„Papa, jetzt hör aber auf zu rütteln, ich steh ja schon auf!“, sagte meine zwölfjährige Tochter im Halbschlaf. Es war 13.30 Uhr in Bangkok, und einen kurzen Moment lang fragte ich mich ernsthaft, ob ich am letzten Abend doch mehr Alkohol getrunken hatte als gedacht – was absurd war, da ich so gut wie nie Alkohol trinke. Erst dann begriff ich: Nicht ich hatte an ihrem Bett gerüttelt – sondern ein Erdbeben.
Meine Frau befand sich in diesem Moment im Swimmingpool und fragte sich verwundert, ob das Hotel neuerdings ein Wellenbad installiert hatte. Als die Wellen aber immer heftiger gegen den Beckenrand schlugen, begriff sie schnell den Ernst der Lage und flüchtete klatschnass, mit Badeanzug und Bademantel bekleidet, in die Lobby. Sie hat schon immer große Angst vor Erdbeben gehabt – eine Angst, die ich nur schwer nachvollziehen kann.
Ich blieb denn auch erstaunlich ruhig. Klar, ich spürte Adrenalin, aber keine Panik. Meine innere Stimme sagte mir ganz rational: „Das Gebäude ist modern, es stürzt nicht ein – und falls doch, macht es auch keinen Unterschied, ob du im 25. Stock bist oder unten in der Lobby.“ Eigentlich wollte ich gar nicht runter, aber meine Frau rief mich in ihrer Angst an – und so ging ich aus Rücksicht nach unten. 25 Stockwerke zu Fuss in tropischer Hitze – wobei ich die Tortur besser überstand als meine Tochter.
In der Lobby ordnete das Hotelpersonal die Evakuierung an. Beeindruckend diszipliniert hielten Mitarbeiter neben dem Gebäude Schilder hoch, auf denen Abteilungen wie „Housekeeping“, „Kitchen“ oder „Engineering“ standen. Eine weinte. Sie erzählte mir später, dass sie in Bangkok noch nie solche Erschütterungen erlebt hätte. Ein junger Mann stand etwas verloren da, in Shorts und Badelatschen, und wirkte, als hätte er gerade seinen Verstand an der Poolbar vergessen. Ein Hochhaus der Straße hatte deutlich gelitten durch das Erdbeben – Teile der Fassade waren abgebröckelt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schickte uns das Hotelpersonal in die Lobby, wo es Wasser und Eis verteilte. Ein Ingenieur, der aus Malaysia stammt und in Los Angeles wirkt, wunderte sich über die Aufregung: „Bei uns haben wir so was regelmäßig.“ Ein englisches Paar haderte mit seinem Kauf eines Penthouses in der Nähe: „Wir wissen nicht, ob wir noch ein Zuhause haben, wir sind hierher ins Hotel geflüchtet.“ Ich versuchte so gut es ging, sie zu beruhigen. Doch der Versuch war, fürchte ich, sinnlos. Vielleicht sogar dumm. Denn an ihrer Stelle wäre ich auch nicht ruhig geblieben.
Nach ein paar Momenten in der Lobby neben meiner Frau im feuchten Badeanzug und Bademantel wurde mir schnell klar, dass ich nicht lange da unten bleiben wollte. Ich wollte zurück ins Zimmer – nicht aus Trotz, sondern aus praktischen Gründen. Meine Pässe lagen oben, die wollte ich unbedingt sichern. Und ich sagte mir: Wenn das Hotel einstürzt – was ich für ausgeschlossen hielt – bin ich in der Lobby nicht sicherer als im 25. Stock. Das einzige Problem: Das Personal hatte den Zugang zu den Lifts blockiert.
Der Weg zurück war dann fast filmreif: Über einen noch funktionierenden Lift im Parkhaus gelangte ich durch diverse Türen – die ich sorgsam testete, ob sie sich auch von innen öffnen ließen, um nicht eingesperrt zu werden – in einen Mitarbeiterbereich, und von dort in einen der Serviceaufzüge. Gemeinsam mit einem ebenso verdutzten thailändischen Ingenieur hing ich kurz fest – der Lift akzeptierte die Gäste-Karte des Hotels nicht. So standen wir da, einsam und verlassen, ohne Bewegung, auf Höhe der 15. Etage. Ich sagte mir: „Nur keine Sorge, irgendjemand wird den Lift rufen, dann öffnet er sich!“ Und genau so war es dann auch nach einer Minute, die sich sehr viel länger anfühlte. Der Lift fuhr in den 29. Stock, drei Männer in Technik-Uniform und einer in Hotel-Uniform stiegen zu. Der Hotel-Mann war skeptisch, was ich da in Shorts im Mitarbeiterlift suchte. Doch ich hatte schnell die drei Techniker gebeten, für mich den 25. Stock zu drücken – was sie als höfliche Thailänder auch sofort taten. Als ich schließlich im 25. Stock ankam, begleitete mich ein misstrauischer Hotelangestellte noch, bis er sah, dass ich wirklich einen Zimmerschlüssel hatte und damit die Tür öffnete. Über den Spion in der Tür kontrollierte ich noch, ob er auf mich warten würde. Aber Gott sei Dank tat er das nicht, sondern ging wieder.
Zurück im Zimmer packte ich schnell einen Notfallrucksack mit unseren Pässen. Dann blickte ich auf das beschädigte Gebäude. Von hier oben wirkte die Fassade noch demolierter – sie sah aus wie ein zerplatzter Eierkuchen: breite Risse über mehrere Etagen, abgebröckelter Putz, Trümmerteile auf dem Dach.
Und plötzlich erschreckte mich meine eigene Gelassenheit fast mehr als das Erdbeben selbst. Ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass meine Ruhe durchaus nicht selbstverständlich war. Oder sogar unvernünftig? Wahrscheinlich war ich einfach zu lange in Russland und habe mir in den 16 Jahren dort den dort üblichen Fatalismus zugelegt. Warum ich als gebürtiger Deutscher inzwischen russischer reagiere als meine russische Frau, bleibt mir selbst ein Rätsel. Vielleicht bin ich längst verdorben. Zumindest in Sachen Angst.
Und natürlich weiß ich, was viele deutsche Leser nun denken werden: „Unverantwortlich! Wenn das jeder täte!“ Aber zumindest da muss ich mich in Schutz nehmen: Denn keine Sorge – das tut nicht jeder. Wahrscheinlich nur die Russen und ich. Meine Frau hingegen, obwohl selbst Russin, sitzt bis jetzt in der Lobby, immer noch klatschnass und voller Sorgen. Und meine angeborene Aufmüpfigkeit gegen Regeln, die ich als sinnlos empfinde, hat schließlich auch ihre Vorteile: In der Corona-Zeit wäre ich sonst nicht zum Rebellen geworden.
Und bevor jetzt irgendjemand – nicht wegen des Erdbebens, sondern wegen des Orts, wo es mich ereilte – neidisch wird: Dieser Aufenthalt ist kein Urlaub im klassischen Sinne, sondern eher Arbeiten im Ausland, mit dem Vorzug, dass meine Familie während ich arbeite endlich wieder etwas Schönes erleben kann, nach all den Entbehrungen durch die Corona-Jahre und meiner Arbeitssucht. Und dass auch ich in den Arbeitspausen mal eine andere Umgebung erlebe.
Und um ehrlich zu sein: Manchmal ist das spannendste Abenteuer des Reisens nicht die fremde Stadt – sondern die Begegnung mit sich selbst. Und manchmal hilft dabei sogar ein Erdbeben als Katalysator – auch wenn man das nicht unbedingt ein zweites Mal erleben möchte.
PS: Bei allem Humor und aller Gelassenheit, die ich persönlich erfahren durfte, bin ich mir bewusst, dass viele Menschen bei diesem Erdbeben nicht so viel Glück hatten. Meine Gedanken und mein tief empfundenes Mitgefühl gelten all jenen, die durch diese Katastrophe verletzt wurden, Angehörige verloren haben oder deren Leben dadurch nachhaltig verändert wurde. Gerade in solchen Momenten wird uns schmerzlich bewusst, wie fragil unser Leben und unser vermeintliches Sicherheitsgefühl doch sind. Die leicht ironischen Momente, die in meinem Artikel durchschimmern, sind nicht mehr als ein Selbstschutz-Mechanismus der Seele – weil man sonst vielleicht einfach weinen würde.
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Bild: Boris Reitschuster