Wenn man die European Food Safety Authority (EFSA) befragt, dann gibt es mit Carrageen keinerlei Probleme. Die letzte Bewertung der „Sicherheit und Effektivität“ des Nahrungsmittelzusatzes stammt aus dem Jahre 2018 – eine damals ausgesprochene Empfehlung, das Thema in fünf Jahren noch einmal auf breiterer Datenbasis aufzugreifen, scheint auf taube Ohren gefallen zu sein.
Damals ist das „EFSA-Panel“ zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Grund gibt, die Verwendung von Carrageen als Nahrungsmittelzusatz, die weit verbreitete Verwendung von Carrageen als Nahrungsmittelzusatz zu reduzieren oder gar zu beenden.
Zwar, so haben die Experten damals geschrieben, gebe es keine schlüssigen Ergebnisse, die die Unbedenklichkeit von Carrageen in toxischer Hinsicht zeigten, aber es gebe eben auch keine schlüssigen Ergebnisse, die seine Bedenklichkeit zeigten, denn die Studien, die es gebe, die seien im Hinblick auf die molekulare Masse des dabei verwendeten Carrageen fragwürdig.
„However, the Panel noted uncertainties as regards the chemistry, the exposure assessment and biological and toxicological data. Overall, taking into account the lack of adequate data to address these uncertainties, the Panel concluded that the existing group acceptable daily intake (ADI) for carrageenan (E 407) and processed Eucheuma seaweed (E 407a) of 75 mg/kg bw per day should be considered temporary, while the database should be improved within 5 years after publication of this opinion.“
Das ist eine systematisch auffindbare Haltung derjenigen, die die Sicherheit von Nahrungsmitteln und Nahrungsmittelzusätzen in der EU bewerten sollen: Im Zweifel entscheiden sie für die Hersteller. Sie spielen quasi mit der Sicherheit der Verbraucher im Sinne von: Es wird schon nichts passieren.
Wer es in seiner ganzen 112 Seiten langen Ausführlichkeit nachlesen will, kann das hier tun:
Bei Carrageen könnte dieses Spiel einmal mehr Verbraucher als Verlierer ausweisen.
Carrageen ist einer der am häufigsten verwendeten Nahrungsmittelzusätze. Es wird als Stabilisator, Verdickungsmittel und Emulgator verwendet, und es findet sich in, naja:
Eis, Backwaren, Schokoladenriegel, Joghurt, Softdrinks, Käse, Veganen Produkten (Mandelmilch, Hafermilch), Kindernahrung, Fertigessen mit Fleisch und vielem mehr. Kurz: Das Zeug ist kaum zu vermeiden.
Indes, wie eine neue Studie zeigt, wäre es vermutlich angeraten, Carrageen zu vermeiden, insbesondere dann, wenn man dabei ist, seine Körperfülle jenseits eines BMI von 30 zu erweitern.
Wagner et al. (2024) interessieren sich für ein Problem, mit dem Carrageen in einer Reihe von Tierstudien assoziiert wurde: Insulinresistenz.
Damit ist die verminderte Fähigkeit von Zellen, Gluckose aufzunehmen und in Energie umzuwandeln, angesprochen, eine Vorstufe von Diabetes, die in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung findet, vornehmlich deshalb, weil viele „Nahrungsmittel“ zu Entzündungen, zu einem kontunuierlichen Entzündungszustand führen, der die Zytokine des Immunsystems auf Trab und den Organismus im roten Bereich hält.
Einige der angesprochenen Tier-Studien, die eine entzündungsfördernde Wirkung von Carrageen festgestellt haben und vom EFSA Panel vom Tisch gewischt wurden:
Benitz, K-F., L. Golberg, and F. Coulston (1973). Intestinal effects of carrageenans in the rhesus monkey (Macaca mulatta). Food and Cosmetics Toxicology 11(4): 565-575.
Bhattacharyya, S. I. O. S., I. O-sullivan, S. Katyal, T. Unterman, and J. K. Tobacman (2012). Exposure to the common food additive carrageenan leads to glucose intolerance, insulin resistance and inhibition of insulin signalling in HepG2 cells and C57BL/6J mice. Diabetologia 55: 194-203.
Bhattacharyya, Sumit, Leo Feferman, Terry Unterman, and Joanne K. Tobacman (2015). Exposure to common food additive carrageenan alone leads to fasting hyperglycemia and in combination with high fat diet exacerbates glucose intolerance and hyperlipidemia without effect on weight. Journal of Diabetes Research 15(1): 513429.
Marcus, R., and James Watt (1969). Seaweeds and ulcerative colitis in laboratory animals: 489-490.
Nilson, HUGO W., and JOHN A. Wagner (1959). Feeding test with carrageenin: 235-239.
Weiner, Myra L. (2014). Food additive carrageenan: Part II: A critical review of carrageenan in vivo safety studies. Critical reviews in toxicology 44, no. 3 (2014): 244-269.
Wie man sieht, ist das Problem schon etwas länger bekannt.
Carrageen steht im Verdacht, entzündungsfördernde Eigenschaften zu haben, über welchen Weg auch immer b- und t-Zellen zu aktivieren und dabei vor allem die „intestinal barrier (Darmschranke)“ zu penetrieren. Wozu die Darmschranke da ist, muss man eigentlich nicht diskutieren: dazu, das, was im Darm ist, vom Rest des Organismus vor allem vom Blutkreislauf fernzuhalten.
Wagner et al. (2024) haben 20 Freiwillige, alles Männer im nicht dicken Bereich (BMI kleiner als 30) in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe wurde täglich zweimal mit ungesüßtem Jogkurt gequält, dem Carrageen beigegeben wurde, die andere Gruppe erhielt einen Placebo. Von Mitte Oktober 2015 bis September 2016 dauerte das Martyrium der Probanden an. Warum die Ergebnisse erst 2024 veröffentlicht wurden, ist eine offene Frage.
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Gesucht haben die Autoren nach Unterschieden im Hinblick auf Insulinresistenz. Gefunden haben sie zunächst keine, was vermutlich eine Folge der Auswahl der Probanden ist. Wenn man gesunde Männer als Probanden hat, findet man auch im Verlauf von mehreren Wochen Carrageen Zufuhr nicht unbedingt dramatische Veränderungen – erst, wenn man genauer hinsieht, zeigt sich, dass Anzeichen für Insulinresistenz bei den Carrageen-Schluckern vorhanden waren, die einen höheren BMI mitbringen. Je weiter ein Proband in Richtung „Ich bin dick“ vorangeschritten war, desto deutlicher war das Signal für Insulinresistenz.
Dazu schreiben Wagner et al.:
„The data indicate that carrageenan acts in synergism with obesity and possibly other factors, such as an altered microbiome, in at-risk individuals to further disrupt the intestinal barrier, exaggerate systemic inflammation, and increase insulin resistance.“
Und damit sind wir beim eigentlichen Problem, denn Carrageen scheint in der Tat die Darmschranke zu penetrieren und dafür zu sorgen, dass konstante Entzündung und Insulinresistenz dem Organismus dessen, der mit dem Nahrungsmittelzusatz penetriert wird, zusetzen. Zudem verweisen die Ergebnisse von Wagner et al. (2024) darauf, dass die negativen Effekte, die von Carrageen ausgehen, nicht sofort sichtbar werden, sich vielmehr ansammeln und ab Überschreiten eines bestimmten Grenzwertes zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen:
„The breakdown of the intestinal barrier enables a proinflammatory environment including differentiation of autoreactive Th17 cells and other T helper cells. Furthermore, macromolecules with antigen characteristics may elicit a local or systemic immune response.“
Aber seien Sie nicht zu sehe beunruhigt. Die EFSA hat Carrageen als sicher eingestuft.
Ist also alles nur halb so schlimm.
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Author: Michael Klein
Michael Klein