Ende der 80er, Sozialkundeunterricht in Bayern. Mein Lehrer – ein Mann mit trockenem Humor – blättert mit uns durch die DDR-Verfassung. Wir lesen von Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit. „Das ist ja ein Paradies“, sagt jemand. Er lächelt müde und erklärt uns das Wort „deklaratorisch“: Rechte, die nur auf dem Papier stehen, die keine praktische Wirkung haben, sind wertlos. Ja, sogar gefährlich – weil sie den schönen Schein wahren, während die Realität das Gegenteil ist.
Fast vier Jahrzehnte später sitze ich vor dem Text des neuen EU-Medienfreiheitsgesetzes, das am Freitag in Kraft getreten ist – und höre die Stimme meines Lehrers. Wunderschöne Formulierungen, ein Hymnus auf die freie Presse. Doch in der Wirklichkeit herrscht in großen Teilen Europas ein Klima, das Kritiker einschüchtert, ausgrenzt und wirtschaftlich erdrosselt.
Auf dem Papier: Schutz vor politischem Druck, Transparenzregeln bei Medienbesitz, Verbot unrechtmäßiger Überwachung, Garantien redaktioneller Unabhängigkeit. Formal herrlich. Doch in der Praxis? Hohles Deklarativ ohne Folgen. Wer unbequem ist, zahlt einen Preis.
Und dann kommt Brüssel, klopft sich auf die Schulter und erklärt, man habe jetzt die Medienfreiheit „gesichert“. Die „Weltwoche“ beschreibt treffend, wie wenig diese Papiersicherung der Realität entspricht. Die meisten kapitulieren längst – nicht vor einer Zensurbehörde wie im 19. Jahrhundert, sondern vor der sozialen, ökonomischen und juristischen Keule, die sich jederzeit auf Kritiker senken kann.
Dabei ist das Mediengesetz nur ein Paradebeispiel für ein allgemeines Muster der EU-Bürokratie: Nehmen Sie die Monopolstrukturen und Preistreiberei an italienischen Strandbädern – offiziell durch Brüssel verboten. Die Eurokraten klopfen sich zufrieden auf die Schulter. Doch vor Ort bleiben die Monopol-Tarife dieselben. „Seht her, wir haben Regeln gemacht“, brüsten sie sich in Brüssel. Die Betreiber lachen: „Ist uns völlig egal.“
Das ist nur eines von vielen Beispielen. Wo es schwierig wird, kneifen die Eurokraten. Wo es nichts kostet, zeigen sie volle Härte. Nehmen Sie etwa das EU-weite Verbot von Plastikstrohhalmen oder die Vorschrift, Flaschendeckel an der Flasche zu fixieren. Das wird durchgesetzt mit einem Eifer – als hinge daran das Weltklima. Und wenn man Viktor Orbán mal piesacken will, ist man stark – aber wenn es ums wirklich heikle Durchgreifen geht? Dann sehen wir weg.
Medienfreiheit misst sich nicht an Gesetzen, sondern daran, ob ein Journalist das Unbequeme sagen darf, ohne Angst haben zu müssen. An diesem Maßstab ist Europa weit von Freiheit entfernt.
Ich habe meine Geschichte in meinem Buch erzählt: „Meine Vertreibung“. Wie Medienfreiheit, wenn sie bloße Deklaration ist, zum Minenfeld wird. Wer verstehen will, warum schöne Worte nichts nützen – findet dort die bittere Wahrheit.
Die eiskalte Pointe der ganzen Geschichte: Vielleicht meint Brüssel unter „Freiheit“ nur eines – die Freiheit, sich selbst zu belügen. Eine Freiheit, die allen autoritären Strukturen ohne ausreichende demokratische Kontrolle heilig ist.
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