• 20. Januar 2025

Kooperation der Ahnungslosen: Unverstand ist ein ARD-Schreiber aus Bayern

ByMichael Klein

Jan. 20, 2025

Dilettantur in Sozialwissenschaft…

Das ist ein Beitrag, der heute nicht geplant war.
Aber angesichts des Blödsinns, den die ARD-Tagesschau gerade verbreitet, zu Forschungen von u.a. Robert Axelrod, müssen wir an dieser Stelle eine Richtigstellung veröffentlichen.

Doris Tromballa beschäftigt sich als „Wissenschaftsjournalist… seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema „Ernährung““, so steht hier zu lesen. Wäre sie doch nur bei dem Thema „Ernährung“ geblieben. Vielleicht versteht sie davon etwas.

Ob sie davon etwas versteht, das wissen wir nicht, aber wir wissen, dass sie in der ARD einen Beitrag zu einem Thema , zum Thema „Gefangenendilemma“ veröffentlicht hat, von dem sie rein gar nichts versteht.

„In den 1980er-Jahren machte ein Gedankenexperiment dieses Dilemma anschaulich: das sogenannte „Gefangenendilemma“ des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Robert Axelrod. Viele Überlegungen aus diesem Experiment sind in Management-Handbücher und Führungskräfte-Seminare eingegangen. Doch jetzt zeigt die neueste Forschung einer Mathematikerin: Was man glaubte, aus dem Experiment zu lernen, ist wohl nicht ganz richtig.“

Nun, das „Gefangenendilemma“ wurde nicht von Robert Axelrod erdacht, sondern von Anatol Rapoport.
Und es geht so:

Zwei Straftäter werden einer Straftat beschuldigt und getrennt voneinander verhört. Der Staatsanwalt macht beiden das folgende Angebot:

  • Wenn einer von beiden gesteht, während der andere schweigt, wird der Geständige freigelassen, während derjenige, der geschwiegen hat, für fünf Jahre ins Gefängnis muss.
  • Wenn beide gestehen, müssen beide für drei Jahre ins Gefängnis.
  • Wenn keiner von beiden gesteht, müssen beide für ein Jahr ins Gefängnis.

 

  Verdächtiger 2
  Gesteht Gesteht nicht
Verächtiger 1 Gesteht R = 3; R = 3 S = 0; T = 5
Gesteht nicht T = 5; S = 0 P = 1; P = 1

Die Situation ist vertrackt: Obwohl sich beide Verdächtigen besser stellen, wenn sie nicht gestehen, ist die rationale Entscheidung, die Tat zu gestehen, da nur auf diese Weise der Gefahr begegnet werden kann, als einziger nicht gestanden zu haben und entsprechend fünf Jahre ins Gefängnis zu müssen. Die vertrackte Situation wird durch die Unsicherheit geschaffen, dadurch, nicht zu wissen, wie sich der Mitverdächtige entscheidet. Entsprechend ist ein Geständnis, die sicherste, die rationale Entscheidung (Man spricht bei  Spielsituationen wie der vorliegenden dann von einem Nash-Equilibrium, wenn beide Spieler sich durch die getroffene Entscheidung unabhängig von der Entscheidung des Gegenüber nicht schlechter stellen können).

Die beschriebene Situation ist ein Grundproblem für rationale Akteure in Kooperation, ein Grundproblem, das sich immer dann einstellt, wenn ein Kooperationspartner in Vorleistung tritt und sich nicht sicher sein kann, ob sich der andere Kooperationspartner an die Abmachung zur Kooperation hält (In diesem Sinne ist jede Wahl ein Dilemma, da man als Wähler mit seiner Stimme in Vorleistung geht und nach der Wahl hoffen muss, dass sich Politiker an ihren Teil der Abmachung halten, dass sie sich an das erinnern, was sie vor der Wahl versprochen haben.).

Das Gefangendilemma bei Tromballa liest sich wie folgt:

„Das Dilemma besteht darin, dass keiner der beiden Häftlinge weiß, wie der andere sich entscheiden wird. Sollte man auf Kooperation setzen und schweigen, in der Hoffnung, dass der andere ebenso handelt? Oder ist es besser, auf Nummer sicher zu gehen und zu gestehen, um sich selbst zu schützen? Oder lieber egoistisch handeln und den anderen denunzieren, mit der Chance, in Freiheit entlassen zu werden?“

Das nennt man: Klassisch am Thema vorbei. Das Dilemma beim Gefangenendilemma besteht darin, dass die beste Strategie nicht das beste Ergebnis erbringt. Die sicherste Handlungsoption besteht darin, zu gestehen, weil man nur so verhindern kann, fünf Jahre in den Knast zu müssen, wenn der Mittäter auspackt. Da beide die sicherste Handlungsoption wählen müssen, um sicher sein zu können, nicht für fünf Jahre in den Knast zu müssen, enden beide drei Jahre im Knast. Darin „egoistisches Handeln“ zu erblicken, das ist wohl nur Leuten möglich, die keine Ahnung haben, worüber sie schreiben. Und Tromballa hat keine Ahnung, wie sie sehr eindrücklich im weiteren Verlauf dokumentiert:

„Doch die Mathematik hat ihre Grenzen. Wird das Experiment mehrfach wiederholt, wie es in der Realität oft der Fall ist – wir begegnen Menschen immer wieder – zeigt sich: Die rein egoistische Strategie macht langfristig alle zu Verlierern. Der Politikwissenschaftler Robert Axelrod in den 1980er-Jahren meinte deshalb, die erfolgreichste Startegie sei, erst mit Kooperation zu beginnen und dann das zu spiegeln, was das Gegenüber macht, die „Tit-for-Tat“-Strategie („Wie du mir, so ich dir“).“

Was uns immer wieder phasziniert ist die Freimütigkeit, mit der Leute, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, tuten und blasen. Robert Axelrod, der das Gefangenendilemma wie gesagt NICHT erfunden hat, hat in den 1990er Jahren ein Computerturnier durchgeführt, um herauszufinden, welche STRATEGIE BEI WIEDERHOLTEM SPIELEN UNTER UNSICHERHEIT, weil man nicht weiß, wie das Gegenüber reagiert, die erfolgreichere Strategie ist, Kooperation oder Defektion?

Im Rahmen des Computerturnies sind Kooperationsprogramme bzw. Nicht-Kooperationsprogramme gegeneinander angetreten. Das Ziel bestand darin, in einer Anzahl von Interaktionen zwischen den Programmen herauszufinden, welches sich als die Strategie erweisen wird, die langfristig mit dem größten Erfolg, der höchsten Auszahlung verbunden sein wird. Als erfolgreichestes Programm hat sich das von Anatol Rapoport in Basic programmierte  TIT for TAT erwiesen, das aus genau 5 Programmzeilen bestanden hat (Axelrod, 1995, S.175). TIT for TAT hat eine Voreinstellung zur Kooperation und kooperiert so lange, bis das Gegenüber nicht kooperiert. Ab diesem Punkt kooperiert TIT for TAT so lange nicht mehr, bis das Gegenüber wieder kooperiert.

Kurz: Die erfolgreichste Strategie ist eine flexible, eine gutmütige Strategie, die mit Kooperation beginnt und ansonsten zurückgibt, was ihr entgegengebracht wird. Defektiert das Gegenüber, defektiert auch Tit-for-Tat, kooperiert das Gegenüber, kooperiert auch Tit-for-Tat.

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Die Krönung der Ahnungslosigkeit in Tromballas Bullshit ist erreicht, wenn sie „neue Forschung von Nikoleta Glynatsi“ präsentiert, die gezeigt haben soll, dass man erfolgreich ist, wenn man flexibel auf das Gegenüber reagiert – wie das Tit-for-Tat tut – und wenn man die Vergangenheit der bisherigen Interaktionen berücksichtigt. Nicht nur, dass eine Ahnungslose über ein Thema dilettiert, von dem sie keine Ahnung hat, sie berichtet zudem von Forschung, deren Ergebnis genau das zeigt, was im Computerturnier von Robert Axelrod am Ende stand und von Axelrod selbst und zwar 30 Jahre, bevor die angeblich so neuartige Forschung genau das zeigt, wie folgt zu Papier gebracht wurde:

„Soll sich Kooperation als stabil erweisen, dann muss der Schatten der Zukunft hinreichend groß sein. Das bedeutet, dass das Gewicht der nächsten Begegnung zweier Individuen groß genug sein muss, um Defektion für den Fall zu einer unprofitablen Strategie zu machen, dass der andere Spieler provozierbar ist. … Es muss also ein bestimmtes Maß an Gruppierungen von Individuen geben, die Strategien mit zwei Eigenschaften verwenden: die Strategien werden zuerst kooperieren, und sie werden diskriminieren zwischen denjenigen, die auf Kooperation reagieren und denen, die es nicht tun” (Axelrod, 1995, S.157-158)

Es fehlt noch die eigentliche Krönung.

Nachdem das Gefangenendilemma Anatol Rapoport geraubt und Robert Axelrod überantwortet wurde.
Nachdem Robert Axelrod zu einem einmaligen Mathematik-Freak reduziert wurde.
Nachdem die eigentliche Frage, um die es bei Kooperation geht: Woher das Vertrauen nehmen, um in Vorleistung zu gehen, in der Hoffnung, das Gegenüber halte sich an die Abmachungen, vollkommen ignoriert wird.
Nachdem die Ahnungslosigkeit ihren Gipfel erhält, dass die neuartige Forschung genau das empfiehlt, was am Ende eines Computertourniers steht, das Robert Axelrod in den 1990er Jahren durchgeführt hat, nun finden sich Hirnis die der Ansicht sind, die aktuelle Handlung müsse vor dem Hintergrund der Vergangenheit bewertet werden, Marke: Wenn Dich heute jemand betrügt, der bislang immer ehrlich war, dann sieh‘ darüber hinweg:

„Ein weiterer wichtiger Faktor für erfolgreiche Kooperation ist den Studien zufolge das Gedächtnis. Wie reagierte mein Gegenüber in der Vergangenheit?“
[…]
Ich würde mich sogar zu der These hinreißen lassen, dass ohne Gedächtnis gar keine Kooperation möglich ist“. Ein längeres Gedächtnis erlaubt es, frühere Erfahrungen in aktuelle Entscheidungen einzubinden. So lässt sich nicht nur Vertrauen aufbauen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von Konflikten minimieren. Wer hingegen nur auf kurzfristige Gewinne aus ist, riskiert, langfristige Beziehungen zu schädigen, sei es im Privatleben oder im beruflichen Umfeld.“

Das ich, das hier spricht, heißt Felix Brodbeck und übt sich in Psychologie an der LMU in München. Brodbeck ist offenkundig BAR JEDER KENNTNISSE über ein Problem, das Philosophen seit Jahrhunderten beschäftigt: Das Induktionsproblem. Es besteht darin, dass es keinen logisch gültigen Schluss gibt, der es mit Sicherheit erlaubt, aus den Erfahrungen der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Bertrand Russell hat dies am Beispiel des Truthahns deutlich gemacht, der nach einigem Misstrauen zu dem Schluss gekommen ist, jeden Morgen um dieselbe Zeit gefüttert zu werden, wobei die Futteraufnahme ohne Gefahr möglich ist, weshalb er, immer dann, wenn er gefüttert wird, freudig zur Futterstelle trabt. Bis Thanksgiving Day, dem Tag, an dem er als Braten auf dem Tisch landet. Seine induktiven Schlüsse aus der Vergangenheit auf die Zukunft haben sich als falsch erwiesen und keine Probabilistik der Welt kann das ändern.

Ein Dilemma.
Noch eines. Eines, das auch Brodbeck nicht lösen kann, eines, das Handlungen unter Unsicherheit auszeichnet und Ursache für das Computertournier von Axelrod war, in dem es darum ging, die Strategie zu finden, die Kooperation am förderlichsten ist, die es ermöglicht, mit Kooperation AM BESTEN abzuschneiden, Kooperation zu fördern.

Tit-for-Tat ist diese Strategie.
Sie ist das Beste, was es für Kooperation gibt.
Sie beginnt mit der Voreinstellung: Kooperation.
Sie lernt aus der Reaktion des Gegenüber und reagiert UNMITTELBAR darauf.

Es ist schon erstaunlich, dass es Leute in Medien gibt, die ihre umfassende Ahnungslosigkeit so freimütig zur Schau stellen und die dabei von angeblichen Wissenschaftlern assistiert werden, die ihre eigene Ahnungslosigkeit mit absurden Aussagen wie: „Ich würde mich sogar zu der These hinreißen lassen, dass ohne Gedächtnis gar keine Kooperation möglich ist“ würzen.

Was für ein Dummbabbler.
Wie sollte es möglich sein, mit X zu kooperieren, wenn man a) nicht das Gedächtnis hat, um zu wissen, warum man eigentlich kooperieren soll, wer x ist und was Kooperation noch einmal war.
Manchen Leuten wäre sehr damit gedient, wenn sie ihre dumme Klappe zumindest so lange halten würden, so lange ihr Gehirn benötigt, um einen sinnvollen Gedanken zu fassen. Zugegeben, das mag bei manchen etwas länger dauern, aber es wäre für uns alle ein Gewinn.

Nur noch der Vollständigkeit halber: Das Gefangenendilemma und das Thema, das Axelrod beschäftigt hat, haben beide nichts mit „Kooperation oder Konkurrenz“ zu tun. Aus Sicht des Spieltheoretikers Rapaport ist das Schöne am Gefangenendilemma, dass das Nash-Gleichgewicht eine suboptimale Strategie abbildet. Aus Sicht von Robert Axelrod, einem der Begründer der Rational-Choice Theorie, besteht das Interessante darin, dass man Kooperation als Funktion von Handlungsinteraktionen beschreiben kann, bei der am erfolgreichsten abschneidet, wer mit Goodwill in eine Interaktion geht und ansonsten flexibel genug ist, sich der Reaktion seines Gegenüber anzupassen.

In einem Pool der Kooperationspartner hat man mit Tit-for-Tat eine Strategie, die es erlaubt, die Menge der Kooperationspartner zu differenzieren und diejenigen, die Ddfektieren, auszuschließen, so dass auf Dauer erfolgreiche Kooperationen mit Leuten, die an Kooperation und nicht an Ausnutzung interessiert sind, möglich ist. Dagegen machen sich diejenigen, die auf Mitgefühl setzen und es verzeilich finden, wenn man ausgenutzt wurde, zwangsläufig zum Opfer all derer, die auf einmalige Interaktionen aus sind, um das Gegenüber auszunehmen. Wie man als prädestiniertes Opfer soziale Konflikte vermeiden will und ansonsten nicht als Schöpfeimer kurzfristiger Gewinne für andere dienen soll, ist mir ein Rätsel.

Aber vielleicht weiß ja Herr Brodbeck aus München die Antwort.


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