• 7. Februar 2025

Warum „unsere Demokratie“ zur Gefahr für echte Demokratie wird

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Feb. 6, 2025

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Friedrich August von Hayek hat den Begriff des Wieselwortes zwar nicht erfunden, aber in seiner Bedeutung geprägt. „So wie ein Wiesel angeblich imstande ist, ein Ei auszusaugen, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen, können Wieselwörter jedem Wort, dem sie vorangestellt werden, seinen Inhalt nehmen, während sie es scheinbar unverändert lassen. Ein Wieselwort verwendet man, um einem Begriff ‚die Zähne zu ziehen’, wenn man ihn zwar gebrauchen muss, ihm aber alle Nebenbedeutungen nehmen will, die die eigenen ideologischen Prämissen in Frage stellen.“ Sein Hauptbeispiel war das Wort „sozial“, doch inzwischen hat sich ein weiterer Kandidat eingeschlichen: das Wort „unsere“.

Schon oft haben wir es gehört, wenn Politiker und Journalisten der üblich-üblen Art „unsere Demokratie“ beschwören. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag und dem Gesetzesentwurf von Friedrich Merz zur Migration, der erste verabschiedet, der zweite gescheitert, konnte man der Wortschöpfung kaum entgehen. „Die von der Union initiierte Gesetzgebung zur Migration stellt unsere Demokratie vor die größte Zerreißprobe der letzten Jahrzehnte“, schrieb man in der „Zeit“, denn die Initiative werde „ausschließlich die AfD stärken und unsere Demokratie aushöhlen.“ „Ein schwarzer Tag für unsere Demokratie“, durfte man bei der Tagesschau lesen, und selbstverständlich mussten sich auch die Grünen zu Wort melden: „Erstmals wurde im Deutschen Bundestag ein Antrag mit Hilfe der AfD beschlossen. Das ist eine Zäsur für unsere Demokratie.“

„Unsere Demokratie“ ist also allem Anschein nach eine Demokratie, in der man nicht einfach einen Antrag einbringt, über den dann alle Parlamentarier nach eigenem Gusto abstimmen können, sondern es dürfen nur solche Ansinnen zur Abstimmung gelangen, die erstens auf der grünlinken Seite Wohlwollen finden und zweitens unter keinen Umständen mithilfe der AfD eine Mehrheit erlangen. Und schon hat man in der Tat dem Begriff der Demokratie „die Zähne gezogen“, denn demokratische Entscheidungen werden nur noch dann im Sinne „unserer Demokratie“ anerkannt, wenn sie einer bestimmten Richtung entsprechen. „Unsere Demokratie“ muss dem grünroten Zeitgeist zu Willen sein, alles andere ist Nazidenken.

Gibt es Vorbilder für einen derart seltsamen Demokratiebegriff? Die gibt es, man muss nicht lange danach suchen. „Unsere sozialistische Demokratie“, schrieb Mao in seinem Werk „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk“, „ist die umfassendste Demokratie, wie es sie in keinem bürgerlichen Staat geben kann. Unsere Diktatur ist die demokratische Diktatur des Volkes, die von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht.“ Eine bessere Demokratie als die sozialistische kann es seiner Ansicht nach nicht geben, wobei es sich tatsächlich um eine „demokratische Diktatur“ handelt. Das hat er schön gesagt und die Freunde „unserer Demokratie“ können ihre Freude an seinen Worten haben. Heute geht es nicht mehr um die Arbeiterklasse, um die kümmert sich unter Grünen und Linken keiner, sondern um die Vertreter des Ökosozialismus, die nur zu gerne eine „demokratische Diktatur“ unter ihrer alleinigen Führung praktizieren wollen und das für die beste Demokratie aller Zeiten halten, ganz im Sinne von Mao. Innerhalb des Volkes sei die Demokratie verwirklicht, schreibt Mao weiter, während „über die reaktionären Klassen, Reaktionäre und die Elemente, die sich der sozialistischen Umgestaltung und dem Aufbau des Sozialismus widersetzen,“ die Diktatur ausgeübt werde. Ersetzt man Sozialismus durch Ökosozialismus, so sieht man hier eine annähernd perfekte Beschreibung dessen vor sich, was die Vertreter „unserer Demokratie“ sich so sehnlichst wünschen.

Kann man nur auf den Vorsitzenden Mao zurückgreifen? Nein, da gibt es noch mehr. Denn man muss ja den Schein wahren, und wer hätte das besser formuliert als der Genosse Walter Ulbricht, der so lange die Geschicke der DDR bestimmte? „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!“, teilte er schon 1945 seinen Mitstreitern mit und wer wollte leugnen, dass die hauptamtlich Empörten unserer Zeit in seinem Geiste operieren? „Unsere Demokratie“ – das bedeutet nichts anderes; wir, die Guten, die Elite, müssen alles in der Hand haben, die anderen sind nur Dekoration und dienen vor allem als schlechtes Beispiel. Nur kurz will ich anmerken, dass Angela Merkel die ersten 16 Jahre ihres Lebens, die vermutlich eine prägende Rolle spielten, unter der Ägide Ulbrichts verbrachte.

Auch Josef Stalin darf nicht fehlen. Er erklärte das Einparteiensystem der Sowjetunion zur  „Demokratie für alle“ – er hätte auch gleich „unsere Demokratie“ sagen können, damit seine heutigen Freunde nicht so lange nachdenken müssen. Und wohin soll sich „unsere Demokratie“ entwickeln? Das hat schon Lenin vorgegeben, und seine ökosozialistischen Bewunderer eifern ihm gerne nach. „In der kapitalistischen Gesellschaft haben wir eine gestutzte, dürftige, falsche Demokratie, eine Demokratie nur für die Reichen, für eine Minderheit. Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum ersten Mal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten.“ Eine falsche Demokratie haben wir und die echte Demokratie bringt eben nur der Übergang zum Kommunismus, den man heute durch den Ökosozialismus ersetzen würde. Eine Minderheit muss man nun einmal niederhalten, da kann man nichts machen. Bei Lenin waren es die Ausbeuter, in unserer Zeit sind es die Feinde der großen Transformation, der ungeregelten Migration – es sind die Feinde „unserer Demokratie“. Numerisch mögen sie sogar eine Mehrheit bilden, doch moralisch sind sie eindeutig in der Unterzahl und nur moralische Mehrheiten dürfen noch gelten.

Mao, Ulbricht, Stalin, Lenin, sie alle sind Vorbilder für „unsere Demokratie“, wie sie sich die moralisch so Hochstehenden vorstellen. Und nicht nur diese vier. Was die Methoden angeht, darf man auch einen Blick nach Ankara werfen, auf den türkischen Präsidenten Erdoğan, der schon vor vielen Jahren sein demokratisches Programm vorgestellt hat. „Die Demokratie ist für uns eine Straßenbahn“, meinte er. „Wenn wir angekommen sind, steigen wir aus.“ Und: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind.“ An die Vorbildwirkung seiner Worte für die deutsche Politik hat er wohl kaum gedacht. Sich mit demokratischen Mitteln an die Macht bringen und dann, sobald man sie errungen hat, die Demokratie in „unsere Demokratie“ verwandeln: das ist angewandter Erdoğanismus.

Im Zusammenhang mit der Grundlegung der Mathematik schrieb der Philosoph Bertrand Russell: „Die Methode, das zu “postulieren”, was man braucht, hat viele Vorteile. Es sind dieselben, wie die Vorteile des Diebstahls gegenüber der ehrlichen Arbeit.“ Das gilt nicht nur für die Mathematik. Die vehementen Lautsprecher „unserer Demokratie“ postulieren einfach, sie und nur sie seien die einzigen echten Demokraten und sind doch weit davon entfernt. Sie stehlen den Begriff und formen ihn um bis zur Unkenntlichkeit, um so „die Vorteile des Diebstahls gegenüber der ehrlichen Arbeit“ zu genießen.

Die Aneignung und Umdeutung von Begriffen, der Begriffsdiebstahl, ist kein Straftatbestand, nicht einmal dann, wenn es um den Begriff der Demokratie geht. Anzeigen kann man ihn nicht. Abwählen schon.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Shutterstock

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