Von Ekaterina Quehl
Was hat Anton Hofreiter mit Stalins Schnurrbart zu tun? Wer den Witz kennt, ahnt vermutlich schon, worauf dieser Text hinausläuft. Denn Stalins Schnurrbart ist ein russischer Witz, der sich wie ein diagnostisches Werkzeug auf Situationen anwenden lässt, in denen sich Politiker entlarven – auf eine Weise, die ihre ganze Heuchelei schlagartig sichtbar macht. Gerade dann, wenn es um die großen Wohlfühlthemen geht: Toleranz, Minderheitenschutz, Antidiskriminierung. Also genau jene Themen, die von den Grünen nur allzu gern zur eigenen Agenda erklärt werden. Aber zuerst der Witz:
Der berüchtigte Marschall Schukow brummt nach einer Visite bei Stalin „Arsch mit Schnurrbart“ vor sich hin. Stalin-Sekretär Poskrjobyschew, die Inkarnation des Speichelleckers und Denunzianten, schnappt das auf und rennt sofort zu seinem Chef, um zu petzen: „Schukow hat Sie gerade Arsch mit Schnurrbart genannt.“ Stalin lässt sofort Schukow rufen, ist außer sich vor Wut: „Haben Sie gerade ‚Arsch mit Schnurrbart‘ gesagt?“ Der geniale Schukow findet nach einer Schrecksekunde sofort wieder zu sich und entgegnet betont ruhig und gelassen: „Ja, Genosse Stalin. Ich habe selbstverständlich Hitler gemeint.“ Sodann dreht sich Schukow kühl zu Poskrjobyschew um: „Wen haben denn Sie gemeint, Genosse?“
Dass ausgerechnet Anton Hofreiter sich auf Poskrjobyschew-Weise entlarvt, würde man nicht denken. Denn offensichtlich zeigt sein LGBT-Engagement, dass ihm das Thema am Herzen liegt. Angeblich. Er posiert mit Regenbogensymbolen, plädiert für „Ehe für alle“ und kritisiert sogar Queerfeindlichkeit in Georgien. „Menschen sind unterschiedlich und verdienen in ihrer Unterschiedlichkeit Respekt und gleiche Rechte“, sagte er am internationalen Tag gegen Homophobie, Biphobie und Transfeindlichkeit.
Würde er selbst homosexuell oder transgender sein, so würde er wahrscheinlich mit Stolz seine Zugehörigkeit zu der Community tragen, für deren Rechte er doch so eifrig kämpft.
Wenn da nicht der Stalins Schnurrbart wäre.
Lesen Sie hier den unglaublichen Bericht einer Leserin, die wegen einer Äußerung auf X von Hofreiter angezeigt wurde – angeblich, weil sie ihn „in seiner Ehre“ verletzt habe.
Ab 6.1.2024 erhielt ich eine Vorladung vom Polizeipräsidium XXX. Ich sollte im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen Beleidigung als Beschuldigte vernommen werden. Ich erfuhr lediglich, dass ich die Straftat am 26.8.2023 um 20.19 Uhr – zu dem Zeitpunkt also ein Jahr und ca. fünf Monaten zuvor – begangen hatte.
Es musste sich um einen Post auf X handeln, doch in meiner Timeline konnte ich nur ein Jahr und drei Monate zurückscrollen. Ein Anruf bei dem betreffenden Kriminaloberkommissar brachte auch keine neuen Erkenntnisse, denn er durfte keine weiteren Auskünfte erteilen.
Entsprechend den Ratschlägen, die ich auf X gelesen hatte, nahm ich mir einen Anwalt (Kostenpunkt: ca. 600 Euro), der den Termin bei der Polizei absagte und Akteneinsicht beantragte.
Diese ergab, dass Anton Hofreiter über SoDone legal Anzeige gegen mich erstattet hatte, weil ich unter einem Foto von ihm gepostet hatte: „Ist der eigentlich auch eine Transfrau?“ Diese Äußerung soll ich gemacht haben, um ihn „in seiner Ehre zu verletzen“.
Ich fragte mich, warum Hofreiter sich beleidigt fühlt, wenn er mit einer Transfrau verglichen wird. Gerade Linke und Grüne haben doch eine Vorliebe für Transmenschen, aber für Hofreiter ist „Transfrau“ offenbar ein Schimpfwort. (Als Transmensch wäre ich darüber sehr gekränkt und als Queerbeauftragte würde ich Hofreiter mal ganz genau unter die Lupe nehmen …) Davon abgesehen ist es doch nichts Ehrenrühriges, trans zu sein.
Der Post bezieht sich weder auf Hofreiters Charakter noch auf seine politische Tätigkeit, noch nicht einmal auf sein Aussehen insgesamt, sondern nur auf seine Frisur. Er bedeutet mit anderen Worten: Hofreiter hat die Haare nicht schön. Dass diese Äußerung eine Straftat darstellen und ich deswegen als Straftäterin auf die Anklagebank gebracht werden soll, empfand ich als absurd.
Ich erhielt die Ladung zur Gerichtsverhandlung als förmliche Zustellung (die übrigens im Briefkasten des Nachbarn landete). Mein persönliches Erscheinen wurde angeordnet. Auf einem Vorblatt wurde ich belehrt, dass ich mit einer polizeilichen Vorführung, einem Strafbefehl oder einem Haftbefehl rechnen müsste, sollte ich zur Verhandlung nicht erscheinen. Hofreiter wurde als Zeuge geladen. Der letzte Satz lautete: „Es soll nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.“
Daraufhin wandte sich der Anwalt von SoDone an das Gericht mit der Bitte, eine schriftliche Stellungnahme von Hofreiter zu akzeptieren. Als Begründung wurde angegeben, dass er als vielbeschäftigter Politiker keine Zeit habe, um an der Verhandlung teilzunehmen. Außerdem führe er so viele Prozesse, weil er jede Beleidigung im Netz konsequent verfolge, dass er unmöglich an allen Terminen persönlich teilnehme könne, denn das würde bedeuten, dass er jeden Tag woanders hinreisen müsste. Gleichzeitig bat Hofreiters Anwalt, man möge ihm sein Aktenzeichen mitteilen, er könne die Korrespondenz im Moment nicht zuordnen …
Der Richter teilte ihm sein Aktenzeichen mit, lehnte jedoch sein weiteres Gesuch ab. Er bestand auf das Erscheinen des Zeugen und wies auf die rechtlichen Folgen hin, die für Hofreiter entstehen würden, wenn er dem Prozess fernbliebe.
Ungefähr zwei Wochen vor dem anberaumten Termin erhielt ich die Abladung. Die Verhandlung findet nicht statt. Grund der Aufhebung: Rücknahme des Strafantrags.
Gäbe es mehr so mutige, vernünftige und wirklich unabhängig entscheidende Richter wie diesen, fänden der Anzeigenspuk und die Terrorisierung der Bürger schnell ein Ende. Es wäre so einfach .
„Nie wieder“ war gestern: Der Fall Leandros zeigt, wie moralische Säuberung wieder schick ist
Wurde der Ton beim Weidel-Interview manipuliert? ARD unter Verdacht – Tontechniker entlarvt?
Merz taumelt ins Kanzleramt – aber um welchen Preis? Das wahre Drama hinter dem zweiten Wahlgang
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Sie arbeitet für reitschuster.de.
Bild: Shutterstock.com
Bitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr von Ekaterina Quehl auf reitschuster.de
Transfrauen von Migranten angegriffen – Deutsche sind schuld
Die Tat ist real, mutmaßliche Täter festgenommen und wieder auf freiem Fuß. Doch wer ist Schuld? Ein Fall von transfeindlicher Gewalt in Berlin zeigt, wie tief die ideologische Selbstvernebelung bereits reicht. Von Ekaterina Quehl.
„Unerwünschte Gifte im Gehirn“ durch die Hitze
Ein Arzt erklärt Gewalt mit Hitzeschäden im Hirn und rechnet psychische Störungen in Grad Celsius. Ein Satirischer Blick auf die Kunst, Täter zu therapieren und Realität zu relativieren. Von Ekaterina Quehl.
WDR-Quarks erklärt das Dorf zum Gesundheitsrisiko
Kinder, die auf dem Land schwimmen, tanzen und Rad fahren? Laut Quarks ein Klischee, das überprüft werden muss. Parallel fördert der Staat mit millionenschweren Modellmaßnahmen den glänzenden Smart-Citie-Traum. Beides mit Ihren Steuergeldern. Von Ekaterina Quehl.
Opferrolle als Geschäftsmodell
Opfer sein lohnt sich – zumindest rhetorisch. Wer Benachteiligung klug inszeniert, erhält Zugang zu Aufmerksamkeit, Förderung und Einfluss. Was dabei verloren geht: die echten Geschichten. Von Ekaterina Quehl.
Hitzewelle an Ostern: Deutschland am Limit
Viel trinken, intelligentes Lüften und Sonnenschutz: So bereitet sich das Land auf die große Osterhitze vor – bei frühlingshaften 15 bis 20 Grad und maximaler mediengetriebener Dramatik. Von Ekaterina Quehl.
Lockdown im Kopf: Wenn Unfreiheit sich freier anfühlt als Freiheit
Tausche Selbstbestimmung gegen Sicherheit, und die Welt wird einfach. Für manche ist Gehorsam keine Last, sondern Befreiung. Kontrolle beruhigt. Freiheit ist zu kompliziert. Stimmt das? Von Ekaterina Quehl.
Die stille Krise der Generation Z – Freiheit versus Konformität
In einer Welt der kleinen Bubbles hat sich bei der Generation Z Selbstzensur als Schutzmechanismus etabliert. Konformismus ersetzt Rebellion und experimentelle Freiheit. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Von Ekaterina Quehl.