Es ist wieder „in“, sich auf Helden oder Ereignisse vergangener Tage zu berufen.
Aus offensichtlichen Gründen:
- Das Charisma heutiger Polit-Attrappen ist schlicht nicht vorhanden, im UK spricht man mittlerweile ganz offen von „charisma bypass“ um z.B. Sir Keir Starmer zu beschreiben. Ergo versuchen sie sich im Charisma erfolgreicher und weithin verehrter Vorgänger zu sonnen.
- Das Berufen auf frührer Ereignisse dient mehreren Zwecken, zum einen kann man seine anscheinend vorhandene historische Bildung zur Schau stellen, um auf diese Weise intelligent zu erscheinen. Zum anderen kann man, je nach der gewählten historischen Vorlage, die eigene Position durch den Fehlschluss unzulässiger Verallgemeinerung zu verbessern oder eine gegensätzliche Position zu diskreditieren versuchen.
Wir haben drei Beispiele, die solche Versuche als intelligent, nicht allein oder gar witzig zu erscheinen, Versuche, der Auf- oder Abwertung umfassen, eingesammelt:
Die Versuche, durch den historischen Bezug auf FDR, Franklin Delano Roosevelt, die gegenwärtige Administration der USA zu diskreditieren oder den Bezug zu Winston Churchill, einen Ukrainischen Schauspieler zu Ehren kommen zu lassen, sind bereits von berufener Seite durch das, was Faktenchecker so gerne als Kontext bezeichnen, als Blödsinn entlarvt worden. Bleibt uns die Aufgabe, den ideologischen BS, den Robin Alexander, seines Zeichens Journalist bei der WELT, verbreitet, zu bearbeiten.
Das kann man auf zwei Wegen tun:
(1) Die offensichtliche versuchte Manipulation, den Missbrauch von Milliarden Steuergeldern, die in den Rachen von unzähligen NGOs für keinerlei benennbare Gegenleistung gestopft werden, als Kinkerlitz hinzustellen, an dem eine beabsichtigte CDU/CSU-SPD Regierung zerbrechen könnte, bevor sie installiert wurde, ist indes so brachial, dass man dazu eigentlich nichts sagen muss.
Ist auch nicht das, was uns ärgert.
(2) Uns ärgert die Geschichtsklitterung, die Behauptung, die letzte Große Koalition unter Hermann Müller, genau das Kabinett Müller II, sei am Streit um die Arbeitslosenversicherung zerbrochen, denn obschon vordergründig der Streit Anlass war, war er nicht Ursache: Ursache war ein Linksruck in der SPD, eine interne Machtübernahme durch extreme Kräfte, die ihr unverdünntes sozialistisches Heil außerhalb demokratischer verantwortung suchen wollten, außerhalb des demokratischen Systems: Man darf nicht vergessen, die SPD war eine sozialistische Partei, die das offizielle Ziel hatte, die parlamentarische Demokratie durch einen „Arbeiterstaat“ zu ersetzen, „demokratisch ausgerichtet“ ist die SPD erst seit ihrem Godesberger Parteitag im Jahre 1959.
Doch der Reihe nach.
Am 16. Juli 1927 wurde mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ (AVAVG) die Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik eingeführt. Das Gesetz trat zum 1. Oktober 1927 in Kraft. Die Regierung, die die Arbeitslosenversicherung eingeführt hat, bestand aus etlichen Parteien und ich nehme jede Wette auf, dass fast jeder, der gebeten wird, eine der Parteien der Koalition, die die vierte Regierung von Wilhelm Marx trugen, zu benennen, SPD sagen wird, wegen der Arbeitslosenversicherung. Indes: Die SPD war an diesem Gesetz und an der Regierung Marx IV NICHT beteiligt. Die Einführung der Arbeitslosenversicherung mit der eine Lohnfortzahlung von zwischen 35% bis 75% für maximal ein halbes Jahr verbunden war, wurde von DDP, Zentrum, DVP, BVP, DNVP also von liberalen und bürgerlichen Parteien durch den Reichtstag gebracht.
Und damit begannen die Probleme, denn infolge des Börsencrash vom 24. Oktober 1929 stiegen in Deutschland die Arbeitslosenzahlen und somit die Anforderungen an die Arbeitslosenversicherung. Von Ende Oktober und Ende Dezember 1929 wuchs das Heer der Arbeitslosen von 1.3 auf über 2 Millionen an. Die Arbeitslosenversicherung war indes schon zuvor in finanzielle Schieflage geraten und wurde schon seit März 1929 mit einem Kredit finanziert, der Ende 1929 aufgebraucht war.
Die Arbeistlosenversicherung war nicht finanzierbar und stand vor dem aus. Es war klar, die Arbeitslosenversicherung musste grundlegend reformiert werden, sollte sie weiter Bestand haben. Zwischenzeitlich war das Kabinett Hermann Müller II im Amt. Hermann Müller war Sozialdemokrat, mit ihm in der Regierung waren unter anderem Rudolf Hilferding, Carl Severing und Rudolf Wissell. Der Streit im Kabinett Müller II entbrannte entlang zweier Positionen: Soll die Arbeitslosenversicherung durch eine Kürzung der Leistungen vor dem Aus bewahrt werden oder dadurch, dass die Beiträge angehoben werden. Ersteres die Position der DVP, letzteres unverkennbar die Position der SPD.
Beide Positionen sind nicht vereinbar.
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Aber man kann versuchen, auf Zeit zu spielen und erst einmal ein Streit-Moratorium zu schließen, in der Hoffnung, dass sich die wirtschaftliche Situation verbessert, die Zahl der Arbeitslosen sinkt und der Druck auf die Arbeitslosenversicherung nachlässt. Genau einen solchen Vorschlag hat Heinrich Brüning, zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender der Zentrumsfraktion im Reichstag unterbreitet, um die SPD-geführte Regierung von Hermann Müller zu retten. Der Kompromissvorschlag, dem die DVP zugestimmt hatte, ist letztlich an der SPD, am linken Flügel der SPD gescheitert, an Sozialisten, deren ideologische Verkrustung es nicht zugelassen hat, Kompromisse zu schließen.
Die Groteske, die sich im Reichstag anlässlich der Abstimmung über den Vorschlag von Heinrich Brüning zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung entwickelte, wird am besten dadurch deutlich, dass Rudolf Hilferding (Finanzminister), Carl Severing (Innenminister) und Rudolf Wissell (Arbeitsminister), die im Kabinett dem Kompromissvorschlag von Brüning zugestimmt hatten, von ihrer Fraktion im Reichstag dazu gezwungen wurden, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Am 27. März 1930 haben die Mitglieder der SPD in der Regierung von Hermann Müller, SPD, die Regierung verlassen. Was folgte waren Präsidialkabinette unter Heinrich Brüning. Rudolf Hilferding hat die Groteske als Selbstmord aus Angst vor dem Tode beschrieben.
Georg Decker hat schon 1929 im SPD-Theorieblatt „Die Gesellschaft“, die nahende Katastrophe, die aus der Regierungsunfähigkeit der SPD resultierte, beschrieben. Die SPD gehörte zu den Gründungsparteien der Weimarer Republik, wirkte bei der Einsetzung eines parlamentarischen auf Kompromissen und Ausgleich basierenden Systems nach britischem Vorbild mit. Indes Mitglieder und Abgeordneten haben sich im gesamten Verlauf der Weimarer Republik weder an das parlamentarische Prozedere, noch die Notwendigkeit, Abstriche von der eigenen Ideologie zu machen, gewöhnt:
„Die alte Schönheit, sage ich, ist nicht mehr wahr. Das ist aber keine Absage an die alte Wahrheit. […] Nicht mehr wahr ist aber die alte Schönheit, die diesen Kampf nur in klaren, eindeutigen Zügen erscheinen und alle Sorgen und Kämpfe des Tages zu einfach im hellen Licht des Ideals erscheinen ließ0. Jetzt müssen wir die Schwierigkeiten der Anassung an die neuen Verhältnisse überwinden, wir entdecken die Widersprüche in der Bewegung selbst, sehen uns einem nicht vorausgesehenen Zustand des schwankenden Gleichgewichts der Kräfte gegenüber stehen und zuweilen wie in eine Sackgasse geraten oder fühlen „Ekel und Überkeit“, gleich wie an Bord eines Schiffes bei Windstille., Die neue Wahrheit, wie wir sie jetzt täglich kennenlernen, ist oft nichts weniger als schön“
Zitiert nach:
Weichlein, Siegfried (2013). Das Scheitern der großen Koalition unter Hermann Müller 1930. In: Faulenbach, Bernd & Helle, Andreas (Hrsg.). Menschen, Ideen, Wegmarken.Aus 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie. Berlin: Vorwärts-Verlag, S.93-100.
Besser kann man den Irrtum von Sozialisten nicht auf den Punkt bringen. Leute wie Decker waren tatsächlich der Meinung, dass dann, wenn sich die SPD als Regierungspartei durchgesetzt und etabliert habe, der Weg ins Arbeiterparadies geöffnet sei, es kein Zurück mehr gebe, keinen Streit um die richtige Richtung oder gar politische Position. Ausführungen, wie die von Decker machen sehr deutlich, dass sozialistische und kommunistische Parteien nicht regierungsfähig sein können, weil ihre Ideologie den Wandel, die sich verändernden Zeiten nicht kennt, statt dessen die Wirklichkeit an das starre Prokrustesbett sozialistischer Wahnvorstellungen anpassen will.
Hinzu kommt, dass die offensichtliche Kluft zwischen Ideologie und Realpolitik gerade bei der SPD immer offensichtlicher wurden. 1928 mit dem Slogan „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ in den Wahlkampf gestartet, war es eine der ersten Amsthandlungen der Regierung Müller II, den Bau zweier Panzerkreuzer zu beschließen. Ab 1928 sah sich die SPD auf immer militanter und gewalttätiger werdender Angriffe seitens der KPD ausgesetzt. Die KPD hatte 1928 die Weisung aus Russland aufgenommen und die SPD fortan als „Sozialfaschisten“ bekämpft.
Letztlich ist die Weimarer Republik an solchen Unvereinbarkeiten gescheitert, an der Unfähigkeit und Unwilligkeit erklärter „Demokratien“ auch nur rudimentär demokratisch zu handeln.
Ein Problem, das sich bis heute perpetuiert.
Die letzte Weimarer Koalition ist nicht am Streit um die Arbeitslosenversicherung gescheitert. Der hätte leicht beigelegt werden können. Die letzte Weimarer Koalition ist an den ideologischen Betonköpfen der SPD gescheitert, die sich nicht damit abfinden konnten, dass demokratisches Prozedere mit ideologischer Besessenheit nicht vereinbar ist.
Robin Alexander liegt also vollkommen daneben.
Insofern wirkt es heute wie ein Hohn, wenn sich die SPD auf eine 100jährige demokratische, parlamentarische Geschichte berufen will.
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Author: Michael Klein
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