Torsten Teichert – Ex-SPD, Ex-Linke, Ex-BSW – war jahrelang der engste Mitarbeiter vom Hamburger Ex-Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi. Er war Mitbegründer des BSW und rechnet jetzt mit Sahra Wagenknecht ab. Der Ultralinke wirft Wagenknecht unter andrem vor, „komplett irre“ zu sein.
Dieser offene Brief von Torsten Teichert, einem Erzsozialisten, an Wagenknecht ist lesenswert und wirft die Frage auf: War´s das schon mit dem sozialistischen Veitstanz von Wagenknecht und Co?
Liebe Sahra,
wie Du weißt, gehörte zu den Gründungsmitgliedern von BSW, hatte viel Hoffnung. Im Juli trat ich aus. Die Partei hatte begonnen, Stimmung gegen Asylbewerber und Immigranten zu machen. Als ich morgens in einem Interview der „taz“ las, dass Du aus dem BSW eine „moderne konservative Partei“ machen willst, war es Zeit für mich zu gehen. Kurz zuvor hattest Du in einem Video beim CSU-Politiker Gauweiler antichambriert und dafür geworben, doch gemeinsam als „konservativ“ verstanden zu werden.
Als ich Dir im Juli meinen Austritt erklärte, bot ich Dir an, dies zu begründen. Davon wolltest Du damals nichts wissen. Also erkläre ich heute, warum Du mit BSW einen sehr großen Fehler machst. Diese Zeilen leite ich auch an Freunde und Interessierte weiter.
Du hast mich und viele andere zuerst getäuscht – und dann enttäuscht.
Viele Deiner Analysen, auch zuletzt im Buch „Die Selbstgerechten“, waren richtig. Aber die Umsetzung war miserabel. Und Du hast mit dem BSW viele Deiner früheren Positionen mit den Füßen getreten.
Ja, wir brauchen in Deutschland eine Partei, die die soziale Gerechtigkeit und eine moderne Friedenspolitik in den Mittelpunkt stellt. Aber wir brauchen keinen neuen Führer-Kult. Wir brauchen keine undemokratischen Parteistrukturen. Wir brauchen keine Hetze gegen Ausländer, Asylbewerber und Migranten. Wir brauchen keine historisch idiotische Lobpreisung des deutschen Mittelstands. Wir brauchen mehr als den nonchalanten Zynismus, Trump und Harris seien gleichermaßen unwählbar. Wir brauchen auch keine hyperventilierende Wut gegen die Grünen, die -wie weiland die Juden- für den Untergang Deutschlands verantwortlich seien. Als gäbe es keine gefährlicheren Feinde.
Du hast Dich verrannt in Deinem Zorn – und in Deiner Selbstgerechtigkeit. Nun hat sie Dich eingefangen. Macht und Öffentlichkeit sind ein süßes Gift. Dich hat es erwischt.
In Hamburg erleben wir die Tragödie des BSW als Satyrspiel. Die Claqueure der intrigenreichen und skandalumwitterten Zaklin Nastic bestimmen den Kurs, die Kritiker werden von Deinem willfährigen Vorstand kaltgestellt. Du hast mal Rosa Luxemburg gepriesen, von der Verteidigung der Andersdenkenden aber ist nichts mehr geblieben. Eine Frau, eine Richtung, basta.
Oskar Lafontaine sagte mir vor einigen Jahren am Rande eines Treffens der Führungsriege von „Aufstehen“: „Es geht längst nicht mehr nur um soziale Gerechtigkeit. Es geht um die Demokratie.“ Das hat Du nicht verstanden. Und so wirst Du die von Dir gegründete Partei ebenso an die Wand fahren wie die Bewegung „Aufstehen“.
Damit aber richtest Du größeren Schaden für die gesellschaftliche Linke in diesem Land an, als verzeihbar wäre. Mag ja sein, dass Du gar keine Linke mehr sein willst, sondern eine „moderne Konservative“. Aber wozu dann BSW?
In dieser Woche hat McDonalds erklärt, dass es alle sogenannten „Diversity“- Programme zur Integration von minoritären, unterprivilegierten Gruppen einstellt. Freuen wir uns jetzt über das Ende der „Wokeness“? Freust Du Dich darüber? Facebook stellt den Faktencheck ein. Elon Musk baut eine weltweite rechte Bewegung auf und versammelt sie ausgerechnet hinter Donald Trump. Wir werden Alice Weidel bald häufig im Pentagon oder Weißen Haus zu sehen bekommen. Die globale Rechte ändert gerade ihren Kompass. Alice Weidel erklärt im Gespräch mit Elon Musk, dass Hitler ein Sozialist gewesen sei. Und Du magst Deine klammheimliche Sympathie für das AfD-Denken immer noch nicht überkommen.
Du hast dabei mitgemacht, gegen Ausländer zu hetzten. Und Du hast ignoriert, dass man nicht gegen eine Menschengruppe hetzen kann, ohne alle anderen zu gefährden. Kaum hetzten alle gegen Ausländer, Asylsuchende und Migranten, ging man daran, das Bürgergeld zu schleifen. Aber auch das ist nur ein Zwischenschritt. Jetzt wird die Abschaffung der von den Gewerkschaften mühsam erkämpften uneingeschränkten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall diskutiert. Vorneweg der von Dir gepriesene deutsche Mittelstand.
Bis gestern stritten wir darüber, wie man den Krieg in der Ukraine beenden könnte. Ein notwendiger Streit. Jetzt erklärt Trump, dass er Grönland, Kanada und den Panama-Kanal notfalls mit Waffengewalt zum US-Gebiet erklären will. Und er droht den BRICS-Staaten, zu denen nun auch Indonesien mit über 300 Millionen Einwohnern gehört, die meisten davon muslimisch, dass sie unter keinen Umständen die von Brasiliens Präsident vorgeschlagene gemeinsame Währung als Konkurrenz zum US-Dollar einführen dürfen. Für die USA geht es um alles.
Die Welt um uns herum ändert sich radikal:
Die USA zeigen unverhohlen ein neues imperialistisches Gesicht, das vor Ländergrenzen nicht mehr Halt macht.
Der Kapitalismus ist weltweit, ob mit Kettensäge oder ohne, dabei, die soziale Ungleichheit ins Extreme zu steigern. Dabei verbünden sich die transnationale Agierenden mit ihren nationalen Statthaltern (denen Du Besseres zutraust als den Grünen, um nur einen Deiner gefährlichen Irrtümer zu benennen)
Die globale Rechte verbündet sich mit Internet-Milliardären, hetzt gegen Andersdenkende und gibt ihren US-kritischen Kurs auf. Alle hinter Trump. Alle unter Elon Musk.
Im neuen Neoliberalismus übernehmen die superreichen Oligarchen den Staat und formen ihn so, wie sie es wollen.
Dem kann man sich nicht als „moderne konservative Partei“ entgegenstellen. Dem kann man keinen Widerstand leisten, indem man selbst gegen Ausländer wettert. Dem Oligarchen Kapitalismus mit seinem Superhelden Elon Musk kann man nicht durch einen alternativen Führer-Kult begegnen.
Was wir brauchen, ist radikale Demokratie. Wir müssen unsere Sinne für Gerechtigkeit und Humanität schärfen. Wir müssen die Spaltungen innerhalb des linken Lagers überwinden und wieder bündnisfähig werden. Wir müssen begreifen, wo die wirklichen Gegner stehen. Die heißen nicht Habeck und nicht Scholz. Unsere Gegner sind weit mächtiger und viel gefährlicher.
Aus dem BSW ist eine Sektiererpartei geworden, die Dir noch blind folgt. Viele in der Partei halten den Atem an, denn die ausländerfeindlichen Parolen des BSW stinken zum Himmel. Du hast bei der Gründung der Partei in Berlin davon gesprochen, dass es im BSW besser, freundschaftlicher, demokratischer zugehen solle als vormals in Deiner Partei der LINKEN. Aber Du hast alles in Wahrheit nur verschlimmert. Du hast der gesellschaftlichen Linken eine weitere Spaltung zugefügt, nur um danach zu erklären die einstigen Linken, die nicht selbstgerecht sein wollten, müssten nun „moderne Konservative“ werden. Das ist komplett irre – und historisch schwerwiegend falsch.
Wenn Du noch was von Rosa Luxemburg hältst, dann sorge dafür, dass die falschen Spaltungen der Linken aufhören. Beende Deinen Irrweg.
Wir brauchen ein Bündnis aller linken, aufklärerischen Kräfte mehr denn je. Wenn BSW eine „moderne konservative Partei“ werden will, geht es den falschen Weg. Entweder ist BSW eine linke, progressive Partei – oder sie wird nicht gebraucht. Tritt einfach als Vorsitzende zurück. Bitte.
Viele Grüße aus Hamburg, auch an Oskar
Torsten
Dr. Torsten Teichert
Straßweg 3, 22607 Hamburg
Tel: +49 172 4111805
Mail: [email protected]
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Author: Bettina Sauer
Journalistenwatch