Ich bekenne mich, denn auch Alice Weidel hat journalistische Fairness verdient!

Ja, wir distanzieren uns in diesen Tagen zu oft. Ein Brandmäuerchen hier und eine Kontaktscham dort. Und prompt ist eine Gesellschaft gespalten, weil man nicht mehr dem Dialog und Austausch von Argumenten Raum gibt, sondern seine Ideologie und das eigene Verständnis von Demokratie für die einzig wahren Optionen hält. Doch auch für mich gibt es Situationen, in denen ich Abstand nehmen muss.

Von Dennis Riehle

Beispielsweise von einer LGBTIQ-Bewegung, die mich als schwulen Mann zu vereinnahmen versucht. Oder von einer Kirche, die nicht für mich spricht, wenn sie das hehre Christsein mit einer politisch linken Meinung verknüpft. Und vor allem ist es nicht in meinem Sinne, wenn sich journalistische Kollegen kurz nach der offiziellen Ernennung von Alice Weidel zur Spitzenkandidatin der AfD bei der Bundestagswahl mit hämischen und verachtenswerten Kommentaren als Verräter jedes volksherrschaftlichen Prozesses entlarven.

Es ist in der Gegenwart wirklich nicht einfach, sich mit Vehemenz und Leidenschaft zu seiner Berufsbezeichnung zu bekennen, die völlig zu Recht und nachvollziehbar negativ konnotiert ist. Denn zu viele Publizisten ziehen den Ethos und das Credo durch den Dreck, denen man sich als Tugenden eigentlich schon deshalb bewusst sein sollte, weil man am frühen Morgen doch noch ungeniert, authentisch und glaubwürdig in den Spiegel schauen möchte – und nicht darauf aus ist, sein Gewissen später an der Garderobe der Redaktion abzugeben. Wahrscheinlich überstrahlen Egozentrik, Arroganz und Hochmut eine konsistente Falschheit, Tendenziösität und Anbiederung gegenüber den Mächtigen und Herrschenden in diesem Land, von denen sich manch ein Muckraker möglicherweise erhofft, in eine nennenswerte und zum Einfluss taugliche Position gehoben zu werden. Oder es ist der Hintergedanke der finanziellen Abhängigkeit.

Denn auch wenn in Deutschland die Presseförderung noch auf indirektem Weg erfolgt, so sind es beispielsweise auch die Rundfunkgebühren, die von der Obrigkeit festgesetzt werden – und für den beim ÖRR arbeitenden Familienvater existenzsichernd sind. Diese monetäre Verflechtung rechtfertigt und entschuldigt es allerdings nicht, dass man sich eklatant auf eine bestimmte Seite ziehen lässt, um letztlich massiv in die Chancengleichheit aller Parteien bei den anstehenden Abstimmungen eingreifen zu können. Da präsentiert das ZDF in einem Einspieler den perfekten Werbe- und Marketingfilm für Robert Habeck, dessen gottgleiche Erscheinung auch dadurch untermauert wird, dass das Umfeld von Maybrit Illner ihren Urnengang augenscheinlich bereits heute abgeschlossen hat – und der Nation stolz präsentiert, bei welchem Wettbewerber man selbst sein Kreuz setzt.

Im selben Atemzug überziehen sämtliche Haltungsmedien die Frontfrau der Alternative für Deutschland mit zutiefst unfairen, ergebnisgeschlossenen und denunziatorischen Fragestellungen, Anheftungen und Etiketten, dass ein gerechtes Ringen um die besten Lösungen und Antworten für unsere Zukunft gar nicht mehr möglich ist. Wahrscheinlich passt es nicht in das Weltbild und den Horizont meiner schreibenden Zunft, dass eine höchst couragierte, rhetorisch brillante und fachlich versierte Persönlichkeit für die Blauen antritt, die sich darüber hinaus offen homosexuell gibt – und damit so gar nicht in das Vorurteil passen mag, wonach die bösen Rechtsextremen ein Problem mit Schwulen und Lesben hätten. Da tritt ein Charakter auf die Bühne des Ringkampfes um Unterstützung für den 23. Februar 2025, die im Bundestag durch ihre pointierten, demaskierenden und fulminanten Reden des Zerstörens zeitgeistiger Visionen auf sich aufmerksam macht. Sie erweist sich schon allein deshalb staatsmännischer als ihre maskulinen Gegner von CDU oder Grünen, weil sie Rückgrat und Biss hat.

Diese ehrenhaften Prädikate gibt sie auch dann nicht preis, wenn man unter der Bedingung des Weichspülens von Programmatik und Zielen mit der Aussicht auf Koalitionsverträge und Ministerpöstchen vor ihren Augen wedelt. Schließlich hängt sie alle Normen des Prinzips höher als sämtliche Varianten von Opportunismus. Auch ich bin nicht von jeder Abwägung begeistert, die die 45-Jährige entscheidet. So sehe ich aktuell den Beschluss zur Auflösung der Nachwuchsorganisation JA und das Neustrukturieren der Jugend kritisch. Auch das damalige Abrücken von Maximilian Krah hat sich mir nie wirklich erschlossen. Daneben gibt es sicherlich Defizite in der Kommunikation nach innen und außen. Und bisweilen mangelt es ihr an Rückhalt für ihre Truppe, die sie allerdings bemerkenswert diszipliniert und führungsstark zusammenhält. Insbesondere bei einem recht breit gefächerten Sammelsurium an Strömungen und Flügeln ist diese Aufgabe wahrlich kein Zuckerschlecken. Und dass sie sich in diesem Haifischbecken behaupten kann, qualifiziert und befähigt sie, im Zweifel Kopf einer Regierung zu werden, die den Terminus der Zeitenwende endlich mit Leben füllt – und einem „Weiter so“ den Zahn zieht.