Wer kennt sie nicht – diese allgegenwärtige Angst der Frauen, in gewissen Vierteln nachts allein unterwegs zu sein – ob im Berliner Wedding, im Frankfurter Bahnhofsviertel oder in Problemzonen fast aller Städte. Wegen der Nazis. Die da auflauern, mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln. Die an der Straßenecke stehen und Frauen belästigen, überfallen, vergewaltigen.
Entschuldigen Sie mir diesen Galgenhumor. Aber anders kann man auf solche Geschichten kaum noch reagieren. Es geht um Spremberg. Eine Stadt in Brandenburg. Dort ruft die Bürgermeisterin öffentlich um Hilfe – weil im Stadtbild rechte Sticker auftauchen. Weil es offenbar Menschen gibt, die rechtsextreme Parolen von sich geben. Die Rede ist von „Druck im Alltag“, von „verängstigten Schülern“, von einer „Stadt, der geholfen werden muss“.
Nicht wegen Messergewalt. Nicht wegen Drogenbanden. Nicht wegen Ehrenmorden, Gruppenvergewaltigungen oder Antisemitismus auf Schulhöfen. Sondern wegen rechter Aufkleber.
Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Während in zahllosen deutschen Städten reale, massive Bedrohungslagen herrschen – nicht durch Worte, sondern durch Taten – feiert die „Welt“ diesen Hilferuf zur neuen Staatsaffäre hoch. Als müsse nun der Bundespräsident mit der Gulaschkanone anrücken.
Was hier passiert, ist mehr als nur ein journalistischer Kurzschluss. Es ist ein Symptom. Für eine Gesellschaft, die nicht mehr zwischen realer Gefahr und moralischem Alarmsignal unterscheidet. Für Medien, die nicht mehr berichten, sondern deuten. Und für Politiker, die nicht mehr handeln, sondern aufführen.
Gefühl vor Realität
Natürlich ist Rechtsextremismus – wie jede Form von Extremismus – eine Gefahr. Wer das leugnet, ist blind oder zynisch. Aber wenn ein Bürgermeister schon bei Stickern um Hilfe ruft, während andere Kolleginnen in Duisburg, Mannheim oder Berlin mit der organisierten Kriminalität ringkämpfen, dann stimmt etwas nicht mit den Prioritäten.
Wo bleibt der öffentliche Hilferuf einer Bürgermeisterin aus Berlin-Neukölln? Warum ruft keiner: „Da muss einer Stadt geholfen werden“, wenn Mädchen in Freibädern sexuell bedrängt werden oder Polizisten sich aus Angsträumen zurückziehen?
Stattdessen erleben wir eine neue Form von Erregungsbewirtschaftung: Wer sich auf der richtigen Seite empört, bekommt Sendezeit. Wer sich über die falschen Probleme aufregt – etwa über Gewaltimport, Messerattacken oder religiösen Fanatismus – gilt als Populist, Hetzer oder Nazi – und damit natürlich gleich selbst als Gefahr.
Der Staat spielt Theater
Es ist kein Zufall, dass sich das Drama von Spremberg in der Lausitz abspielt. Regionen wie diese sind für viele Hauptstadtredaktionen eine Mischung aus Exotik und Projektionsfläche: Irgendwo da draußen, wo die Arbeitsplätze verschwinden und die AfD wächst. Wer hier eine Nazi-Geschichte platzieren kann, darf sich sicher sein: Der Beifall kommt – von den „Anständigen“, den „Demokraten“, den „Haltungsstarken“.
Dabei ist die eigentliche Geschichte eine andere: Dass eine Bürgermeisterin Aufkleber als Hilferuf an den Staat nutzt, zeigt, wie hilflos dieser Staat selbst geworden ist. Denn an anderen Orten, wo man keine Sticker, sondern echte Gewalt erlebt, kommt keiner. Kein Medienkonvoi, kein Hilfeersuchen, keine Alarmrufe. Nur Schweigen. Oder Relativierung.
Natürlich: Was in Spremberg geschildert wird, ist nicht harmlos. Wenn Schüler sich nicht mehr sicher fühlen, Lehrer resignieren und offene Hitlergrüße auf Schulhöfen auftauchen, ist das keine Bagatelle. Wer hier wegsieht oder abwiegelt, macht sich mitschuldig – nicht nur an Radikalisierung, sondern an der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft.
Aber genau deshalb braucht es eine andere Debatte. Keine, die sich in medialem Erregungssturm über Aufkleber verliert, sondern eine, die Gewaltpotenziale klar benennt – egal, von wem sie ausgehen. Eine, die Schüler überall schützt – nicht nur dort, wo die Täter in ein bekanntes Feindbild passen. Und eine, die nicht jedes Problem instrumentell zur Imagepflege eines politisch-medialen Milieus auflädt.
Wie unterschiedlich reagiert wird, hat offenbar entscheidend damit zu tun, wer die Täter sind. In Spremberg ruft eine Bürgermeisterin öffentlich um Hilfe – wegen rechtsextremer Parolen, Sticker und Symbole. In Harsefeld, einer Kleinstadt in Niedersachsen, werden Bürger von einer Jugendbande terrorisiert: Bedrohungen, Raub, körperliche Angriffe. Doch dort blieb es still. Keine Titelgeschichten. Kein Alarmruf. Kein Appell aus dem Rathaus (siehe hier).
Denn die Täter passten nicht ins gewünschte Raster. Und so geschah, was in solchen Fällen oft geschieht: Der Staat blieb untätig – und die Bürger griffen in ihrer Verzweiflung selbst zur Notlösung. Keine Gewalt, keine Selbstjustiz – aber Streifengänge, weil die Polizei nicht mehr kam. Und während sich Politiker regelmäßig empören, wenn irgendwo rechte Gruppen Präsenz zeigen, kam in Harsefeld die Empörung – über die Eltern, Handwerker und Rentner, die sich nicht mehr anders zu helfen wussten.
Diese doppelte Verzerrung – dass nicht die Tat zählt, sondern der Täter – ist es, die das Vertrauen zerstört.
Und jetzt?
Wir brauchen dringend eine neue Prioritätenliste. Eine, die sich nicht an Symbolen orientiert, sondern an Taten. Eine, die nicht mehr die Lautstärke der Empörung zählt, sondern die Wucht der Realität. Wenn wir wieder eine funktionierende Demokratie werden wollen, dürfen wir nicht länger fragen, wer etwas sagt – sondern müssen uns wieder damit beschäftigen, was tatsächlich geschieht.
Denn sonst wird auch das letzte Quäntchen Vertrauen zerstört – bei denen, die ohnehin schon kaum noch an diesen Staat glauben. Menschen, denen man täglich vorlebt, dass ihre Sorgen nicht zählen, ihre Realität nicht vorkommt und ihre Ängste als rechte Paranoia diffamiert werden.
Aber Hauptsache, in Spremberg klebt kein Nazi-Aufkleber mehr.
Merz taumelt ins Kanzleramt – aber um welchen Preis? Das wahre Drama hinter dem zweiten Wahlgang
Geheim-Urteil gegen die AfD: Der Staat brandmarkt – aber die Begründung dafür verrät er uns nicht
CDU unterschreibt ihr Ende – Koalitionsvertrag macht sie endgültig zu rot-grünem Erfüllungsgehilfen
Bild: Shutterstock
Bitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr zum Thema auf reitschuster.de
Indoktrination fehlgeschlagen? Hat der „Kampf gegen rechts“ an Schulen ausgedient?
Demo statt Unterricht! Kinder werden auf die Straße geschickt, um für die Regierung und gegen die Opposition zu demonstrieren. Die eigentliche Zielgruppe lässt sich damit aber längst nicht mehr ködern, die Aufrufe wirken zunehmend verzweifelt. Von Kai Rebmann.
Kruder Kampf gegen rechts: Queerer Bestatter wirbt mit Antifa-Logo
Die von Politik, Medien und selbst von der Kirche befeuerten Proteste gegen die AfD finden immer mehr Anhänger. Besonders abstrus: Ein Berliner Bestattungsunternehmer bekennt sich offen zur linksextremistischen Szene. Von Daniel Weinmann.
So trägt der Staat den ideologischen „Kampf gegen Rechts“ ins Klassenzimmer
Sie nennen sich selbst „Demokraten“ – und entlarven sich dabei regelmäßig selbst. Ein aktuelles Beispiel aus Brandenburg zeigt, wie die politisch „korrekte“ Erziehung von Kindern und Jugendlichen schon in der Schule beginnt. Von Kai Rebmann.