Von Ekaterina Quehl
Es gab eine Zeit, in der ich in einem Projektbereich des Öffentlichen Dienstes gearbeitet habe. Und in dieser Zeit konnte ich einen Einblick in viele millionenschwere Förderprogramme und Projekte in diversen Bereichen werfen. Die Themen reichten von Migration bis hin zur Archäologie. Die Höhe der Fördergelder variierte von wenigen Hunderttausend bis zu mehreren Millionen Euro. Projektträger, also Organisationen, die für die Umsetzung der Projekte verantwortlich waren und dafür staatliche Mittel erhielten – waren ebenfalls sehr unterschiedlich: von gemeinnützigen Organisationen bis hin zu Kleinunternehmern. Verbunden hat diese Projekte nur eins: Sie alle waren sinnlos. Nicht im Sinne von „ohne Sinn“, denn irgendeinen Sinn hatten sie schon – zum Beispiel Menschen zu beschäftigen. Sondern im Sinne der Ergebnisse. Sie alle hatten ambitionierte Ziele, etwa Migranten auf dem Arbeitsmarkt besser zu integrieren oder die Digitalisierung im Bildungsbereich voranzutreiben. Millionen flossen, Menschen wurden beschäftigt. Doch die Ergebnisse schienen dürftig und die meiste Arbeit steckte in der Verwaltung. Was zählte, war einzig die Formalität: pünktliche Ausgabeberichte, pünktliche Anträge und halbwegs sinnvoll auf dem Papier erscheinende Projektmaßnahmen.
Einmal wurden Projektträger zum Geldgeber, also in eine Behörde, eingeladen, um die Ergebnisse eines millionenschweren Projektes zur Integration von Migranten auf dem Deutschen Arbeitsmarkt zu präsentieren. Als Ergebnisse hat der Verein einige selbstgenähte Kissenbezüge und selbstgeflochtene Körbe präsentiert. Die Geldgeber haben so getan, als ob das Geld zweckgemäß verwendet wurde, die Geldnehmer haben so getan, als ob sie für dieses Geld sinnvolle Arbeit gemacht haben und Migranten, die Kissenbezüge genäht haben, haben wahrscheinlich so getan, als ob sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt integriert wurden.
Dieses Schema bedienen der Staat und die Geldnehmer schon lange. Viele nutzlose Projekte wurden schon mit Millionen an Steuergeldern umgesetzt – und viele werden noch umgesetzt.
Doch der hellste Stern am Förderhimmel scheint aktuell der Hitzeschutz zu sein. Und weil der Sommer auch dieses Jahr nicht mitspielt, die Hitze nur gelegentlich in Deutschland vorbeischaut, übernimmt der Staat jetzt die Rolle der Sonne – mit violetten Warnstufen, unzähligen Hitzeschutzplänen, Statistiken für politisch korrekte Wahrnehmung von Temperaturen, ja sogar einem „Klimaanpassungsgesetz“.
Um diesen Aktionismus anschaulich zu machen, möchte ich hier Deutschlands fünf absurdeste Projekte gegen Hitze vorstellen. Und da Absurdität ein ziemlich subjektiver Faktor ist, habe ich sie nach folgenden Kriterien ausgewählt:
- sinnlos, weil es nicht heiß ist;
- sinnlos, obwohl es heiß ist;
- ein Fahrrad wurde gerade neu für Ihre Steuergelder entworfen.
Projekt Nummer Eins.
„Hitzeaktionsstand“ mit „Hitzelotsinnen und Hitzelotsen“, Hamburg
Über das Projekt:
„Um gezielt über Hitzerisiken aufzuklären und niedrigschwellige Hilfe anzubieten, startet das Bezirksamt Bergedorf im August erstmals einen „Hitzeaktionsstand“…“Am Stand erhalten Passantinnen und Passanten praktische Informationen rund um den Umgang mit Hitze: von Verhaltenstipps bis zu Fragen wie „Wer gehört eigentlich zur Risikogruppe?“. Daneben stehen kostenlose Sonnencreme, Trinkwasser und bei Bedarf ein schattiger Sitzplatz bereit. Unterstützt wird das Team des Bezirksamts von den ersten fünf „Hitzelotsinnen und Hitzelotsen“ – engagierten Ehrenamtlichen, die im Rahmen des Projekts geschult wurden“.
Dechiffriert:
Es gibt einen schattigen Stand, an dem Projektmitarbeiter Ihnen erklären, dass man viel trinken sollte, wenn es heiß ist. Und dass ältere Menschen besonders hitzeempfindlich sind, weshalb Schatten generell von Vorteil ist. Und zweifeln Sie an ihren Worten nicht: Es handelt sich um „geschulte“ Experten. Wenn es gerade nicht regnet, dürfen Sie sich sogar auf einen der schattigen Plätze setzen. Vielleicht gibt es dazu sogar Wasser. Für Ihre Steuergelder, versteht sich.
Projekt Nummer Zwei.
„Grünes Zimmer“ – „Temporäre Begrünung zum Hitzeschutz in der Nordstadt“, Dortmund
Über das Projekt:
Bereits letztes Jahr wurde ein „Grünes Zimmer“ auf dem Vorplatz der St. Joseph Kirche aufgebaut. Es soll auf das Thema Hitze in der Stadt aufmerksam machen…Das mobile Grüne Zimmer ist eine temporäre Begrünung im öffentlichen Raum, bestehend aus einer Plattform und zwei Wänden, die mit zahlreichen Pflanzen begrünt sind. Es trägt durch den gespendeten Schatten und den Verdunstungseffekt der Pflanzen zur Abkühlung bei und verbessert die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum.“
Dechiffriert:
Falls Ihnen bei 20-Grad-Hitze zu warm wird oder Sie sich nicht in der Lage fühlen, in einem Park oder unter Bäumen einer Allee eigenständig ein schattiges Plätzchen für Ihre Trinkpause zu finden – nutzen Sie diese einmalige Gelegenheit. Verbessern Sie Ihre „Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum“, indem Sie sich auf eine Plattform mit zwei begrünten Wänden setzen. Die Pflanzen wurden vorübergehend für Sie organisiert. Und bezahlt haben Sie sie sowieso schon.
Projekt Nummer Drei.
„Digitale Schattenkarten“ beziehungsweise „Erfrischungskarten“, Berlin
Über das Projekt:
„Klimatische Unterschiede in der Stadt besser verstehen und erfrischende Orte finden, dabei hilft die Erfrischungskarte, eine Webkarte vom Berliner Stadtgebiet, die Temperaturverhältnisse, Kaltluftverhältnisse und Schattenbereiche visualisiert…Es werden außerdem verschiedene Orte, wie Freibäder, Grünanlagen und Wasserspielplätze angezeigt, an denen sich die Bürger*innen in Berlin an heißen Tagen erfrischen können. Mittels der Teilfunktion können Nutzer*innen Ihren Lieblingsort abspeichern und teilen.“
Dechiffriert:
Falls Sie sich an einem heißen Tag in der Berliner Betonwüste verirrt haben und kein Schatten weit und breit zu sehen ist – bitte nicht Google Maps öffnen. Halten Sie einen Moment inne und nutzen Sie stattdessen die offizielle „Digitale Schattenkarte“. Sollte der nächste Schatten erst 800 Meter entfernt liegen, hatten Sie eben einen schlechten Tag erwischt.
Projekt Nummer Vier.
„Kühle Spur“ – Deutschlands erster Radweg, der an den Klimawandel angepasst ist, Lausitz
Über das Projekt:
„30 Kilometer lang, überwiegend schattig-kühl und mit Bademöglichkeiten, einer guten Anbindung an den ÖPNV und kaum Straßen… Entwickelt wurde er von Forschenden des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) sowie der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). Das Projekt soll zeigen, wie Radwege künftig auszugestalten sind, um sie an den Klimawandel anzupassen….Solche Maßnahmen reichen von einer entsprechenden Streckenführung – etwa durch Wälder – über die Anlage von Trinkbrunnen hin zur Pflanzung von schattenspendenden Landschaftselementen wie Bäumen entlang von Fahrradwegen“.
Dechiffriert:
Radwege wurden zuvor immer an baum- und schattenlosen Orten gebaut – dort, wo kein einziger Baum steht und selbst der eigene Schatten fehlt. Besonders zwischen Städten und Dörfern. Um zu verstehen, dass es sinnvoller ist, kilometerlange Radwege entlang der dort ohnehin wachsenden Wälder zu bauen, muss man „Forschenden“ viel Geld geben, damit sie diese wertvolle Erkenntnis der breiten Öffentlichkeit als bahnbrechende Innovation verkaufen können.
Projekt Nummer Fünf. Der Gewinner.
„Regentonne“, Berlin
Über das Projekt:
„Die Zukunft der Spree ist ungewiss. In Berlin könnte das Wasser knapp werden“, fängt die Berliner Zeitung ihren Beitrag über das Projekt an. „Die graue mit Graffiti beschmierte Tonne am Eingang der Jane-Godall-Schule ist absolut unscheinbar… Mit dieser Regentonne – und anderen Projekten – sei der Berliner Bezirk in einer Vorreiterrolle… Ihr Zweck: Sie sammelt Regenwasser, das die Anwohnerinnen und Anwohner auf die umstehenden Bäume verteilen können, die wiederum im Sommer für Schatten und natürliche Abkühlung sorgen.“
Dechiffriert durch unseren Leser, der uns den Artikel über die „Regentonne“ geschickt hat:
„Das Aufstellen einer Wassertonne, aus der man Wasser entnehmen kann, um damit Bäume zu gießen, feiert Berlin als das Ereignis zur Klimarettung! Es ist nicht nur die Infantilität der Politik, es ist eine Beleidigung des Intellekts von uns Berlinern.“
„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es schon Methode“, um diesen Aktionismus mit den Worten aus Hamlet zu beschreiben.
Es geht nicht darum, in Richtung Italien, Spanien und Griechenland zu schauen und deren Maßnahmen in Deutschland umzusetzen – für die Tage, an denen es mal wirklich heiß sein könnte. Zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden überall Klimaanlagen zu installieren und in der Stadt kostenlose Trinkbrunnen einzurichten. Wahrscheinlich für viel weniger Geld als all diese Projekte kosten. Nein, es geht darum, im Konsens einer existierenden Hitze-Gefahr so zu tun, als ob man etwas gegen sie täte – für Ihre Steuergelder. Als sei die Welt kurz vor dem Kollaps, um Projekte zu rechtfertigen, die ihn ohnehin nicht aufhalten würden. Warum man das macht, ist ein Thema für einen eigenen Beitrag.
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Sie arbeitet für reitschuster.de.
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