Es ist nicht so, dass die Menschen es nicht sehen würden. Ganz im Gegenteil. 45 Prozent der Deutschen erwarten laut einer neuen YouGov-Umfrage, dass es wirtschaftlich noch weiter bergab geht. Nur 14 Prozent glauben an Besserung. Eine düstere, ja geradezu katastrophale Diagnose für das Land – und gleichzeitig auch ein Zeichen von Realitätssinn bei einer knappen Mehrheit, den man so eigentlich kaum noch erwartet hätte angesichts der Tatsache, dass Verdrängung zur neuen Leitreligion in Medien und Politik geworden sind und sie und täglich gepredigt wird, bis hin zur Gehirnwäsche. Aber die Realität wiegt eben doch schwerer.
Deutschland steckt als einziges Industrieland im dritten Rezessionsjahr in Folge. Die wirtschaftlichen Prognosen sind so trübe wie die Stimmung. 55 Prozent erwarten weiterhin Schrumpfung, 25 Prozent meinen, es bleibe, wie es ist – also schlecht. Nur sechs Prozent glauben an Wachstum.
Die Zahlen sind laut „Welt“ eindeutig: 71 Prozent sind unzufrieden mit der Bundesregierung. 50 Prozent der Menschen schränken sich bereits im Alltag ein, weitere 17 Prozent sehen es auf sich zukommen. Es geht ans Eingemachte – ans Haushaltsgeld, ans Vertrauen, an die Substanz.
Doch genau hier beginnt der eigentliche Skandal: Trotz dieser Erkenntnis folgt keine politische Konsequenz. Stattdessen eine kollektive Apathie. Ein resigniertes Weiterso. Man wählt die Parteien, die das Desaster angerichtet haben – so, als hätte man sich an die Peiniger gewöhnt. Psychologen würden von erlernter Hilflosigkeit sprechen. Oder vom Stockholm-Syndrom: dem bizarren Reflex, bei dem sich Opfer aus Angst oder Abhängigkeit mit ihren Peinigern identifizieren – bis sie glauben, diese seien ihre Retter.
Vielleicht muss man den Unterschied erlebt haben, um ihn zu begreifen: den Unterschied zwischen sicher geglaubtem Wohlstand – und plötzlichem Zusammenbruch. Wer einmal miterlebt hat, wie ein ganzes System kippt, wie Geld aufhört zu funktionieren, Behörden sich auflösen, niemand mehr durchblickt, was gilt – der weiß, dass es jederzeit wieder geschehen kann. Ich selbst habe das erlebt, Anfang der 1990er in Moskau. Als junger Gaststudent war ich Zeuge des kompletten Zusammenbruchs: der Wirtschaft, der Verwaltung, der gesellschaftlichen Ordnung. Der Vernichtung von unzähligen Existenzen. Oft buchstäblich über Nacht. Und dieser Erfahrung traue ich mehr als allen trügerischen Stabilitätsversprechen.
Vielleicht bin ich dadurch übersensibilisiert. Möglich. Aber auch eine Übersensibilisierung kann ihren Platz haben – in einer Gesellschaft, die gefährlich unterreagiert. Ich bin lieber einer zu viel, der warnt, als einer zu wenig.
Denn wer so etwas nie erlebt hat – wer nur die Illusion kennt, dass es „immer irgendwie weitergeht“ – der hält den Status quo für alternativlos. Der glaubt – zumindest auf der Gefühlsebene, selbst wenn der Verstand anderes sagt – ein echter Systemkollaps sei ausgeschlossen, weil er außerhalb der eigenen Lebenswirklichkeit liegt. So entsteht eine gefährliche Untersensibilisierung: Obwohl die Fakten längst über alle Maßen alarmieren, fehlt die Vorstellungskraft für das Undenkbare. Genau das ist heute die vielleicht größte Gefahr.
Sie zeigt sich darin, dass eine Mehrheit der Bürger sieht und spürt, dass alles zerfällt – und trotzdem wieder die Lieferanten des Zerfalls wählt. Offenbar fehlt vielen das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung – kein Wunder angesichts der täglichen Gehirnwäsche durch die großen Medien, durch ihr Kartell der Beschwichtigung und Ablenkung. Man könnte die Nibelungentreue zu jenen, die für die Misere verantwortlich sind, historisch deuten – als Nachwehe obrigkeitsstaatlicher Prägung.
Vielleicht ist es auch einfach Erschöpfung – jene tiefe, lähmende Erschöpfung, wie sie aus systematischer Demoralisierung entsteht. Aus Zersetzung, wie sie einst die Stasi perfektionierte: gezielte Verunsicherung, permanente kognitive Dissonanz, das Gefühl, ohnehin nichts ändern zu können. Genau diese Art innerer Zersetzung hat sich – mit anderen Mitteln – erneut festgesetzt. Unter Angela Merkel, der Frau aus dem erweiterten Machtzirkel der DDR, wurde sie politisches Prinzip: sanft, aber systematisch.
Doch auch wenn manches der DDR und deren Endphase ähnelt, drängt sich ein Unterschied geradezu auf: Dort glaubte kaum jemand ernsthaft an das staatliche Narrativ. Es wurde hinter vorgehaltener Hand weitergedacht, gescherzt, kritisiert. Heute scheint dieser doppelte Boden oft zu fehlen. Viele glauben nicht, dass es der Regierung gut gelingt – aber sie glauben, dass es ohnehin keine Alternative gibt. Das ist der subtilere, aber womöglich zerstörerischere Mechanismus.
So wird aus stillem Zweifel lähmende Resignation – und das Versagen bleibt folgenlos. Eine politische Kaste, die längst jede Legitimation verspielt hat, bleibt unangetastet – dank der Apathie, die sie selbst erzeugt haben Der Patient erkennt die Krankheit – und liegt dennoch reglos im Bett. Denn die Ärzte, die ihn falsch behandeln und ihm einreden, er sei gesund, haben ihm den Glauben an Heilung längst abtrainiert.
Es wäre ein Fortschritt, wenn man aus der Desillusionierung einen Aufbruch machen könnte. Wenn die Erkenntnis „Es wird schlechter“ zu der Frage führte: Wer ist verantwortlich? Und dann zu einer echten Alternative. Aber das geschieht nicht. Stattdessen wird klein gerechnet, beschwichtigt, geflucht – aber nicht gewechselt.
Vielleicht ist das der eigentliche Niedergang: nicht der wirtschaftliche, sondern der geistige. Der Verlust des Glaubens, dass man etwas ändern kann. Dass es sich lohnt, gegen den Strom zu denken, zu wählen, zu handeln.
Wenn eine Gesellschaft aufhört zu hoffen, ist sie nicht mehr bedroht – sie ist schon gefallen.
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