Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, diesen Namen nie wieder in die Tasten zu tippen. Zu unangenehm war die Erinnerung an unsere Begegnungen in der Bundespressekonferenz. Zu aggressiv, zu herablassend, zu feindselig war sein Auftreten mir gegenüber. Einmal wurde es fast handgreiflich. Er beschuldigte mich damals, ich hätte ihn bei einem innigen Gespräch mit einer Kollegin auf der Bundespressekonferenz gefilmt und damit die „Vertraulichkeit des Wortes“ verletzt – obwohl ich nur fotografiert hatte. Er trat mir so nahe, dass ich mich körperlich bedroht fühlte. Und obwohl sich der Vorwurf als haltlos herausstellte, was ich anhand meiner Handy-Daten auch belegen konnte, tauchte er später – wie zufällig – in einem Hetzartikel der „Süddeutschen Zeitung“ wieder auf. Zufälle gibt’s…
Die Rede ist von Hanno Kautz, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Einer, der das geschafft hat, wovon gefühlt die halbe Bundespressekonferenz träumt – den Wechsel der Fronten, von den harten, oft prekären Journalisten-Bänken auf die mit Steuergeldern weich gepolsterten Regierungs-Sessel. Und genau dieser Herr sorgt nun erneut für Schlagzeilen – beziehungsweise: sollte für Schlagzeilen sorgen. Doch statt Empörung herrscht Schweigen. Dabei ist das, was da passiert ist, nichts Geringeres als ein Angriff auf die Pressefreiheit. Und ein bezeichnendes Stück deutscher Medienkultur, die lieber wegschaut, wenn es einen der Ihren trifft – solange er auf der richtigen Seite steht.
Was war geschehen? Nach einem Hintergrundgespräch im Gesundheitsministerium wurde ein zweiseitiges Papier über die geplante Krankenhausreform an wie immer sorgsam ausgewählte Journalisten verteilt – unter der sogenannten „Vertraulichkeit unter 2“, also zur Berichterstattung freigegeben, aber ohne Nennung der Quelle. Doch ein Journalist fotografierte das Papier und leitete es an das Bayerische Gesundheitsministerium weiter. Das reichte, um Herrn Kautz in Rage zu versetzen – genauso wie damals mein Forografieren im Saal der Bundespressekonferenz.
Offenbar hat Herr Kautz ein grundsätzliches Problem damit, zwischen beruflicher Rolle und persönlichem Ärger zu unterscheiden – besonders dann, wenn jemand nicht nach seiner Pfeife tanzt. Selbstbeherrschung gehört offenkundig nicht zu seinen Kernkompetenzen. Zumindest nicht in Momenten, in denen er die Kommunikationshoheit verliert. Da reagiert er gern allergisch – was bei einem Regierungssprecher nicht unbedingt beruhigend wirkt. Aber vielleicht liegt darin auch das eigentliche Muster: Wer sich selbst nicht im Griff hat, neigt dazu, andere kontrollieren zu wollen.
Der Mann mit dem sprechenden Familiennamen Kautz schickte eine Rundmail an die vorab handverlesenen Journalisten, von denen sich einer der gnädig gewährten Nähe zu ihm nicht würdig erwiesen hatte – und drohte. Wörtlich schrieb er: „Das ist eine Art der Unprofessionalität, die ich nicht mehr dulden werde. Sie schaden sich damit selber.“ Was für eine Wortwahl – ein Pressesprecher, der „nicht mehr duldet“. Es folgte die Ankündigung von Informationsentzug: „Weniger Zugang, kleinere Hintergrundkreise – keine Unterlagen.“ Dann die nächsten Sätze – unerträglich, stramm gegendert: „Es wäre mir eine Riesenfreude, den oder diejenige zu erwischen.“ Und weiter: „Deswegen mein Angebot: für Hinweise, die zur Ergreifung des Übeltäters/der Übeltäterin führen, setze ich eine Belohnung in Höhe von Exklusiv-Informationen nicht unter einer Agenturmeldung aus.“
Ob Kautz nach dem Drücken der Absender-Taste beziehungsweise spätestens nach ersten verwunderten Reaktionen selbst bemerkte, dass er zu weit gegangen ist, oder ob er von höherer, bedächtigerer Stelle zurückgepfiffen wurde, werden wir wohl nicht erfahren. Was wir wissen, ist, dass Kautz die Drohung nachträglich zur Ironie erklärte.
Kopfgeld auf Journalisten – und dann sagen: War doch nur Spaß? Willkommen im Kommunikationsstil des Jahres 2025. Natürlich fanden sich kaum Journalisten, die sich öffentlich empörten. Und genau das ist fast noch erschreckender als die Drohung selbst – die Reaktion darauf. Oder genauer gesagt: deren weitgehendes Ausbleiben.
Kautz selbst schrieb später, er habe zwar zahlreiche Rückmeldungen erhalten, doch lediglich „wenige“ Journalisten hätten sich „am Tonfall der Mail“ gestört – die meisten vielmehr daran, dass die Vertraulichkeit des Hintergrundgesprächs verletzt worden sei.
Wie verlogen muss ein Mediensystem sein, in dem ein Sprecher so auftreten kann, ohne dass seine Gesprächspartner aufstehen und den (virtuellen) Raum verlassen? Wie kann jemand mit so einer Drohung ohne jede Konsequenz, ja sogar ohne Entschuldigung davonkommen? Die Branche kastriert sich damit selbst – vielleicht auch, weil nicht wenige im Raum davon träumen, irgendwann selbst auf der anderen Seite des Mikrofons zu stehen. Der Seitenwechsel vom journalistischen Aufpasser zum ministeriellen Mitspieler ist in Berlin kein Tabubruch, sondern Karriereweg. Und man beißt ungern die Hand, von der man morgen vielleicht gefüttert wird.
Hanno Kautz ist dafür das ideale Beispiel. Bis 2018 Journalist in der Parlamentsredaktion bei der „Bild“, wo er offenbar nicht allzu kritisch mit der CDU umging – denn sonst hätte ihn Jens Spahn (CDU) kaum ins Ministerium geholt. Später diente er dann treu unter Karl Lauterbach (SPD), heute wieder einer CDU-Ministerin: Nina Warken. Kautz ist ein Mann, der gelernt hat, sich zu drehen. Muss das nicht zu innerem Frust führen? Zu Arroganz, Verbissenheit, Grimmigkeit? Zu einer stillen Wut, die sich irgendwann Bahn bricht – und alles andere überlagert?
Denn die gibt es – die andere Seite von Kautz. Die ich selbst erlebt habe. Einmal sprach ich ihn an, als er verletzt wirkte, mit verstauchtem Fuß. Wir unterhielten uns kurz über mögliche Therapien. Da war er auf einmal freundlich, fast kollegial – auf eine Weise, die mich überraschte. Er war wie ausgewechselt. Ein Moment der Irritation. Und vielleicht der Grund, warum ich diesen Text nicht nur als Anklage schreibe – auch wenn er sich vielleicht so liest. Sondern als Versuch, eine Antwort zu finden. Eine Erklärung. Dafür, wie ein System funktioniert, das Menschen dazu bringt, sich so zu verhalten. Denn wer weiß – vielleicht wäre Hanno Kautz jemand, mit dem man als Kollege sogar gerne mal ein Bier trinken würde. Wenn da nicht diese andere Rolle wäre. Diese andere Seite. Die einem irgendwann den Blick vernebelt – und vielleicht sogar auf den Charakter abfärbt.
Denn was hier sichtbar wird, ist mehr als ein Ausraster. Es ist ein System. Eines, in dem Sprecher zu Machtausübenden werden. In dem Drohungen als Ironie verkauft und Übergriffe banalisiert werden – wie in autoritären Staaten. Und in dem sich kaum einer traut, das Kind beim Namen zu nennen. Und wer es doch tut, wird ausgegrenzt. Oder ausgeschlossen. So wie ich.
Das ist der eigentliche Skandal.
Denn genau darin liegt das Problem unserer Presse: Dass sie gelernt hat, auch dann zu schweigen, wenn sie selbst das Ziel ist.
Der wahre Verlust ist nicht der eindeutige, und ohne Zweifel zu verurteilende Bruch der zugesicherten Vertraulichkeit durch einen Kollegen – sondern der Mut, über die Reaktion darauf zu sprechen. Die Drohungen. Das Duckmäusertum. Die Mitläuferei. All das wurde wieder zur Norm. Statt „nie wieder“ heißt es nun: „jetzt erneut“.
Dazu kommt das Buckeln nach oben und das Treten nach unten. Und der Wunsch so vieler Kollegen, es selbst irgendwann „nach oben“ zu schaffen. Ein Wunsch, der mir immer fremd geblieben ist. Denn ich für meinen Teil kann mir keinen größeren Albtraum vorstellen, als in einem Ministerium täglich erklären zu müssen, was ein Lauterbach oder ein Spahn gemeint haben könnte. Oder eine Nina Warken.
Dass zu viele Journalisten sich nicht mehr als Kontrolleure und Widersacher der Mächtigen sehen – sondern als Kandidaten für eine Verbeamtung durch diese.
Dabei ist die Entwicklung von Hanno Kautz eine Warnung – dass der Seitenwechsel ganz offensichtlich alles andere als befriedigend und sogar sehr belastend sein kann. Beamtenbezüge, Sicherheit und Macht wiegen nicht alles auf. Vor allem nicht die Freiheit.
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