Die Dokumentation einer Eskalation des Sagbaren. Merz erklärt nach mittlerweile mehr als drei Jahren Gemetzel und hunderttausenden toten Soldaten, man habe sich jetzt ein paar Tage lang „genügend diplomatisch bemüht, diesen Krieg zu beenden“.
Offenbar kommt Merz hier allein für das Protokoll einer in vielen Umfragen dokumentierten Kriegsmüdigkeit der Bevölkerungen Europas entgegen, die immer wieder diplomatische Lösungen verlangen. Putin will nicht nach Istanbul kommen? Merz beendet die Diplomatie und ruft den totalen Krieg aus.
Denn wie soll man es anders nennen, wenn der Bundeskanzler die Ungeheuerlichkeit ausspricht, er wolle den Krieg jetzt bis zum bitteren Ende treiben?
Auch die Waffenlieferungen sollen jetzt als Geheimsache verschleiert werden. Waren diese Lieferungen in den vergangenen drei Kriegsjahren vom ersten Helm bis zu Taurus transparent gehalten worden, werden sie jetzt zur Geheimsache erklärt.
Nein, man muss kein ewiger Mahner, Warner oder Pessimist sein, um zu begreifen, an welche Klippe Europa und die Welt hier geführt wird.
Hier die wichtigsten Auszüge des Auftritts von Kanzler Merz bei Illner im öffentlich-rechtlichen Fernsehen:
Wir haben ja im Koalitionsvertrag auch zu den Themen Außen- und Sicherheitspolitik, auch zur Verteidigungspolitik bis hin zum Aufwuchs der Bundeswehr gemeinsame Verabredungen getroffen. Wir haben auch gesagt, dass wir uns an den NATO-Zielen ausrichten. Die NATO-Ziele werden gerade neu definiert. Dazu diente übrigens auch das Außenministertreffen gestern und heute in der Türkei.
Wir werden Ende Juni zu einem großen NATO-Gipfel in Den Haag sein. Und da wird auch mit den Amerikanern, mit den übrigen NATO-Partnern darüber gesprochen, wie wir denn in Zukunft auch die NATO-Ziele definieren.
Übrigens, diese Diskussion um Prozentzahlen des BIP, das ist eine Hilfskonstruktion, um mal Richtwerte zu haben, in welche Richtung wir denn mit der Aufrüstung der Streitkräfte gehen.
Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, den europäischen Kontinent aus eigener Kraft heraus verteidigen zu können. Und das ist eine Aufgabe für die nächsten Jahre. Das lässt sich nicht über Nacht erreichen. Da sind viele Dinge aufzuholen, die wir in den letzten Jahren gemeinsam versäumt haben. Und daran orientieren wir uns.
(Maybritt Illner fragt nach einer Merz-Initiative im Zusammenhang mit dem Istanbul-Treffen.)
Ich habe nicht erwartet, dass wir mit dieser Initiative sofort Erfolg haben und der Frieden in der Ukraine einkehrt. Ich habe zwei Ziele gehabt. Das eine war, dafür zu sorgen, dass Europa, nicht nur die Europäische Union, sondern die großen Länder Europas, Großbritannien, Frankreich, Polen und Deutschland, mit einer Stimme sprechen. Das haben wir hinbekommen.
Einen solchen Besuch von den vier Staats- und Regierungschefs dieser vier europäischen Länder hat es in den letzten Jahren nicht gegeben, und das war mir wichtig, dass wir das hinbekommen.
Das zweite war, dass wir eine ganz klare gemeinsame Sprache sprechen, wenn möglich auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Und wir haben ja am Samstagmittag unserer Zeit, sehr früh in Washington, noch mit Donald Trump telefoniert, der uns auch gesagt hat: Ich gehe den Weg mit. Wir wissen übrigens aus dem amerikanischen Kongress, dass die amerikanischen Abgeordneten, die Senatoren, eine vergleichbare Initiative jetzt auch auf den Weg bringen, was Sanktionen betrifft.
Und zu den Sanktionen, Frau Illner, dieses Paket ist fertig und wird am nächsten Dienstag in Brüssel beschlossen. Die Beratungen sind abgeschlossen. Das Paket ist fertig, und es wird am nächsten Dienstag in Brüssel beschlossen.
Das wäre nicht beschlossen worden, wenn es diese Gespräche jetzt gegeben hätte, so wie wir es uns vorgenommen haben. Ich mache mir allerdings keine Illusionen. Das wird ein Prozess, der noch über möglicherweise Wochen und Monate dauert.
Schrecklich genug für die Menschen in der Ukraine. Aber wir haben jetzt in Europa eine Initiative ergriffen. Wir gehen gemeinsam diesen Weg, und wir gehen ihn, wo immer möglich. Und darum werben wir intensiv zusammen mit Amerika. Und das ist ein Erfolg des letzten Wochenendes. Die Sanktionen sind vorbereitet, werden Dienstag beschlossen und treten Dienstag in Kraft. Und das nächste Sanktionspaket ist in Vorbereitung. Und das Gute an diesem Wochenende war, dass nicht nur der amerikanische Präsident einbezogen war in unsere Beratungen, sondern auch eine ganze Reihe von amerikanischen Senatoren, unter anderem auch der Außenminister Marco Rubio.
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Wir haben über das ganze Wochenende noch miteinander telefoniert, ich mit verschiedenen aus früheren Jahren mir gut bekannten Kollegen in Amerika. Es gibt eine Initiative aus dem amerikanischen Senat.
Also, ich versuche alles. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt. Das liegt ja nicht allein an mir. Aber ich versuche alles, die Amerikaner jetzt bei uns zu behalten, an unserer Seite zu halten, ihnen auch zu sagen: Es liegt auch in eurem Interesse, dass wir diesen Krieg jetzt hier gemeinsam beenden und dass wir gemeinsam mit einer Stimme sprechen.
Und dass Selenskyj jetzt trotzdem nach Istanbul gereist ist, ist doch ein enormes Entgegenkommen, obwohl Putin die Forderung nicht einhalten wollte, gesagt hat: Okay, dann fahre ich trotzdem hin.
Und jetzt soll mal jemand sagen, wir hätten uns in den letzten Tagen nicht genügend diplomatisch bemüht, diesen Krieg zu beenden. Wer sich jetzt allein ins Unrecht setzt mit seinem Nichterscheinen, ist Putin. Es haben alle Voraussetzungen auf dem Tisch gelegen, um einen Waffenstillstand zu beginnen.
(Illner: Aber war das nicht vorher schon klar, dass es unendliche diplomatische Bemühungen gibt? Und jetzt ist ein Sanktionspaket offensichtlich am Dienstag nicht nur verabschiedungsbereit, sondern tritt in Kraft. Es ist das 17te. Wird sich dieser Wladimir Putin nicht totlachen darüber, wenn er weiß, dass die Europäer zuletzt mehr Geld für russisches Gas und Öl ausgegeben haben als für sämtliche Ukrainehilfen zusammen?)
Ja, aber Frau Illner, das ist doch das Wesen eines solchen komplexen Prozesses, dass man alles versucht, sowohl auf der militärischen Seite diesen Krieg zu beenden als auch auf der diplomatischen Seite versucht, ihn zu beenden.
Und wenn Sie mal in die Geschichte der Kriege der Welt schauen, das können Sie mit dem 30-jährigen Krieg anfangen, können Sie über die beiden Weltkriege sehen, über Afghanistan, Irak. Sie können es an verschiedensten Stellen beobachten. Der Vietnamkrieg! Wie sind diese Kriege zu Ende gegangen? Sie sind meistens nur durch eine militärische Erschöpfung – so tragisch und so furchtbar das für die Menschen ist – aber sie sind meistens erst durch eine militärische Erschöpfung auf mindestens einer Seite – manchmal auch auf beiden Seiten – gegangen.
Da sind wir noch nicht. Wir versuchen jetzt alles, die Ukraine so zu ertüchtigen, dass sie sich weiter gegen den russischen Angriff wehren kann. Und irgendwann wird Putin einsehen, dass er das so nicht mehr weiter tun kann.
Wichtig ist doch, dass wir zunächst mal auf der europäischen Seite abgestimmt zusammenbleiben. Unsere jeweiligen außenpolitischen Berater aus Frankreich, aus Polen, aus Großbritannien, aus Deutschland sind heute Morgen alle zusammen nach Istanbul gereist und sitzen dort und warten darauf, dass sie helfen und eingreifen und mitwirken können an diesem Prozess. Und zwar mit einer Stimme.
Wir informieren auch die anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Wir werden möglicherweise nächste Woche eine kurze Konferenz des Europäischen Rates machen, um auch alle anderen – auch die kleineren Mitgliedsstaaten – zu informieren, mitzunehmen auf diesem Weg.
Noch mal, mir ist wichtig – und das ist am letzten Wochenende gelungen, und da bin ich sehr dankbar dafür – dass wir auf der europäischen Seite die Staats- und Regierungschefs zusammenhalten, jedenfalls die, die in dieser Koalition der Willigen sind. Und das sind ja weitaus mehr als nur Europäer. Aber wir haben hier eine gemeinsame europäische Verantwortung der Ukraine gegenüber, und die nehmen wir wahr.
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Author:
Alexander Wallasch