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Im Spätjahr 1932 rasselte der deutsche Parlamentarismus, die von vielen ungeliebte Weimarer Republik, von einer Regierungskrise in die nächste. Heinrich Brüning, dessen beiden Präsidialkabinette man noch einen Hauch von demokratischer Regierungsverantwortung zusprechen konnte, immerhin wurden unter Brüning im Jahre 1930 und 1931 noch 132 Gesetze vom Reichstag beschlossen, denen 62 Notverordnungen, also Gesetze per Umgehung des Reichstags gegenüber standen, im gesamten Jahr 1932 waren es noch 5. Doch Brüning musste am 30. Mai 1932 die Segel streichen, weil er die Rückendeckung von Reichspräsident Paul von Hindenburg verloren hatte.
„§ 1. Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechtes der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Hausdurchsuchungen und von Beschlagnahme sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“
Letztlich war diese Notverordnung das Ende der Weimarer Republik, nicht das Ermächtigungsgesetz, das am 24. März 1933 nachfolgen sollte. Das Ermächtigungsgesetz war, wie Hans Mommsen wiederholt geschrieben hat, nur die legalistische Fassade, die den Anschein erwecken sollte, das Regime habe sich parlamentarischer Mittel bedient, um den Parlamentarismus abzuschaffen.
Das Ermächtigungsgesetz selbst ist ein sehr schlichtes Gesetz, das fünf Artikel umfasst, von denen der erste das Recht der Regierung formuliert, Gesetze ohne die Beteiligung der Legislative zu erlassen. Der zweite Artikel setzt de facto die Weimarer Verfassung außer Kraft und erlaubt der Reichsregierung, Gesetz zu erlassen, die der Verfassung widersprechen. Artikel 3 schließt den Reichstag effektiv von jeder Form der Gesetzgebung aus. Artikel 4 macht die Außenpolitik zum alleinigen Zustandsbereich der Reichsregierung und Artikel 5 befristet die Laufzeit auf vier Jahre, vier Jahre, nach denen das Ermächtigungsgesetz verlängert wurde.
Artikel 1
Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.Artikel 2
Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.Artikel 3
Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung.Artikel 4
Verträge des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.Artikel 5
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.Berlin, den 24. März 1933.
Zwar hatten NSDAP und DNVP (angetreten als Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot), die die Reichsregierung bildeten, nach dem 5, März eine knappe Mehrheit von 51,9% der Sitze, aber zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes war eine 2/3 Mehrheit notwendig, eine Mehrheit, die zunächst über die unterschiedlichsten Tricks, etwa dadurch, dass nicht anwesende Abgeordnete als anwesend geführt und ihre Stimme als Enthaltung gezählt wurde, gesichert werden sollte, Tricks, die am Ende nicht notwendig waren, denn ausgerechnet das katholische Zentrum, das über 11,3% der Sitze verfügte, sollte das Zünglein an der Waage sein, das die zwei-Drittel-Mehrheit sichert.
Der Zustimmung zur eigenen parlamentarischen Abschaffung gingen heftige Streiterien in der Fraktion des Zentrum voraus, wobei sich der Prälat Ludwig Kaas als Parteivorsitzender und Heinrich Brüning als letzter Reichskanzler des Zentrum unversöhnlich gegenüberstanden. Von Brüning stammt das Zitat in der Überschrift, denn Brüning war nicht nur ein entschiedener Gegner des Ermächtigungsgesetzes, er hat darüber hinaus versucht, seine Kontakte zu seinem ehemaligen Koalitionspartner DNVP zu nutzen, um eine Befristung des Ermächtigungsgesetzes auf 6 Monate zu erreichen. Kein erfolgreiches Bemühen, weil man bei der DNVP längst keine parlamentarische Demokratie mehr sah, die es zu retten wert gewesen sei.
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Letztlich hat sich Kaas durchgesetzt und die Zentrumsfraktion hat geschlossen für das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Brüning und seine Unterstützer wurden durch Fraktionszwang dazu verdonnert, Hitler den Steigbügel zu halten. Seine Zustimmung hat sich Kaas durch ebenso triviale Leistungen erkaufen lassen, wie man sie derzeit sieht, wenn z.B. die Versorgung mit Hallenbädern als Grund zur Zustimmung zu historischen Schulden angeführt wird.
Kaas hat Hitler die Garantie abgerungen, dass ein Reichskonkordat mit der Katholischen Kirche auf den Weg gebracht werde, Beamte des Zentrums im Amt bleiben und nicht entlassen würden und Richter nicht ihres Amtes verlustig gingen. Kaas, ein Politiker, dem die eigene Klientel wichtiger war, als das demokratische System, in dem er agierte. Prälat Kaas nahm nicht eimal Anstoß daran, dass die Sonderbehandlung im Hinblick auf Grundrechte, die er für Katholiken erwirkt zu haben glaubte, anderen nicht zugute gekommen ist. Diese Form des engstirnigen Partikularismus sagt alles, was man über die letzten Tage von Weimar wissen muss.
Wie falsch die Rechnung von Kaas war, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen, um auch als Partei überleben zu können, zeigt die Selbstauflösung des Zentrum am 3. Juli 1933.
Die fatale Mischung, die 1932 und 1933 dazu geführt hat, dass die ungeliebte Weimarer Republik zerstört wurde, enthält Narzissmus und politisches Intrigantentum, Wahlbetrug und Ränkespiele, politisches Geschachere um Nebensächlichkeiten und lässt einen Blick für das, was auf dem Spiel steht, vollständig vermissen.
Hans Mommsen hat dies wie folgt auf den Punkt gebracht:
„Es ist wohl weniger die Frage ideologischer Haltungen als der Korrumpierung durch die Macht, die uns in dem Lehrstück der Zerstörung der Weimarer Republik gerade am Beispiel der Rolle der intellektuellen Eliten entgegentritt und im Hinblick auf gegenwärtige politische Konstellationen bedeutsam ist. Vor allem aber gilt dies für die leichtfertige Preisgabe freiheitlicher Institutionen durch die Funktionseliten in Deutschland, welche die Diktatur Hitlers erst möglich gemacht hat.“
Mommsen, Hans (2003). Entstehung und Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März 1933. Vortrag, gehalten auf einer Veranstaltung des „Gesprächskreises Geschichte“ in der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn am 24. März 2003;
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Author: Michael Klein
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