Beim G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro haben sich die Differenzen zwischen den führenden Wirtschaftsmächten der Welt in zentralen Fragen erneut deutlich gezeigt. Eine gemeinsame Gipfelerklärung wurde nur durch für westliche Länder schmerzhafte Minimalkompromisse bei den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten erreicht. Gastgeber Brasilien kann dagegen mit der Umsetzung seiner Agenda zufrieden sein.
Den G20 gehören die großen westlichen Demokratien wie die USA, Deutschland und Großbritannien an, aber auch autoritär geführte Staaten wie Russland, China und Saudi-Arabien. Zwischen den beiden Lagern stehen Gastgeber Brasilien sowie Länder wie Indien oder auch Südafrika. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva setzte die beiden Kriege gar nicht erst auf die Tagesordnung. Lula verfolgte eine Agenda, die vor allem die Themen des sogenannten «globalen Südens» hervorhob, also der Schwellenländer Lateinamerikas, Afrikas und Asiens.
Dürftige Sätze zur Ukraine, kein Wort zu Hamas-Massaker
Zum Ukraine-Krieg schafften es lediglich ein paar dürftige Sätze in das Abschluss-Kommuniqué. Eine Verurteilung Russlands? Fehlanzeige. Genauso wenig fand der Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 Eingang in das Dokument. Von deutscher Seite hatte es vor dem Gipfel noch geheißen, ein solches Verhandlungsergebnis wäre «inakzeptabel». Am Ende stimmte Deutschland trotzdem zu.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, dass es dem Text gutgetan hätte, wenn er expliziter gewesen wäre. Bei der Ukraine bleibe er hinter den Formulierungen zurück, die man bereits erreicht habe. «Ich denke, wir müssen in der Tat sehr deutlich machen, dass dies ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist und dass unsere Priorität heute darin besteht, einen dauerhaften Frieden zu erreichen.»
Die Sprecherin des britischen Premierministers Keir Starmer sagte, die Erklärung sei «enttäuschend, aber nicht überraschend». Sie verwies auf die Erklärung eines G7-Ministertreffens am Wochenende, in der Russland als «einziges Hindernis für einen gerechten und andauernden Frieden» bezeichnet worden sei. Die EU-Kommission hielt sich mit Äußerungen zum Abschlusspapier auffällig zurück.
Kaum mehr Initiativen vom scheidenden US-Präsidenten
Dass die Anliegen und Positionen der westlichen Demokratien bei dem Gipfel kaum Anklang fanden, mag auch daran liegen, dass der US-Präsident bald aus dem Amt scheidet. Für Joe Biden war der G20-Gipfel eine Art Abschied von der Weltbühne. Seine Gipfelteilnahme wurde von Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus im Januar überschattet.
Der scheidende Präsident kann kaum noch verlässliche US-Zusagen machen, denn Trump dürfte einen Großteil seiner Politik rückgängig machen. Im Vergleich zu anderen Gipfeln dieser Art hielten sich die USA mit der Ankündigung neuer Initiativen auffällig zurück. Der Präsident beschränkte seine öffentlichen Auftritte während des Gipfels in Rio auf das Nötigste – auch eine Pressekonferenz gab es nicht.
Dafür sorgte der 81-Jährige zu Gipfelbeginn für Verwunderung, als er nicht wie die meisten anderen Gipfelteilnehmer über eine relativ lange und leicht steile Rampe ging, um Brasiliens Präsidenten Lula zu begrüßen. Das Weiße Haus betonte, dass dies an Sicherheitsbedenken gelegen habe. Dann fehlte er auch noch auf einem Gruppenfoto am ersten Gipfeltag.
Scholz auf Gipfel von Innenpolitik verfolgt
Bundeskanzler Olaf Scholz könnte das bevorstehen, was Biden schon erlebt hat: Der Rückzug von der Spitzenkandidatur bei der nächsten Wahl. Jedenfalls wird in seiner Partei zunehmend darüber diskutiert, während er in Rio mit den Großen dieser Welt am Tisch sitzt. Scholz machte den Ukraine-Krieg zu seinem zentralen Gipfelthema.
Hunger, Klimaerwärmung, Besteuerung der Superreichen
Für Brasiliens Präsident Lula war der Gipfel in der Küstenmetropole Rio ein Erfolg. Er konnte sich in zentralen Themen durchsetzen und brachte seine wichtigsten Punkte wie Kampf gegen Hunger und Armut, Klima und Reform der internationalen Organisationen in der Abschlusserklärung unter. Selbst die umstrittene Milliardärssteuer, von der unter anderem die USA und Argentinien nichts wissen wollten, schaffte es in das Papier.
So verständigten sich die G20-Staaten darauf, sich für eine wirksame Besteuerung der Superreichen einzusetzen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sieht das als echten Gipfelerfolg. «Diese Einigung ist nicht das Ende, sondern der Anfang eines wichtigen Weges hin zu mehr Fairness weltweit», sagte sie. «Denn prozentual zahlen die meisten Milliardäre heute deutlich weniger Steuern als eine Lehrerin oder eine Putzkraft.» Das sei ungerecht.
NGO kritisiert Passage zum Klimaschutz
Die G20-Staaten bekräftigten in Rio auch das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Aus Sicht der Bundesregierung ist positiv, dass an die Verpflichtung der Staaten erinnert wird, spätestens im kommenden Jahr nachgebesserte Pläne zum Klimaschutz bei den UN einzureichen, die das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite halten.
Klimaschützer kritisieren aber, dass in dem Abschlussdokument nicht steht, dass sich alle Staaten zu einer Abkehr von Öl, Kohle und Gas verpflichten. Das «Fehlen einer Verpflichtung der reichsten und größten Emittenten der Welt zur Abkehr von fossilen Brennstoffen im Abschlusskommuniqué» sei erschütternd, sagt Stela Herschmann, Klimaexpertin bei Observatório do Clima, einem der wichtigsten Netzwerke der brasilianischen Zivilgesellschaft zur Klimaagenda.
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Author: [email protected]