Steinen. Nein, nicht mit besonders großen, aber es sind Kiesel, die Trump immer wieder wie lästige Fliegen abschütteln muss. Oder in der Sprache von Trump:
„This guy’s really pissing me off, big league!“
Dabei geht es Trump auch nach Selbstbekunden zunächst nur darum, eine Atmosphäre zu schaffen, die es ermöglichen soll, möglicherweise ebenfalls in Anchorage, dass Putin endlich mit Selenskyj zusammentrifft und die beiden diesen Krieg irgendwie beenden.
Was die „Willigen“ und hier insbesondere die deutsche Führung über Jahre hinweg als Verrat an der ukrainischen Sache deklariert haben, kann jetzt wahr werden: ein auf dem Wege der Diplomatie erreichtes Ende dieses massenhaften Sterbens junger Ukrainer und Russen.
Man kann uns jetzt jedenfalls nur wünschen, dass Präsident Trump die neuerlichen Offerten von Merz nicht zu sehr in den falschen Hals bekommt und einfach als das abtut, was sie nun mal sind:
Zunächst einmal ein durchschaubarer innenpolitischer Profilierungsversuch von Merz und zudem ein Festhalten an der Idee, dass diese hunderte von Milliarden Euro ukrainische Waffenhilfe auch nur annähernd irgendeinen Sinn gemacht haben, den man nicht im Vorfeld längst diplomatisch hätte erreichen können.
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Author:
Alexander Wallasch