Es gibt Menschen, die bauen Luftschlösser. Und es gibt die Bundesregierung. Die baut sich gleich ein ganzes Sparkonto aus Luft. 55,7 Milliarden Euro soll der Kontostand betragen, so steht es im „Nordkurier“. Gesammelt auf einem Konto bei der Bundesbank, aus Haushaltsüberschüssen vergangener Jahre. Und plötzlich stellt sich die Frage: Könnte man mit diesem Geld nicht etwas Sinnvolles anfangen?
Einmal das ganze Bürgergeld für ein Jahr bezahlen – kein Problem. Den Verteidigungshaushalt decken – locker. Jeder Bundesbürger, vom Neugeborenen bis zum Greis, könnte 663 Euro bekommen, einfach so. Es wäre ein Fest. Doch es wird keines geben. Denn auf Nachfrage erklärt das Bundesfinanzministerium trocken: Das Geld existiert nicht.
„Das Kontrollkonto ist kein Bankkonto“, heißt es. „Das Kontrollkonto ist fiktiv; es wird kein Geld angesammelt.“ So steht es da, schwarz auf weiß, in der Antwort des Ministeriums. Und das ist ein bemerkenswerter Satz. Denn selten hat ein Staat so offen zugegeben, dass seine eigenen Reichtümer reine Einbildung sind.
Was also ist dieses „fiktive Konto“? Im Kern eine Art Selbstbelohnungssystem für politische Disziplin: Wenn der Bund weniger Schulden macht, als er dürfte, schreibt er sich den Unterschied auf. Eine Art „Ich hätte mir einen Porsche kaufen dürfen, hab’s aber nicht getan – also rechne ich mir die 100.000 Euro als Guthaben an“. Die Realität: Der Porsche steht nicht in der Garage. Und das Geld liegt auch nicht auf dem Konto. Es wurde nie verdient. Es wurde nur nicht geliehen.
Doch das hindert die Bürokratie nicht daran, dieses imaginäre Guthaben treu zu verwalten. Seit 2011 hat sich der Stand auf 55,7 Milliarden hochgeschraubt. Nicht durch Einnahmen. Nicht durch Steuern. Sondern durch pflichtbewusstes Nicht-Schuldenmachen. Und das wird dann als Tugend gefeiert – obwohl man sich das Geld ebenso gut auf eine Serviette hätte kritzeln können.
Und gerade darin liegt eine bittere Symbolik. Denn das fiktive Konto steht sinnbildlich für eine Gesellschaft, die sich zunehmend in Illusionen einrichtet – und sich ihre Realität so lange schönrechnet, bis sie nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat. Ob Migration, Bildung, Energie, Sicherheit oder Wohlstand: Überall wird bilanziert, gestrichen, umgedeutet, was das Zeug hält – Hauptsache, es passt in die eigene Narrative.
Warum sollte man da nicht auch Geld besitzen, das es nicht gibt? Warum nicht gleich weitermachen: Wer nicht besonders attraktiv ist, kann sich eine fiktive Schönheit zurechtlegen. Wer Zahnschmerzen hat, kann sich ein fiktives Hollywood-Gebiss ausdenken. Wer arbeitslos ist, nennt sich “freischaffend”. Und wer scheitert, nennt das Ganze einfach “Transformation”.
Noch absurder wird es, wenn man bedenkt: Selbst mit gelockerter Schuldenbremse bleibt das Geld tabu. Obwohl es dringend gebraucht würde. Für Schulen, Straßen, Sicherheit. Aber nein – das Konto bleibt „fiktiv unangetastet“. Weil sonst das ganze schöne Konstrukt wackeln würde: Ein Staat, der sich seine Bilanz durch Nicht-Ausgaben schönrechnet, darf nicht plötzlich anfangen, diese Zahl ernst zu nehmen. Denn dann müsste er auch eingestehen, dass er all die Jahre keine echten Überschüsse hatte. Sondern nur selbstverliebt auf Soll verzichtete.
Kurzum: Wir leben im Zeitalter des fiktiven Fortschritts. Reale Probleme werden verwaltet wie dieses Konto – sie existieren offiziell nicht, solange man sich einreden kann, sie elegant bilanziert zu haben. Und das Perfide daran: Wer darauf hinweist, stört die schöne Ordnung der Einbildung.
Man kann das souverän nennen. Oder pathologisch. In jedem Fall ist es ein Lehrstück in politischer Buchhaltungslyrik: Der Staat als Hypochonder mit eingebildetem Geldbeutel.
Und Sie? Wenn Sie sich demnächst wieder über Ihre klamme Haushaltskasse ärgern – denken Sie einfach ans Kontrollkonto. Schreiben Sie sich auf, wie viel Sie hätten ausgeben dürfen. Und freuen Sie sich über Ihr imaginäres Guthaben. Die Bundesregierung macht’s doch genauso.
PS: Ich habe diesmal bewusst auf den Vergleich mit dem real existierenden Sozialismus verzichtet. Schon deshalb, weil er in der Realität nie real existierte – sondern so fiktiv war wie das besagte Konto. Aber das nur ganz am Rande.
„Nie wieder“ war gestern: Der Fall Leandros zeigt, wie moralische Säuberung wieder schick ist
Wurde der Ton beim Weidel-Interview manipuliert? ARD unter Verdacht – Tontechniker entlarvt?
Merz taumelt ins Kanzleramt – aber um welchen Preis? Das wahre Drama hinter dem zweiten Wahlgang
Bild: Shuttesrtock
Bitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr zum Thema auf reitschuster.de
Schuldenbremse und Migration: Wenn Demokratie zum Glücksspiel wird
Heute soll das abgewählte Parlament entscheiden, morgen die neue Bundesregierung. Je nach Thema und Tagesform glaubt die Union, sich Mehrheiten nach Gutsherrenart zurechtbiegen zu können – und entlarvt damit ihr eigenes Framing gegen die AfD. Von Kai Rebmann.
Schelmenstreich mit der Schuldenbremse
Die Ampelkoalition zeigt sich in letzter Zeit allzu gern spendierfreudig. Die Kehrseite der Medaille wird aber nur kleinlaut erwähnt – oder schlicht verschleiert. Nun steht Finanzminister Lindner im Visier der obersten Rechnungsprüfer. Von Daniel Weinmann.
Dem kurzen Frühling der Demokratie folgt der Abbruch Deutschlands
Am Jahrestag der ersten freien DDR-Wahlen erlebt Deutschland einen Tiefpunkt der Demokratie. Während sich Merz seinen Aufstieg erkauft, droht die Deindustrialisierung. Von Vera Lengsfeld.