• 19. März 2025

„Das Ungeheuerlichste, das von einem Parlament je gefordert wurde“!

ByMichael Klein

März 19, 2025
Werbung
Wir klären am Ende auf, von wem das Zitat in der Überschrift stammt.
Am 23. März jährt sich die Zustimmung deutscher Parlamentarier zu ihrer eigenen Beseitigung, die als „Ermächtigungsgesetz“ in die Geschichte eingegangen ist.
Wir denken, es ist gerade heute wichtig, die Hintergründe zu diesem Gesetz zu kennen.
Wahlplakat der SPD zur Präsidentschaftswahl 1932
Quelle

Im Spätjahr 1932 rasselte der deutsche Parlamentarismus, die von vielen ungeliebte Weimarer Republik, von einer Regierungskrise in die nächste. Heinrich Brüning, dessen beiden Präsidialkabinette man noch einen Hauch von demokratischer Regierungsverantwortung zusprechen konnte, immerhin wurden unter Brüning im Jahre 1930 und 1931 noch 132 Gesetze vom Reichstag beschlossen, denen 62 Notverordnungen, also Gesetze per Umgehung des Reichstags gegenüber standen, im gesamten Jahr 1932 waren es noch 5. Doch Brüning musste am 30. Mai 1932 die Segel streichen, weil er die Rückendeckung von Reichspräsident Paul von Hindenburg verloren hatte.

Hindenburg musste die Notverordnungen unterschreiben und die Regierung Brüning im Amt halten, was er sich angesichts des Planes von Brüning, Landgütern im Osten, deren Existenz seit 1926 von staatlichen Subventionen abhing, Land zu entziehen, um es an Arbeitslose, die Brüning nach Preußen umsiedeln wollte, zu verteilen und die Arbeitslosen aus der entsprechenden Statistik zu bekommen, nunmehr weigerte zu tun.
Auf Brüning folgte Franz von Papen, eine der tragischen politischen Gestalten, bei denen Kompetenz und Ambition so weit auseinanderliegen. Von Papen überlebte bis zum 12. September 1932 und erlitt die größte Schmach, die bis dato einem Reichskanzler widerfahren war: Der Reichstag sprach ihm mit 512 zu 42 Stimmen das Misstrauen aus. Obschon von Papen gestützt auf die Reichswehr regieren wollte, musste er sich Hindenburg beugen, der für den 6. November 1932 die zweiten Reichstagswahlen des Jahres 1932 nach der Wahl vom 31. Juli 1932 ansetzte, eine Wahl, bei der die NSDAP zu den Verlieren gehörte: Ihr Anteil ging von 37,3% im Juli auf 33,1% im November 1932 zurück.
Abermals beauftragte Hindenburg Franz von Papen mit der Regierungsbildung. Abermals wies er Hitlers Bewerbung um das Amt des Reichskanzlers schroff zurück. Abermals war von Papen erfolglos und musste am 2. Dezember 1932 die Segel streichen und dem Ränkeschmied „Kurt von Schleicher“, der das Vertrauen von Hindenburg in von Papen intensiv untergraben hatte, weichen. Indes von Schleicher scheiterte innerhalb von Tagen. Sein Versuch, den Strasser-Flügel der NSDAP in seine Regierung einzubinden, scheiterte ebenso, wie der Versuch von Gregor Strasser, Hitler zu einem Kompromiss zu bewegen und von seiner Maximalforderung, Reichskanzler zu werden, abzubringen.
Strasser trat zurück.
Von Schleicher trat zurück.
Wir schreiben den 28. Januar 1933.

Franz von Papen
Franz von Papen ist wieder da.
Er hat schon zuvor dem alten Reichspräsidenten in den Ohren gelegen und ihn davon zu überzeugen versucht, dass eine Regierung der Nationalen Konzentration einen Rückfall aus den Präsidialkabinetten in die verhasste Zeit parlamentarischer Streitereien verhindern könne. Um den Widerstand Hindenburgs gegen einen Gefreiten Hitler im Amt des Reichskanzlers zu überwinden, griff von Papen zum Mittel der Lüge und versetzte den alten Mann an der Spitze des Reiches in den Irrglauben, das Zentrum werde an der Regierung der Nationalen Konzentration beteiligt sein, gemeinsam mit der DNVP, der Partei von Franz von Papen und Alfred Hugenberg und der NSDAP.
Gemeinsam mit Hugenberg, so von Papen, werde man Hitler schon kleinhalten und beherrschen. Wie gesagt, Ambition und Urteilsvermögen bei Franz von Papen lagen weit auseinander.
Indes, die Verhandlungen, die von Papen hinter dem Rücken des Reichspräsidenten mit Hitler führte, waren eine Art Rettung für die NSDAP. Die schroffe Art, in der Hindenburg einem Reichskanzler Hitler öffentlich eine Absage erteilt hatte, hatte einen Imageverlust für den Mann aus Österreich und seine Partei zur Folge, deutlich am Rückgang des Stimmenanteils bei der Wahl im November 1932 (siehe oben) und noch deutlicher an erheblichen Stimmenverlusten in lokalen Wahlen, die bis zu 40% betragen haben.
Die NSDAP hatte Wählergunst verloren und war auch intern zerstritten darüber, wie man im Hinblick auf eine Regierungsbeteiligung vorgehen solle (siehe oben die Bemühungen von Gregor Strasser). Franz von Papen hat die NSDAP von all ihren internen Streitigkeiten befreit und den Reichskanzler Adolf Hitler, der am 30. Januar 1933 von Hindenburg ernannt wurde, möglich gemacht.
Und von Anfang an war klar, dass sich von Papen übernommen hatte. Denn die Regierung von Hitler, die von Papen herbeiverhandelt hatte, um Neuwahlen, bei denen die DNVP nur verlieren konnte, zu verhindern, mündete in Neuwahlen, eine der Hauptforderungen von Adolf Hitler und den seinen, um überhaupt bereit zu sein, eine Regierung zu übernehmen, eine Regierung, deren Ziel es war, das parlamentarische System auszuschalten. Das war Hitlers Ziel. Das war das Ziel von Franz von Papen.
Der Wahlkampf von 1933, den Karl-Dietrich Bracher als „Demokratie auf dem Kopf“ bezeichnet hat, weil er dazu diente, eine bereits vorhandene Regierung durch die Bevölkerung legitimieren zu lassen, nicht etwa dazu, eine Regierung zu wählen, war gezeichnet von Übergriffen auf die KPD und die SPD, und zwar in Gestalt von Lawfare. Die Regierung „Hitler, von Papen“ nutzte alle Möglichkeiten, um per Notverordnung, in den Wahlkampf der SPD und der KPD einzugreifen, Wahlwerbung beider zu verhindern und Demonstrationen beider zu verbieten. Dass am Ende dieses WahlKAMPFES, der von SA und SS und entsprechender Einschüchterung beherrscht war und trotz des Kanzlerbonus der NSDAP nur ein Stimmenanteil von 43,9% für die Partei stand, war entsprechend eine Enttäuschung.
Indes, vor der Wahl am 5. März 1933 brannte der Reichstag.
Am 27. Februar 1933 legte Marinus van der Luppe, ein Rätekommunist aus den Niederlanden, Feuer und gab Goebbels damit die Gelegenheit, zu einem Feldzug gegen marxistische Parteien. Eilends wurde der Reichstagsbrand, von dem die Mannen der NSDAP ebenso überrascht wurden, wie die anderen Parteien, inklusive der KPD, zum Anlass genommen, um einen bevorstehenden Aufstand der KPD, einen Bürgerkrieg zu propagieren und die Angst, die man Hindenburg mit dem Planspiel Ott eingejagt hatte, auszunutzen, um die „Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“  umzusetzen, die letztlich bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft geblieben ist, als „Grundgesetz des Dritten Reiches“ bezeichnet wurde und mit der alle bürgerlichen Freiheiten aufgehoben wurden:
Das Planspiel Ott war ein Finte von Kurt von Schleicher. Es zeigte, dass im Falle eines Bürgerkriegs die Reichswehr den Horden von SPD und KPD nicht werde standhalten können und spielte eine Vielzahl von Einschränkungen der Bürgerrechte durch, die Hitler nach seiner Machtergreifung und in der „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ nur übernehmen musste.

„§ 1. Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechtes der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Hausdurchsuchungen und von Beschlagnahme sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Letztlich war diese Notverordnung das Ende der Weimarer Republik, nicht das Ermächtigungsgesetz, das am 24. März 1933 nachfolgen sollte. Das Ermächtigungsgesetz war, wie Hans Mommsen wiederholt geschrieben hat, nur die legalistische Fassade, die den Anschein erwecken sollte, das Regime habe sich parlamentarischer Mittel bedient, um den Parlamentarismus abzuschaffen.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ermächtigungsgesetz selbst ist ein sehr schlichtes Gesetz, das fünf Artikel umfasst, von denen der erste das Recht der Regierung formuliert, Gesetze ohne die Beteiligung der Legislative zu erlassen. Der zweite Artikel setzt de facto die Weimarer Verfassung außer Kraft und erlaubt der Reichsregierung, Gesetz zu erlassen, die der Verfassung widersprechen. Artikel 3 schließt den Reichstag effektiv von jeder Form der Gesetzgebung aus. Artikel 4 macht die Außenpolitik zum alleinigen Zustandsbereich der Reichsregierung und Artikel 5 befristet die Laufzeit auf vier Jahre, vier Jahre, nach denen das Ermächtigungsgesetz verlängert wurde.

Artikel 1
Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.

Artikel 2
Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.

Artikel 3
Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung.

Artikel 4
Verträge des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.

Artikel 5
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.

Berlin, den 24. März 1933.

Zwar hatten NSDAP und DNVP (angetreten als Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot), die die Reichsregierung bildeten, nach dem 5, März eine knappe Mehrheit von 51,9% der Sitze, aber zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes war eine 2/3 Mehrheit notwendig, eine Mehrheit, die zunächst über die unterschiedlichsten Tricks, etwa dadurch, dass nicht anwesende Abgeordnete als anwesend geführt und ihre Stimme als Enthaltung gezählt wurde, gesichert werden sollte, Tricks, die am Ende nicht notwendig waren, denn ausgerechnet das katholische Zentrum, das über 11,3% der Sitze verfügte, sollte das Zünglein an der Waage sein, das die zwei-Drittel-Mehrheit sichert.

Der Zustimmung zur eigenen parlamentarischen Abschaffung gingen heftige Streiterien in der Fraktion des Zentrum voraus, wobei sich der Prälat Ludwig Kaas als Parteivorsitzender und Heinrich Brüning als letzter Reichskanzler des Zentrum unversöhnlich gegenüberstanden. Von Brüning stammt das Zitat in der Überschrift, denn Brüning war nicht nur ein entschiedener Gegner des Ermächtigungsgesetzes, er hat darüber hinaus versucht, seine Kontakte zu seinem ehemaligen Koalitionspartner DNVP zu nutzen, um eine Befristung des Ermächtigungsgesetzes auf 6 Monate zu erreichen. Kein erfolgreiches Bemühen, weil man bei der DNVP längst keine parlamentarische Demokratie mehr sah, die es zu retten wert gewesen sei.

SciFi-Support

Auch ScienceFiles muss finanziert werden.

Und es wird, angesichts stetig steigender Kosten, immer schwieriger, ScienceFiles zu finanzieren.

HELFEN Sie uns bitte dabei, den Laden am Laufen zu halten!

Es gibt drei Möglichkeiten, uns zu unterstützen:

Weitere Informationen finden Sie hier:

ScienceFiles-Unterstützung

Bei allen Unterstützern bedanken wir uns bereits an dieser Stelle sehr HERZLICH!

Letztlich hat sich Kaas durchgesetzt und die Zentrumsfraktion hat geschlossen für das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Brüning und seine Unterstützer wurden durch Fraktionszwang dazu verdonnert, Hitler den Steigbügel zu halten. Seine Zustimmung hat sich Kaas durch ebenso triviale Leistungen erkaufen lassen, wie man sie derzeit sieht, wenn z.B. die Versorgung mit Hallenbädern als Grund zur Zustimmung zu historischen Schulden angeführt wird.

Kaas hat Hitler die Garantie abgerungen, dass ein Reichskonkordat mit der Katholischen Kirche auf den Weg gebracht werde, Beamte des Zentrums im Amt bleiben und nicht entlassen würden und Richter nicht ihres Amtes verlustig gingen. Kaas, ein Politiker, dem die eigene Klientel wichtiger war, als das demokratische System, in dem er agierte. Prälat Kaas nahm nicht eimal Anstoß daran, dass die Sonderbehandlung im Hinblick auf Grundrechte, die er für Katholiken erwirkt zu haben glaubte, anderen nicht zugute gekommen ist. Diese Form des engstirnigen Partikularismus sagt alles, was man über die letzten Tage von Weimar wissen muss.

Wie falsch die Rechnung von Kaas war, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen, um auch als Partei überleben zu können, zeigt die Selbstauflösung des Zentrum am 3. Juli 1933.

Die fatale Mischung, die 1932 und 1933 dazu geführt hat, dass die ungeliebte Weimarer Republik zerstört wurde, enthält Narzissmus und politisches Intrigantentum, Wahlbetrug und Ränkespiele, politisches Geschachere um Nebensächlichkeiten und lässt einen Blick für das, was auf dem Spiel steht, vollständig vermissen.

Hans Mommsen hat dies wie folgt auf den Punkt gebracht:

„Es ist wohl weniger die Frage ideologischer Haltungen als der Korrumpierung durch die Macht, die uns in dem Lehrstück der Zerstörung der Weimarer Republik gerade am Beispiel der Rolle der intellektuellen Eliten entgegentritt und im Hinblick auf gegenwärtige politische Konstellationen bedeutsam ist. Vor allem aber gilt dies für die leichtfertige Preisgabe freiheitlicher Institutionen durch die Funktionseliten in Deutschland, welche die Diktatur Hitlers erst möglich gemacht hat.“

Mommsen, Hans (2003). Entstehung und Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März 1933. Vortrag, gehalten auf einer Veranstaltung des „Gesprächskreises Geschichte“ in der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn am 24. März 2003;

Und in dieser Hinsicht wiederholt sich Geschichte gerade.

Falls Sie unsere Arbeit unterstützen, und dafür sorgen wollen, dass bei ScienceFiles auch weiterhin das Rad rund läuft, dann kaufen Sie uns doch einen Kaffee:
Oder unterstützen Sie uns auf einem der folgenden Wege Unser herzlicher Dank ist Ihnen sicher! DENN: ScienceFiles lebt von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen, damit Sie uns auch morgen noch lesen können!


Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:

Donorbox

Unterstützen Sie ScienceFiles


Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion

Zum Spenden einfach klicken

Unser Spendenkonto bei Halifax:

ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):

  • IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
  • BIC: HLFXGB21B24

Folgen Sie uns auf Telegram.


Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org


Print Friendly, PDF & Email

Zur Quelle wechseln
Author: Michael Klein
Michael Klein

Teile den Beitrag mit Freunden
Werbung