Es waren immer wieder Momente, die mich an Schizophrenie erinnerten in der Bundespressekonferenz. Unisono konnten Journalisten und Regierungssprecher sich dort in der gewohnten Harmonie die Bälle zuspielen, wenn es darum ging, Demokratie-Defizite in fernen Staaten anzusprechen – wie etwa bedenkliche Entwicklungen in Sachen Demonstrations- und Meinungsfreiheit.
Wenn ich dann wagte, eklatante Missstände in diesen Bereichen in Deutschland zur Corona-Zeit anzusprechen, verdrehten Kollegen wie Regierungssprecher genervt die Augen und sahen mich an, wie Inquisitoren einen Ketzer. Wenn in Deutschland Demonstranten festgenommen oder niedergeknüppelt oder Journalisten zensiert werden, ist das in Augen unserer Medien und Mächtigen natürlich etwas ganz anderes.
Offen gestanden fand ich das damals alles ziemlich widerlich.
Und umso mehr war es eine Genugtuung, was heute zu lesen war – etwa bei meinem guten Freund und Kollegen Klaus Kelle auf seinem Portal „The Germanz“ – das ich jedem ans Herz lege und das leider nicht so oft aufgerufen wird wie viele andere Portale, die weniger seriös. aber dafür umso marktschreierischer sind.
„Die amerikanische Regierung wirft Deutschland Mängel bei der Meinungsfreiheit sowie steigenden Antisemitismus durch Migration vor“, heißt es da: „‚Einschränkungen der Meinungsfreiheit‘ und antisemitische Gewalt stellten in Deutschland ‚erhebliche Menschenrechtsprobleme‘ dar, wird die Situation im alljährlichen Bericht des US-Außenministeriums beschrieben, der gestern in Washington vorgestellt wurde.“
Weiter zitiert Klaus die Nachrichtenagentur dpa, vom Staat üppig gepäppeltes Leitmedium, das alle stramm auf Linie einpeitscht, die empört und distanziert über den US-Bericht schreibt: „Darin wird behauptet, es gäbe ‚Zensur‘ in Deutschland auf Online-Plattformen, unter Verweis auf die EU-Auflage für Facebook oder X, Hassbotschaften zu löschen.“
Werte Kollegen von der dpa – das ist keine „Behauptung“, das ist Fakt. Und wenn Ihr nicht mit rot-grünen Ideologie-Scheuklappen durch die Welt laufen würdet, dann wäre euch das bewusst. Ich könnte euch viel dazu erzählen – oder auch die Lektüre meines Buchs „Meine Vertreibung“ wäre aufschlussreich. Aber um solche Ketzerei macht ihr natürlich einen großen Bogen.
Auch was weiter in dem US-Dokument steht, sorgt bei den Mainstream-Kollegen sicher für Schnappatmung: Im Kampf gegen die Ursachen von Antisemitismus sei Deutschland zu sehr mit der Bedrohung durch Rechtsextreme beschäftigt und „vernachlässige die Rolle eingewanderter Muslime“. Der gleiche Vorwurf geht auch an Frankreich und Großbritannien.
Weiter moniert die US-Regierung: Das deutsche Grundgesetz garantiere zwar die Presse- und Meinungsfreiheit. „Nichtsdestotrotz hat die Regierung in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht Einschränkungen für die Meinungsfreiheit von Gruppen verhängt, die sie als extremistisch betrachtete.“ So seien im vergangenen Jahr mehrere Menschen wegen Aufstachelung zum Rassenhass und Befürwortung oder Leugnung des Holocaust verhaftet oder verurteilt worden.
Wörtlich heißt es weiter:
„Forschungen legen nahe, dass ein wichtiger Treiber des Antisemitismus in Deutschland (…) die Masseneinwanderung (legal, illegal und über Asyl) von Bevölkerungsgruppen war, die mit größerer Wahrscheinlichkeit antisemitische Überzeugungen vertreten als gebürtige Deutsche, mit Rekordzahlen von Migranten aus Syrien, Afghanistan und der Türkei in den vergangenen Jahren.“
Die Trump-Regierung bleibt sich damit treu – seit sie im Januar ins Weiße Haus in Washington einzog, thematisieren ihre Vertreter immer wieder Demokratie-Fehlentwicklungen in Deutschland ganz offen. Hier sei nur an US-Vizepräsident JD Vance erinnert, der im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz international für erhebliches Aufsehen, als er der Bundesrepublik Defizite bei der Meinungsfreiheit vorwarf und konkret den Umgang mit der AfD kritisierte.
US-Außenminister Marco Rubio ging sogar noch weiter: Der Sohn von Flüchtlingen aus dem kommunistischen Kuba, der in Sachen Menschenrechte besonders sensibel ist, sprach gar von einer „verkappten Tyrannei“ in Deutschland. Auslöser für diese rüde Kritik war, dass der Verfassungsschutz, der den Regierungen gegenüber weisungsgebunden ist, die AfD im Mai vorläufig als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hatte.
Besonders pikant: Deutschland wird damit in Sachen Probleme bei der Menschenrechtslage vom US-Außenministerium quasi in einem Atemzug mit Ländern Ländern wie Brasilien oder Südafrika genannt. So traurig die Diagnose auch ist – für mich ist sie auch tröstlich. Denn genau diese Doppelmoral, die mir damals in der Bundespressekonferenz so unerträglich vorkam, für deren Benennung ich so massiv angegriffen und angefeindet wurde, wird nun ausgerechnet aus Washington schwarz auf weiß attestiert. Das wird hierzulande natürlich weder zu einem Aufschrei führen noch zu einer ernsthaften Debatte. Man wird sich über die Kritik mehr aufregen als über die Missstände – was nichts Neues ist. Schon Kurt Tucholsky wusste vor fast 100 Jahren: „Derjenige, der auf den Schmutz hinweist, gilt in Deutschland schon als viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.“
Und so wird man auch diesmal die Kritik als „haltlos“ abtun, so wie unser polit-medialer Komplex jede unbequeme Wahrheit abtut, die nicht ins moralische Selbstporträt passt. Aber vielleicht, ganz vielleicht, bleibt bei einigen doch etwas hängen: dass Freiheit kein Exportgut ist, das man anderen großzügig gönnt, während man es daheim scheibchenweise abbaut. Und dass eine Demokratie, die Kritik nur im Ausland austeilen, aber im Inland nicht ertragen kann, irgendwann nicht nur schizophren wirkt – sondern schizophrener denn je ist.
Es ist erstaunlich, wie scharf der Blick in die Ferne sein kann – und wie blind zugleich für den Schmutz vor der eigenen Tür.
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