Gestern schrieb ich über eine Lokalzeitung, die Aussagen eines AfD-Kandidaten nicht veröffentlichte – sondern an die Polizei übergab. Heute folgt der nächste Fall. Nur kommt er diesmal nicht aus einer Redaktion, sondern direkt aus dem Rathaus.
Die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, Jutta Steinruck (parteilos, bis 2023 SPD), hat laut einem Bericht von „Nius“ gezielt nach belastendem Material gegen einen Gegenkandidaten, den rheinland-pfälzischen AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Paul gesucht und zwei vermeintliche Hinweise an den Verfassungsschutz weitergeleitet. Kurz darauf wurde Paul vom Wahlausschuss tatsächlich ausgeschlossen – mit Begründung der „mangelnden Verfassungstreue“. Dagegen klagt er nun vor Gericht.
In ihrem Denunziations-Schreiben an den Verfassungsschutz nennt Steinruck zwei Punkte: Erstens verweist sie auf einen Eintrag in Pauls Wikipedia-Seite. Dort heißt es, Paul sei im Dezember 2023 von seiner Partei für alle Ämter gesperrt worden, weil er angeblich den sogenannten „White Power“-Gruß gezeigt habe. Paul bestreitet das. Auch ein Parteigericht sah offenbar keine ausreichende Grundlage für den Vorwurf – die Sperre wurde in eine Abmahnung umgewandelt.
Zweitens nennt Steinruck einen Abschnitt aus dem Verfassungsschutzbericht 2024. Dort ist die Rede vom „Quartier Kirschstein“ – dem Koblenzer Wahlkreisbüro von Paul – als einem Ort, an dem Veranstaltungen der sogenannten „Neuen Rechten“ stattfanden. Paul selbst wird in diesem Zusammenhang nicht weiter erwähnt. Auch eine strafbare Handlung wird nirgends unterstellt.
Und doch wertete der Verfassungsschutz Steinrucks Schreiben als konkreten Hinweis. In der Rückmeldung des Landesamts heißt es, sie habe „Anhaltspunkte für ein Nichtvorliegen der Verfassungstreue“ übermittelt – eine Formulierung, die keinen Zweifel an der Stoßrichtung lässt: Die Bürgermeisterin agierte nicht neutral, sondern als politische Gegenspielerin. Und dieser Brief war offenbar mitentscheidend dafür, dass der Wahlausschuss Paul von der Wahl ausschloss.
Was hier passiert ist, sprengt jedes demokratische Maß: Eine amtierende Oberbürgermeisterin greift persönlich zum Mittel des Geheimdienstes – und erreicht damit den Ausschluss eines starken politischen Konkurrenten. Das ist nicht mehr nur ein schiefer Vorgang, das ist eine strukturelle Perversion. Eine direkte Einflussnahme auf die Zusammensetzung der eigenen Konkurrenz. Ein Wahleingriff, bei dem man unwillkürlich an finstere Zeiten denkt und einem das Wort „Stasi” in den Kopf kommt – bei aller Vorsicht, die bei solchen Assoziationen geboten ist.
Man braucht im „neuen Deutschland“ nach 16 Jahren Angela Merkel offenbar keine Stasi mehr – man hat Bürgermeister. Man hat Redaktionen, die Interviews nicht mehr drucken, sondern melden. Man hat einen Verwaltungsapparat und Medien, in denen sich immer mehr Menschen ganz selbstverständlich in Rollen einfügen, die in autoritären Regimen traditionell Geheimdiensten zufallen. Die Bundespressekonferenz schließt Journalisten aus, die kritische Fragen stellen (siehe mein Buch „Meine Vertreibung“)
Was hier entsteht, ist keine offene Gesellschaft mehr. Es ist ein Gesinnungsstaat – mit Presseausweis oder Amtsstempel.
Was hier geschieht, müsste in jedem Land, das noch halbwegs ehrlich nach demokratischen Maßstäben handelt und diese nicht zur Parodie macht, als Fanal gelten: Ein Kandidat für eine Oberbürgermeisterwahl wird ausgeschlossen. Nicht wegen eines Urteils. Nicht wegen einer belegten Straftat. Sondern wegen Hinweisen. Wegen Verdacht. Wegen eines „Verdachtsmoments eines Verdachtsmoments“, wie es sein Anwalt formulierte.
Für mich ist das gespenstisch. Mein Land, das ich früher selbst so gerne als Vorbild der Demokratie lobte, ist auf Abwegen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Und unzählige Geisterfahrer, gerade in den bürgerlichen Parteien, merken das noch nicht einmal und machen brav Männchen für dem Geist der DDR, der überall weht – allen voran Bundeskanzler Friedrich Merz von der CDU.
Was hier sichtbar wird, ist der schleichende Übergang von einer Demokratie zu einer Pseudodemokratie – einer politischen Fassade, hinter der längst andere Mechanismen walten. Der Weg dorthin beginnt fast immer gleich: mit einer moralischen Ausgrenzung, einer Dämonisierung. Wenn ein Gegner – wie hier die AfD – nicht mehr politisch bekämpft, sondern als unantastbares Feindbild behandelt wird, dann gelten plötzlich andere Maßstäbe. Dann scheint jedes Mittel erlaubt, jedes Vorgehen legitim, solange es „gegen die Richtigen“ geht. Doch gerade daran erkennt man, ob ein Land eine funktionierende Demokratie ist – oder nur so tut als ob.
Und besonders perfide ist, dass genau dieses Muster aus der DDR stammt: die ständige Warnung vor den „Faschisten“, also der „Gefahr von rechts“, das Moralisieren statt Argumentieren, das Ausschalten statt Aushalten. Angela Merkel hat diesen Reflex mit ihrer Biografie ins vereinte Deutschland getragen – und eine ganze Gesellschaft fällt darauf herein, mit einer Naivität, die fassungslos macht. Jahrzehntelang redete man sich ein, aus der Geschichte gelernt zu haben. Doch was heute passiert, zeigt: Die vielbeschworene „Vergangenheitsbewältigung“ war oft mehr Illusion als Einsicht – ein wohlklingendes Ritual, das der Wirklichkeit nicht standhält.
Wenn ein politischer Mitbewerber durch das Zusammenspiel von Rathaus, Innenministerium und Verfassungsschutz aus dem Rennen genommen wird – eingeleitet durch ein Schreiben der Amtsinhaberin – was, bitte, hat das noch mit echter Demokratie zu tun?
Man stelle sich vor, ein AfD-Bürgermeister hätte auf eigene Faust die Grünen-Spitzenkandidatin durch Google und Verfassungsschutzberichte durchsucht – und dann die Ergebnisse gleich an die Behörden weitergereicht. Und die Grüne wäre ausgeschlossen worden. Die Empörung wäre gewaltig. Doch in diesem Fall? Schweigen.
So wird das Prinzip der politischen Konkurrenz pervertiert: Nicht durch Überzeugung, sondern durch Ausschluss. Nicht durch Wahlkampf, sondern durch Aktennotiz. Und nicht auf dem Marktplatz – sondern durch Flurfunk in Amtsstuben.
Vorgestern war es der Vorstand der Bundespressekonferenz, der einen kritischen Journalisten rauswirft. Gestern war es eine Journalistin, die nicht mehr interviewt, sondern meldet. Heute ist es eine Oberbürgermeisterin, die nicht mehr diskutiert, sondern durchsucht. Morgen vielleicht ein Ministerpräsident, der seine Opposition verbieten lässt? Die Grenze ist längst überschritten – und wer das nicht erkennt, verteidigt keine Demokratie, sondern ihre Karikatur.
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Bild: Sven Mandel, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
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