• 20. Juli 2025

Sonntagmorgen-Drama im Wald mit ausgebildeter Hundeführerin

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Juli 20, 2025
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Was für eine dumme Kuh. Sonntagmorgen, etwas länger geschlafen, weil gestern Abend noch lange politisch debattiert. Und dann muss mir heute früh ausgerechnet so eine Person über den Weg laufen.

Ihr kennt sie alle: „Hundeführerin“, Mitte 50, stabiler Körperbau wie eine Profifußballerin und gefühlt den halben Tierladen an ihren erdfarbenen Funktionsklamotten karabiniert.

Nun ist es so, dass unsere Hündin eher dominant veranlagt ist, deswegen haben wir sie aus dem Wurf auch als Einzige behalten. Meine Frau sagt manchmal, sie habe bei der Geburt zu wenig Luft bekommen, tatsächlich war eines der sieben Welpen ein Problemfall. Aber dieser „Problemfall“ war eben auch immer am schnellsten an der Zitze und von Anfang an die mit Abstand kräftigste im Wurf.

Ihre Mutter war ein kluger und intelligenter Hund, sie konnte auf Zuruf zwischen einem Dutzend Spielzeugen unterscheiden und sie apportieren. Ihre Tochter hat dazu wenig Lust, sie bemüht sich nicht einmal. Dafür macht sie Freudensprünge und dreht aufgeregte Extrarunden, wenn man sie ausgiebig kämmt und ihr bei diesem Wetter das Unterfell ein wenig ausdünnt.

Aber ich schweife ab, wir müssen zurück in den lichten Wald. Hier gehe ich morgens gern mit dem Hund, es ist kühler als in der prallen Sonne, das ist auch für unsere im Oktober neun Jahre alte Dame eine Wohltat und man begegnet kaum mal einem Problemmenschen mit Problemhund. Herrchen kann sich also sammeln und ein paar Gedanken fassen, welche so eine Stille suchen.

Auf der Geraden sehe ich am Ende des Weges die „Hundeführerin“. Frau wird mir später erzählen, sonst gehe öfter ihr Mann. Den kenne ich tatsächlich, wir grüßen aus der Ferne, lächeln aus der Nähe und gehen uns ansonsten aus dem Weg, so wie das Männer eben machen, die gern mal für den Moment den Kopf freibekommen wollen, es ist ein gegenseitiges stilles Einvernehmen.

Wenn ich jetzt die Hunde der „Hundeführerin“ beschreibe, wissen die meisten gleich, was ich meine: „Die sind aus der Tötung.“ Der Satz passt genau auf diese drei (!) Hunde, zwei ohne Leine. Nun ist es durchaus bewundernswert, wenn Menschen leidenden Tieren ein neues Zuhause geben. Aber es ist eine Religion geworden. Und ich weiß auch, dass es gleich Widerspruch von überzeugten Hunderetterinnen gibt. Aber ich traue diesem „Geschäft“ mit Hunden nicht, die in Rumänien vor dem Hundefänger gerettet wurden.

Und ich fürchte auch, dass dadurch keinem einzigen Hund mehr das Leben gerettet wird. Werden immer welche „nachgezüchtet“? Aber ich will mir kein nicht vorhandenes Wissen anmaßen, dazu haben Fachleute umfangreiche Artikel geschrieben, die man im Netz nachlesen kann, wenn man sich interessiert.

Die Hunde der „Hundeführerin“ sehen so aus, wie man sich einen Hund aus der „Tötung“ backen würde: bemitleidenswert. Unscheinbar, grau, mittelgroß. Böse Menschen hätten früher räudig gesagt. Die Frau kommt also des Weges, ich rufe beim Näherkommen, ob sie wohl ein Stück rechts abbiegen könne, da geht nämlich ein Weg, den hier die meisten nehmen, wenn sie in den Wald kommen, ich bin ja schon auf dem Rückweg.

Aber Frau „Hundeführerin“ scheut keinen Kontakt, sie will nicht ausweichen, dafür war sie zu lange in der Hundeschule, hat zu viel Geld ausgegeben, um sich jetzt einmal am Objekt – also an mir und unserer Hündin – beweisen zu wollen, dass sich die Ausgaben wirklich gelohnt haben.

Sie ahnen, was kommt? Jeder Hundebesitzer hat solche Szenen schon erlebt. Noch fünfundzwanzig Meter, ich zeige mit richtungsweisenden Handzeichen nochmal in Richtung des abbiegenden Weges und schlage so freundlich vor, sie mögen mit ihren Hunden – die drei aus der Tötung, Sie wissen schon – doch ein paar Meter nach links abbiegen, damit ich vorbeikomme.

Aber Madame möchte lieber den Worst Case provozieren. Auch das kennt jeder Hundeführer, wir nennen es die „Salzsäule“. Die „Hundeführerin“ bleibt einfach mitten auf dem Weg stehen, lässt ihre Hunde Sitz machen, sichert den Raum zum Weg und wartet nun darauf, dass ich mit Hund an diesem Stillleben vorbeigehe. Der Weg ist eng, also wird es eng.

Ich bleibe aber einfach ebenfalls stehen. Wir haben ein Patt. Noch zehn Meter. Und schaue hinüber. „Wollen wir jetzt beide warten, was soll das?“, frage ich eher noch bittend als schon deutlich aggressiv. Denn ich kenne unsere Hündin, und andere Hundehalter kennen das auch: Zwar hat die „Hundeführerin“ eisern an der „Salzsäule“ trainiert, aber sie weiß auch, wie viel schwerer es ist, die Hunde gehend zu führen. Also bleibt sie einfach stehen und überlässt es dem Gegenüber.

Mein Standardsatz bei den dann unvermeidlichen Fletschereien ist dann meistens ein beschwichtigender: „Gut, dass wir die Leinen haben.“ Und ich habe eine stabile Leine und noch Kraft im Arm, wenn die Hündin zu sehr zieht. Also setze ich mich widerwillig in Bewegung, es wäre doch viel einfacher gewesen, wenn die kleine Gruppe einfach ein paar Meter ausgewichen wäre.

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Und wer seinen Hund kennt, der weiß, was das für eine zusätzliche Stresssituation ist, wenn man nicht aneinander vorbeigeht, sondern an einer per Hundeschule „künstlich erstarrten“ Gruppe vorbeigehen muss – noch dazu mit Tieren, welche die „Hundeführerin“ vor der Euthanasie gerettet hat.

Es sind ihre Kinder, es ist ihr Machtinstrument, verdammt nochmal, es ist doch ihr Leben! Böser: Ihre Sinnstifter nach der Leere, die auf die Wechseljahre folgt.

Das am Waldrand geparkte Auto meldet bereits jedem Vorbeifahrenden oder Vorbeigehenden mit einer Reihe von hinweisenden Aufklebern: Achtung, ausgebildete Hundeführerin im Wald! Um diese Frauen herum hat sich eine ganze Industrie aufgebaut.

Aber auch einzelne einsame Herren gleichen Alters haben sich diese Marktlücke zunutze gemacht und sich als Hundetrainer ausbilden lassen. Das ist die weniger mühsame Alternative zum Heilpraktiker, ebenfalls möglich wäre hier noch spiritueller Meister, indianischer Schamane oder Klangschalenbeschwörer.

Bevorzugt kümmern sich diese, oft mit dem Arbeitsleben der anderen auf Kriegsfuß stehenden Männer um Frauen, die noch wenig eigene Erfahrung mit Hunden haben und die noch ein paar Bücher (Cesar Millan & Co.) zurückliegen, bis das Wissen um das Halbwissen des Gegenübers das Schülerinnen-Lehrer-Verhältnis in Frage stellt. Aber dann hat der Hundeguru meist schon eine neue Welpenmutti gefunden, und die Undankbare wird geghostet.

Auf so eine Geghostete muss ich nun ausgerechnet am Sonntagmorgen kurz vor dem Heimweg treffen, alle Haufen und Seen gemacht und ein paar dringende Gedanken zu Ende gedacht.

Sie warten sicher schon drauf: Also kommen wir zum Unvermeidbaren, dem Gang vorbei an der Salzsäule. Ich halte den eigenen Hund kurz und im Auge, bilde mir aus Erfahrung ein, dass unsere Hündin meinen Nackenblick tatsächlich spürt und als zusätzliche Leine begreift – ja, so ein paar Hundeführerinnenbeschwörungssätze habe ich auch parat, behalte sie aber viel öfter für mich.

Und weil ich auch ein paar Multitasking-Tricks draufhabe, kann ich mit dem anderen Auge auch die Salzsäulentötungshunde im Blick behalten. Und der eine zieht tatsächlich die Lefzen hoch, aber offenbar gelernt geräuschlos, damit es seine strenge „Hundeführerin“ bloß nicht mitbekommt. Aber unsere Hündin bekommt es natürlich mit, sie hatte sich schon fast vorbeigearbeitet an diesem extra für sie bedrohlich aufgebauten Stillleben. Ganz tapfer.

Aber sie ist eben auch kein Hasenfuß, es ist ihr Wald, und mit neun Jahren weiß sie gelegentlich auch mal, wie man kessen Artgenossen einen klaren Hinweis gibt. Also setzt sie zu einem kurzen Scheinangriff an. Ein Ruck an der Leine in Richtung Salzsäule. Mehr nicht. Mehr wäre auch nicht gewesen, dafür kenne ich unsere Hündin zu gut, wir sind auch schon vorbei.

Aber diese typisch hündische kurze und belehrende Scheinattacke unserer Hündin hat nun die Hundeführerin mit ihren Lefzen ziehenden Schützlingen nicht besonders souverän aussehen lassen, denn sie hatte sichtbar Mühe, ihre Salzsäule zu halten, die für den Moment eher wie eine unfreiwillige artistische Einlage aussah.

Vorbei? Nein, natürlich nicht. In meinem Rücken baut sich an diesem herrlichen Sommersonntagmorgen ein verbales Gewitter auf. Mir wird die Hundeschule empfohlen und vieles mehr, was ich versäumt hätte. Es wurde auch nicht ruhiger. Warum nicht? Weil ich langsamer ging. Mich sammelte.

Denn wann hat man schon einmal Gelegenheit, am Sonntagmorgen die ganze negative Energie rauszulassen? Noch dazu im Wald, wo man unter sich ist? Wozu Birken umarmen, wenn man in so einer Wald-Encountergruppe mal richtig verbal loslassen kann? Also ließ ich einfach los.

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Author:
Alexander Wallasch

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