Es beginnt ganz harmlos. Ein Gesundheitsportal mit Tipps gegen Bluthochdruck. Eine Nachrichtenseite über Deutschlands Außenpolitik. Ein scheinbar neutrales Magazin zum Thema Justiz. Alles hübsch aufgemacht, modern, leserfreundlich – und alles direkt aus der Feder von Ministerien.
Was wie ein Service für Bürger wirkt, ist aus juristischer Sicht ein Frontalangriff auf das Gebot der Staatsferne – also auf das Prinzip, dass Regierungen informieren, aber keine Konkurrenz zu unabhängigen Medien sein sollen. Tatsächlich nähern sich immer mehr Onlineangebote der Bundesregierung gefährlich dem journalistischen Raum an. Und das nicht als Ausnahme, sondern als Strategie.
Der Rechtsanwalt und Medienrechtler Dr. Jörg Frederik Ferreau warnt jetzt in einem bemerkenswerten Gastbeitrag auf „Legal Tribune Online“ vor einer bedrohlichen Entwicklung: Der Staat produziert Inhalte, die sich äußerlich kaum noch von privaten Medien unterscheiden – doch mit einem entscheidenden Unterschied: Während private Medien auf Glaubwürdigkeit, Reichweite und Finanzierung durch ihr Publikum angewiesen sind, agiert der Staat mit Steuergeld, strukturellem Machtvorsprung und ohne Marktrisiko.
Die Verzerrung wirkt dabei doppelt: Einerseits durch staatliche Portale, die selbst wie Medien auftreten. Und andererseits durch finanzielle Förderprogramme, Behördenanzeigen und Kampagnenbudgets, mit denen auch viele klassische Redaktionen längst in eine neue Abhängigkeit geraten sind.
Staatsnähe ist das eine – aber wenn Ministerien beginnen, selbst als Redaktionen aufzutreten, kippt das Gleichgewicht vollends. Genau das geschieht derzeit – und bleibt weitgehend unwidersprochen.
Beispiele? gesund.bund.de etwa, ein Portal des Bundesgesundheitsministeriums, das mit „verlässlichen Informationen für Ihre Gesundheit“ wirbt – und dabei redaktionelle Strukturen, journalistische Sprache und mediales Layout nutzt. Oder deutschland.de, das eigentlich der Auslandskommunikation dienen soll, aber mit Interviews, Einordnungen und Meinungsstücken längst auch ein inländisches Publikum adressiert. Und dann war da noch Libra, das Online-Magazin zur Rechtspolitik – eingestellt nach Kritik, aber beispielhaft für den Trend.
Rechtlich ist die Lage eindeutig: Der Staat darf informieren, aber nicht publizieren wie ein Verlag. Die Grenze liegt dort, wo aus Aufklärung Meinung wird – oder aus PR ein Dauerformat. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Trennung schon 1966 im Spiegel-Urteil betont: Der Staat ist nicht zur Presse berufen. Punkt.
Doch im digitalen Zeitalter verschwimmt diese Linie zusehends. Die Aufsicht versagt. Der Rechtsrahmen hinkt. Der neue Medienstaatsvertrag kümmert sich noch um Rundfunk, aber nicht um Telemedien. Portale ohne Bewegtbild gelten als harmlos – auch wenn sie Millionen Leser erreichen.
Das Problem ist nicht, dass der Staat allein Meinung machen würde. Sondern dass er mit eigenen Kanälen das Gewicht im öffentlichen Diskurs verschiebt – zugunsten der Regierung, zulasten echter Vielfalt. Wo Steuergeld auf publizistische Macht trifft, entstehen gefährliche Asymmetrien: Inhaltlich, weil politische Narrative dominieren. Und wirtschaftlich, weil private Medien mit staatsfinanzierten Portalen um Reichweite, Sichtbarkeit und sogar Werbeplätze konkurrieren müssen – in einem Markt, der ohnehin unter Druck steht.
Medienrechtler Ferreau fordert deshalb: gesetzliche Grenzen. Eine klare Definition, was staatliche Öffentlichkeitsarbeit darf – und was sie nicht darf. Eine Zulassungspflicht für staatsnahe Telemedien. Und eine neutrale Instanz, die Verstöße sanktioniert.
Bleibt die Frage: Warum wird das Thema nicht breit diskutiert? Warum kein Aufschrei in der Branche, kein öffentlicher Diskurs? Die Antwort ist so unbequem wie einfach: Viele Medienhäuser sind inzwischen abhängig – von Anzeigenkampagnen, Regierungsaufträgen, pandemischen PR-Budgets. Wer den Staat kritisiert, beißt in die Hand, die ihn mitfinanziert.
Gerade jetzt wäre Widerstand nötig. Denn in einer Landschaft, in der viele Medien ohnehin staatstragend berichten, sind zusätzliche Regierungsportale nicht Aufklärung – sondern Verstärker. Was fehlt, ist nicht Information, sondern Unabhängigkeit. Und eine Öffentlichkeit, die noch erkennt, wann Meinung gemacht wird – und von wem.
Der Staat darf nicht auch noch das sagen, was ohnehin schon alle sagen.
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