Hamburg (ots)
Deutsche Ermittler verzichten darauf, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch systematisch zu löschen, obwohl das schon mit wenig Personal möglich wäre und verantwortliche Politikerinnen und Politiker aus Bund und Ländern dies versprochen hatten. Das haben Recherchen des ARD-Politikmagazins „Panorama“ und des Rechercheformats „STRG_F“ (NDR/Funk) ergeben.
Ermittlungsbehörden lassen die strafbaren Aufnahmen, die in pädokriminellen Online-Foren getauscht werden, sogar dann nicht sofort löschen, wenn sie Gegenstand von Ermittlungen waren. Im Fall des pädokriminellen Forums „Alice in Wonderland“ sind die dort verlinkten Aufnahmen weiterhin online zu finden, obwohl das Forum schon im September 2024 durch nordrhein-westfälische Ermittler abgeschaltet wurde.
Dass weiterhin nicht gelöscht wird, haben „STRG_F“ und „Panorama“ zunächst mittels einer weltweit einmaligen Datenanalyse herausgefunden, die sie monatelang in großen pädokriminellen Darknet-Foren durchgeführt haben. Teilweise stießen sie auf Fotos und Videos, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen – und die schon über Jahre im Netz standen. In einem außergewöhnlichen Pilotprojekt erfassten dann zwei Personen von „STRG_F“ und „Panorama“ über Monate hinweg in den großen pädokriminellen Darknet-Foren die dort verlinkten Fotos und Videos. Hintergrund ist, dass sich pädokriminelle Täter zwar im anonymen Darknet vernetzen, aber die Datenmengen ihrer illegalen Aufnahmen nicht dort speichern, weil sie zu groß sind. Daher wählen sie Speicherdienste im „normalen“ Internet, um ihr Material verschlüsselt hochzuladen. Im Darknet-Forum teilen sie dann nur einen entsprechenden Download-Link. Die Speicherdienstbetreiber ahnen wegen der Verschlüsselung meist nichts davon, reagieren aber auf Hinweise von außen.
„Panorama“ und „STRG_F“ meldeten die eingesammelten Links an diese Speicherdienste. Insgesamt deaktivierten die Dienste infolgedessen mehr als 300.000 Links zu Millionen Aufnahmen mit einer Datenmenge von 21.600 Gigabyte – und löschten die Daten von ihren Servern. Sie waren zuvor über 23 Millionen Mal von Pädokriminellen heruntergeladen worden. Zwei Darknet-Foren, in denen systematisch gelöscht wurde, stellten ihren Betrieb komplett ein, darunter das zweitgrößte der Welt. Ein weiteres wurde von den Betreibern nicht mehr gepflegt und von Nutzern als „totes Forum“ bezeichnet. „STRG_F“ und „Panorama“ konnten beobachten, wie einige Pädokriminelle, die über Jahre illegale Aufnahmen verbreitet hatten, wegen der konsequenten Löschung aufhörten, weiter Inhalte hochzuladen.
Dass Behörden diese effektive Methode nicht nutzen, steht im Widerspruch zu politischen Zusagen der vergangenen Jahre. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte den Kampf gegen Kindesmissbrauch zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit machen wollen. Nachdem 2021 durch Recherchen von „STRG_F“, „Panorama“ & „Der Spiegel“ bekannt geworden war, dass auch das Bundeskriminalamt (BKA) bei Ermittlungen in Darknet-Foren massenhaft illegale Inhalte im Netz gelassen hatte, hatte Faeser mehrfach beteuert, dass die Löschverfahren beim BKA daraufhin „umgestellt“ worden seien. Noch im Dezember 2024 bekräftigte sie im Interview mit „Panorama“ und „STRG_F“: „Aus meiner Sicht ist es besser geworden. Wir haben jedenfalls unsere Bemühungen verstärkt.“
Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hatte aufgrund der Recherchen aus dem Jahr 2021 prüfen lassen, ob deutsche Polizeibehörden die Methode umsetzen könnten. Im offiziellen Protokoll hielten die Innenministerinnen und -minister fest, dass sie „eine geeignete Möglichkeit bietet, die Verfügbarkeit von Missbrauchsabbildungen zu reduzieren.“ Den Reportern von „STRG_F„ und „Panorama„ liegt allerdings exklusiv der vertrauliche Bericht vor, der klarstellt, dass technisch mögliche Löschungen der strafbaren Aufnahmen nicht stattfänden, selbst wenn diese „im Sinne des Opferschutzes und der öffentlichen Erwartungshaltung ein wirkungsvoller Beitrag“ wären. Dem Bericht zufolge fehle das Personal und zudem müsse die Rechtslage geklärt werden. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) hat das systematische, sogenannte anlassunabhängige Löschen strafbarer Bilder bisher nicht umgesetzt, wie die Recherchen jetzt belegen.
Konfrontiert mit den neuen Recherchen sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) – auch verantwortlich für den Fall „Alice in Wonderland“ – im Interview mit „STRG_F“ und „Panorama“: „Dass man, wenn man so vorgeht, den Foren den Boden entzieht, das ist doch logisch.“ Die Methode sei gut, „davon muss mich auch keiner mehr überzeugen.“ Bisher habe Priorität, die Täter zu verhaften und die Opfer aus der Gefahrenzone zu bringen: „Das heißt aber nicht, dass das andere nicht gemacht werden muss.“ Er kündigte an, das Thema erneut in die Innenministerkonferenz einzubringen.
Das Bundesinnenministerium teilte auf erneute Anfrage mit, man habe entsprechende Prozesse „evaluiert und angepasst“. Dabei seien auch „die Prozesse im Zusammenhang mit der anlassunabhängigen Recherche im Internet berücksichtigt“ worden. Was das konkret bedeutet, wurde nicht weiter ausgeführt.
STRG_F berichtet über das Thema am Donnerstag, den 6. Februar, ab 17 Uhr in der ARD-Mediathek und auf YouTube. Panorama um 21.45 Uhr im Ersten. Anschließend ist der Bericht in der ARD Mediathek zu sehen.
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