• 10. Dezember 2024

Soviel zum Thema „Konsens“: „Kein Denken kann mit einer absoluten Kenntnis enden“ [Hobbes, 1651]

ByMichael Klein

Nov 23, 2024

Geht es Ihnen auch so, dass Sie, wenn Ihnen ein bereits ausgiebig gelesenes und entsprechend zerlesenes Buch in die Hände fällt, nicht anders können, als einmal mehr darin zu schmökern?

Mir geht es so mit Thomas Hobbes Leviathan in der von Iring Fetscher herausgegebenen und eingeleiteten Edition, die 1984 bei Suhrkamp erschienen ist. Das Buch beginnt langsam zu vergilben, Seiten fallen heraus, aber es ist, nichtsdesto trotz einer der Schätze in unserer Bibliothek.

Hängen geblieben bin ich im 7. Kapitel des Leviathan, überschrieben mit „Vom Abschluss oder Ergebnis des Denkens“ – eines jener Kapital, das Hobbes erhebliche Probleme mit seinen absolutistischen „Freunden“ und vor allem der Kirche eingebracht hat, einfach deshalb, weil Hobbes darin etwas feststellt, das diesen Herrschaften, weil sie für sich divine oder göttliche Einsicht reklamieren, überhaupt nicht gepasst hat: Egal, wie sehr sie darauf beharren, im Besitz der Wahrheit zu sein, sie sind es nicht, sie sind Scharlatane und Lügner, wenn sie es behaupten, und sie behaupten es ausschließlich zu dem Zweck, ihre Interessen durchzusetzen.

Der Leviathan ist 1651 erschienen und Hobbes als Folge der Publikation vom Kontinent, genau: Frankreich, wo er sich aufgehalten hat, geflohen, aus Angst um sein Leben. Im nach-Bürgerkriegs-England wurde ihm Schutz gewährt, er lebte fortan in Fetter Lane, London. Der Ärger, der Hobbes von Seiten der Royalisten [die im englischen Bürgerkrieg geschlagen wurden] und der Anklikaner in seinem französischen Exil entgegen schlug, und um sein Leben fürchten ließ, nimmt seinen Ausgangspunkt darin, dass der Leviathan von den Zeitgenossen Hobbes‘ als sehr, fast schon extrem säkulares Buch angesehen wurde, in dem mit den Mythen, auf denen Kirchen und Fürsten über Jahrhunderte ihre Macht und Regentschaft gegründet hatten, aufgeräumt, sie durch einen konsequenten Individualismus ersetzt wurden, der den Ausgangspunkt aller fürstlichen Macht in der individuellen Entscheidung eines jeden Bürgers, sie zu gewähren, sieht, und zwar unter klarer Formulierung des damit verbundenen Auftrags – und nicht etwa in diviner Herkunft oder göttlicher Einsicht.

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Insofern ist  Kapital 7  eines, das mit Sicherheit viel Anlass zum Ärger gegeben hat und es ist eines, das heute so aktuell wie damals ist, denn wieder einmal sind wir mit einer Klasse von Leuten konfrontiert, die ihre Interessen mit Verweis auf eine höhere Wahrheit, die sie für sich beanspruchen, durchsetzen wollen, die behaupten, man könne bestimmte Dinge genau wissen, müsse entsprechend handeln, habe keinen Grund zum Zweifeln, sei eben im Besitz der Wahrheit über all das, was diesen Leuten einen persönlichen Vorteil verschafft, ihren Interessen dient, sei es der Krieg in der Ukraine, der angeblich von Menschen verursachte Klimawandel oder der pathetische Kampf für das, was sie für eine Demokratie halten.

Aber lesen Sie selbst:

„Kein Denken kann mit einer absoluten Kenntnis vergangener oder zukünftiger Tatsachen enden. Denn was die Tatsachenkenntnis betrifft, so ist sie ursprünglich Empfindung und danach immer Erinnerung. Und was die Kenntnis von Folgen betrifft, die, wie ich oben sagte, Wissenschaft genannt wird, so ist sie nicht absolut, sondern bedingt. Niemand kann durch Nachdenken wissen, ob dies oder jenes ist, war oder sein wird, was absolutes Wissen wäre, sondern nur: Wenn die ist, so ist auch jenes, wenn dies war, so war auch jenes, wenn dies sein wird, so wird auch jenes sein. Dies heißt, bedingt wissen, und zwar nicht, was aus einem Ding für ein anderes, sondern was aus dem Namen eines Dinges für einen anderen Namen desselben Dinges folgt.

Und deshalb gilt: Wird das Denken in Sprachform gebracht, beginnt es mit Definitionen von Wörtern und schreitet fort, indem man sie zu allgemeinen Behauptungen und diese wiederum zu Syllogismen verbindet, so nennt man den Abschluss oder die Endsumme den Schluß, und der hierdurch bezeichnete , sich im Geist befindende Gedanke ist dieses bedingte Wissen oder dieses Wissen der Folgen von Wörtern, das man gewöhnlich Wissenschaft nennt. Beruht aber solches Denken nicht zuerst auf Definitionen, oder sind die Definitionen nicht richtig zu Syllogismen verbunden, so ist der Abschluss oder Schuss wiederum Meinung, nämlich von der Wahrheit von irgend etwas Gesagtem, wenn dies auch oftmals in absurden und sinnlosen, unmöglich zu verstehenden Wörtern besteht.

[…]

Beginnt das Denken eines Menschen nicht mit Definitionen, so beginnt es entweder mit anderen eigenen Erwägungen und wird dann immer noch Meinung genannt, oder aber es beginnt mit einer Behauptung eines anderen, an dessen Fähigkeit, die Wahrheit zu wissen, und Ehrlichkeit man nicht zweifelt. Das Denken betrifft in diesem Falle nicht so sehr die Sache wie die Person, und sein Ergebnis wird Glauben und Vertrauen genannt. Vertrauen in den Menschen und Glauben sowohl an den Menschen als an die Wahrheit dessen, was er sagt. So enthält also der Glauben zwei Überzeugungen: einmal von der Behauptung des Menschen und sodann von seiner Tugend, Vertrauen haben in, vertrauen oder jemandem glauben bedeutet dasselbe, nämlich die Überzeugung von der Wahrheitsliebe des Menschen. Aber das Gesagte glauben bedeutet nur die Überzeugung von der Wahrheit der Behauptung. Es ist jedoch zu beachten, dass die Wendung, ich glaube an … nur in theologischen Texten Verwendung findet, In anderen Texten steht dafür: Ich glaube ihm, ich traue ihm, ich habe Vertrauen in ihn, ich verlasse mich auf ihn…

[…]

So ist also offensichtlich, dass alles, was wir nur auf Grund der Autorität von Menschen und ihren Schriften glauben, nur ein Glaube an Menschen ist …“

Starker Tobak:

Absolutes Wissen gibt es nicht.

Alles Denken beschränkt sich auf die logisch korrekte Herstellung von Verbindungen zwischen Worten.

Wissenschaft liegt nur dann vor, wenn kausale Beziehungen formuliert werden können, die indes keinerlei Anspruch auf Wahrheit erheben können, ergo überprüft werden müssen, denn die formulierten kausalen Beziehungen sind Beziehungen zwischen Namen, Worten, ob damit auch Beziehungen zwischen empirisch Wahrnehmbarem beschrieben sind, bedarf der Prüfung.

Denken und im weiteren Verlauf Wissenschaft beginnt mit Definitionen und ist von dortaus eine logische Abfolge auf Basis der Anwendung formaler Regeln.

Alles, was keiner formalen Regel folgt und damit keinen Anspruch erheben kann, Denken zu sein, ist Meinung, irgend ein Gebrabbel, das mehr oder weniger der Verständigung dienen soll.

Glauben bezieht sich nie auf den Inhalt, sondern immer auf die Person, von der man einen Inhalt als „wahr“ übernommen hat, hat also nie den Gegenstand der Behauptung, sondern immer die Person, die den Inhalt verbreitet zum Gegenstand. Glauben sagt entsprechend überhaupt nichts über die Realität oder die Bedeutung des geglaubten Inhalts aus, ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass jemand einen anderen idolisiert.

Und wenn man diese Brocken, die Hobbes, ein sehr mutiger Mann, seinen Zeitgenossen zum Kauen gegeben hat, in die heutige Zeit überträgt, in der der Glaube an irgendetwas, was irgendwer oder „die Wissenschaft“ gesagt haben soll, wilde Blüten treibt, dann muss man zu der Erkentnis gelangen, dass Hobbes heute genau so verfolgt würde, wie er es im 17. Jahrhundert wurde.

Es hat sich nicht viel verändert… wenn überhaupt.


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Author: Michael Klein
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