• 28. Dezember 2024

Assads Verbündete massiv geschwächt – Die aktuelle Lage rund um Aleppo

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Dez. 1, 2024

Sevim Dağdelen, Bundestagsabgeordnete der BSW-Gruppe und außenpolitische Sprecherin des BSW, schrieb heute einen Kommentar auf Twitter zur unübersichtlichen Situation in Syrien und zu der mutmaßlichen Teileroberung von Aleppo durch eine islamitisch beeinflusste Rebellengruppe. Sevim Dağdelen schrieb:

„In Syrien rücken die Al-Kaida-Truppen der HTS weiter vor. Ohne USA und Erdogan wäre dies wohl kaum möglich. 2012 schon schrieb Jack Sullivan, jetzt Nationaler Sicherheitsberater des US-Präsidenten, in einer e- Mail an die Außenministerin Hillary Clinton: „In Syrien steht Al-Kaida an unserer Seite.“ Die Unterstützung des islamistischen Terrorismus war für USA und NATO-Staaten immer Mittel zum Zweck. Alles Gerede von irgendwelchen Werten blamiert sich an der Wirklichkeit. Syria“

Dazu teilte Dağdelen eine Email von 2012, welche der Sicherheitsberater an die damalige Außenministerin geschrieben hatte.

Das Problem der meisten Berichterstatter heute ist, dass sie sich auf bestimmte Teile des Konfliktes konzentrieren müssen und keinen Gesamtüberblick anbieten. Andere wiederum fassen dieses Thema gar nicht erst an.

Offenbar fehlt aktuell tatsächlich jemand, der im Stile eines großen Welterklärers wie Peter Scholl-Latour die größeren Zusammenhänge erklären kann. Ein Experte, der sich relativ schnell an eine Gesamteinschätzung der Lage gemacht hat, ist Konstantin Flemig, er ist Kriegsreporter und dem Mainstream zuzuordnen. Wer mag, soll die eine oder andere Einschätzung überprüfen und konkretisieren.

Sein aktuelles Video https://www.youtube.com/watch?v=fik9DJizrzU auf seinem Kanal „Konstantin Flemig – Kriegsreporter“ fasst zusammen, was da in Aleppo passiert und welche Gruppen beteiligt sind. Als Einstieg ins Thema ist sein Vortrag gut geeignet. Wer sich für von hier aus für bestimmte Details interessiert, kann explizit weiter recherchieren.

Hier eine Zusammenfassung der Situation um Aleppo entlang des über zwanzigminütigen Vortrags des Kriegsreporters:

Eine überwiegend islamistische Allianz / Rebellentruppe hat binnen weniger Tage weite Teile der Zweimillionenstadt Aleppo eingenommen. Warum ist das Assad-Regime so weit geschwächt?

Diese Zuspitzung des Dauerkonfliktes begann am 27. November 2024 mit einer Offensive der Rebellen im Nordwesten, die seit Jahren die Region um Idlib kontrollieren, einer syrischen Stadt mit ehemals 164.000 Einwohnern.

Eine der zwei größen Rebellengruppen in Syrien ist die Syrian National Army (SNA) unter Kontrolle der Türkei, die schon als Proxy-Armee (Stellvertreter-Armee) der Türken bezeichnet wurde. Die SNA war für die Türkei bereits in weiteren Ländern im Einsatz, so im Kaukasus und in Libyen.

Den Angriff auf Aleppo hat die auch von Sevim Dağdelen erwähnte „Haiʾat Tahrir asch-Scham“ (HTS) als zweite größere Rebellen-Gruppe in Syrien geführt. Deshalb ein paar Details zu diesem islamistischen Bündnis und ihrer Herkunft:

Die Organisation HTS ging hervor aus der „Jabhat Fatah al Sham“ (JFS), übersetzt etwa: Front zur Eroberung von „Al-Sham“ – in der arabischen Sprache gehört zu Al-Sham (der Norden“), wie Syrien genannt wird, das gesamte Gebiet zwischen Ägypten und der Türkei.

Die „Jabhat Fatah al Sham“ existierte nur ein paar Monate. Zuvor hieß sie Al-Nusra (al-Nusra Front) und galt lange als mächtigste islamistische Rebellengruppe in Syrien. Al-Nusra war praktisch der Ableger der al-Qaida in Syrien – ein Franchise samt Treueschwur an al-Qaida. Deshalb wurde Al-Nusra in der gesamten westliche Welt als Terrororganisation eingestuft.

2016 kam es zu einer Loslösung von al-Qaida. Al-Nusra wollte seinen Fokus mehr auf sein Herrschaftsgebiet in Syrien legen und wegkommen vom internationalen Terrorismus. Al-Qaida ist seinem ehemaligem syrischen Ableger gegenüber seitdem überwiegend feindlich gesinnt. Überwiegend, denn es gibt weiterhin bestimmte Kommunikationsansätze. Aber auch immer wieder vereinzelte Gefechte.

Besagte HTS kontrolliert seit Jahren das Gebiet um Idlip. Seit 2020 gibt es eine Art Waffenstillstandsvereinbarung zwischem dem Assad-Regime und den Rebellen in der Region um Idlib. Zustandegekommen ist es auch unter Beteiligung der Russen, der Iraner und der Türken, ausgerufen wurde es in Astana, Kasachstan.

Dabei blieb es bis vor wenigen Tagen immer mal wieder unterbrochen von Gefechten zwischen HTS und Assads Truppen. Konkret soll es zuletzt Artilleriebeschuss der Rebellengebiete durch die Assad-Truppen gegeben haben, der HTS wollte das jetzt durch einen Vorstoß beenden. Der Titel der Kommandoaktion hieß übersetzt „Abschreckung der Aggression“

Demzufolge sind die Rebellen des HTS am 27.11.2022 vorgestoßen. Es soll zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geplant gewesen sein, Aleppo einzunehmen. Um Aleppo wurde bis 2016 bereits erbittert gekämpft. Nach jahrelangen Gefechten – auch mit Hilfe der russischen Luftwaffe – wurde diese Stadt von Assad zurückerobert und bis zuletzt auch gehalten. Der Kampf um Aleppo forderte damals allein schon 30.000 Tote.

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Während der Kommandoaktion merkte der HTS allerdings erstaunt, dass der Widerstand, als sie duzende Dörfer im Umland von Aleppo einnahmen, erstaunlich gering war. Das soll sie dann ermutigt haben, diese Operation spontan auszuweiten. Wer dann als Berater fungierte und welche Interessen damit gestützt werden, bleibt der zukünftigen Recherche überlassen und liegt bis dahin weiter im Dunkel.

Der Angriff auf Aleppo soll mit zwei Auto-Selbstmordanschlägen begonnen haben. Von da an sei alles sehr schnell gegangen. Am 29. November standen die Kämpfer der HTS-Allianz bereits in den Vororten von Aleppo. Am Abend war bereits die Regierungszentrale und das Hauptquartier erobert, ebenso wie der zentrale Marktplatz und die Zitadelle von Aleppo mitten in der Stadt. Sie ist eines der wichtigsten Kulturdenkmäler des Nahen Ostens

Am Morgen des 30. November war bereits etwa die Hälfte von Aleppo unter Kontrolle der HTS. Bemerkenswert hier: Das alles passierte, ohne das es zu größeren Kämpfen gekommen ist. Bis dahin gab es etwa 200-300 tote Kämpfer der Rebellen und des Regimes. Gemessen daran, wie lange ein Kampf in der Ukraine etwa um die Stadt Bachmut dauerte, und wie viele zehntausend Opfer er über Monate hinweg forderte, ist das erstaunlich. Bachmut hatte ein paar zehntausend Einwohner, Aleppo zwei Millionen. Das weckt allenfalls Erinnerung an die islamistische Eroberung der irakischen Metropole Mosul, die ähnlich rasant erfolgte.

Was Aleppo selbst angeht, soll es dort aktuell erhebliche Fluchtbewegungen vor den Islamisten geben, wie Hilfsorganisationen berichten. Insbesondere auch Christen seien auf der Flucht. Die in der Region stationierte russische Luftwaffe hat bereits Luftangriffe gegen die Rebellen geflogen. Es soll auch einen Angriff der Rebellen auf eine russische Spezialeinheit gegeben haben: Ein Hinterhalt auf russische Elitesoldaten, der für die Russen tödlich geendet haben soll.

Wie konnte das alles so schnell passieren?

Bisher hatte Assad drei große Verbündete: Den Iran als Schutzmacht der Schiiten. Die Hisbollah als vom Iran abhängig und ausgestattet mit erfahrenen und gut ausgebildeten Kämpfern. Und als dritter im Bunde Russland mit seinen Militärbasen als Schutzmacht des Assad-Regimes samt russischer Marinebasis am Mittelmeer.

Diese drei Hauptunterstützer Assads sind allerdings jeder für sich mit sich selbst genug beschäftigt: Die Hisbollah kämpft massiv ums Überleben, geschwächt durch den Krieg mit Israel. Insbesondere, nachdem Israel in den Libanon einmarschiert ist samt massiver Luftangriffe gegen die Hisbollah. Zudem ist die Kommandoebene der Hisbollah von Israel liquidiert worden. Hinzu kommen die explodierenden Pager mit hunderten oder tausenden Verletzten. Kämpfer mussten bereits aus Syrien abgezogen werden.

Der Iran ist ebenfalls in den Konflikt mit Israel eingebunden. Deshalb hält sich auch der Iran zurück. Bleibt Russland, das massiv mit dem Ukrainekrieg beschäftigt ist und eine große internationale westliche Allianz gegen sich hat.

Die mächtigsten Unterstützer des Assad-Regimes erscheinen mindestens partiell gelähmt. Und genau das macht jetzt mutmaßlich die Aktion des HTS so erfolgreich. Die bange Frage für Assad dürfe jetzt sein, wie sehr diese erfolgreiche militärische Aktion rund um die zweitgrößte Stadt seines Landes den HTS und seine Allianz beflügeln könnte.

Aber: Auch unter islamistischen Gruppen gibt es viele Streitigkeiten und unübersichtliche wechselnde Allianzen. Die HTS ist verfeindet mit dem IS, seit man sich abgespalten hat. Weitere Al-Quaida zugeordnete Gruppen in Syrien sind Gegner des HTS. Die HTS wurde von der Erdogan-Türkei als Terrororganisation klassifiziert. Aber die HTS hat auch Kontakte zur Türkei. So wurde beispielsweise türkischen Soldaten erlaubt, auf ihrem HTS-Gebiet Patrouille zu laufen und Außenposten und errichten. Militärexperten sagen, die Türkei versuche, die gemäßigteren Vertreter des HTS zu stärken, um die dschihadistischen Teile zu schwächen.

Es soll sogar Annäherungen des HTS mit christlichen Gruppen gegeben haben. Zerstörte Kirchen wurden wieder aufgebaut. Aber die Christen in Aleppo trauen dieser Bewegung nicht, sie flüchten aktuell lieber aus Aleppo. Hat der HTS hier Kreide gefressen auf dem Weg zum Kalifat, fragt Militärexperte Konstantin Flemig. Fest steht aktuell nur: Das Regime von Assad ist massiv geschwächt und die Rebellen haben großen Erfolg verbucht.

Für die BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen ist derweil klar: „In Syrien rücken die Al-Kaida-Truppen der HTS weiter vor. Ohne USA und Erdogan wäre dies wohl kaum möglich.“

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Author:
Alexander Wallasch

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