• 26. August 2025

GKV am Wendepunkt: Innungskrankenkassen fordern Strukturreformen statt Schuldenpolitik!

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Aug. 26, 2025
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Berlin (ots)

IKKn: Beitragszahler dürfen nicht länger doppelt zahlen / Versicherungsfremde Leistungen endlich vollständig steuerfinanzieren / Krankenkassen brauchen mehr Steuerungsrechte für eine stabile Zukunft

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht an einem historischen Wendepunkt: Für 2025 prognostizieren die Kassen ein Defizit von 46 Milliarden Euro, begleitet von Rekordwerten bei den Zusatzbeiträgen. Der Bundesrechnungshof warnt in seinem aktuellen Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zudem, dass der Zusatzbeitrag bis 2029 auf 4,05 Prozent steigen und die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben jährlich um sechs bis acht Milliarden Euro anwachsen könnte. Vor diesem Hintergrund erodiert zunehmend das Vertrauen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in die Politik. Dennoch setzt die Bundesregierung bislang vor allem auf Überbrückungsdarlehen, die Versicherte und Arbeitgeber am Ende doppelt belasten. Dieses Vorgehen kritisieren die Innungskrankenkassen (IKKn) heute in ihrer Pressekonferenz in Berlin. Sie sehen das als Beleg für die akute Reformbedürftigkeit des Systems und fordern einen grundlegenden Kurswechsel.

Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., macht deutlich, dass die GKV bei steigenden Leistungsausgaben insgesamt zunehmend auch zum Auffangbecken für staatliche Aufgaben wird – mit gravierenden Folgen für das Solidarsystem. Schon im vierten Quartal 2024 verbucht die GKV ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr rechnen die Kassen mit einem Fehlbetrag von 46 Milliarden Euro. 88 von 94 Krankenkassen erhöhen ihre Zusatzbeiträge – ein Rekord, während weitere Anhebungen bereits angekündigt sind. „Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heißt das weniger Netto vom Brutto, für Arbeitgeber – insbesondere im Mittelstand – stärkerer Druck bei den Lohnnebenkosten. „Wenn die Regierung in dieser Situation nun allein auf Darlehen setzt, verdreht sie die Realität: Aus Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern werden künstlich Schuldner gemacht – obwohl sie in Wahrheit den Staatshaushalt subventionieren. Das ist nicht nur finanzpolitisch fragwürdig, sondern Augenwischerei und ein Schlag ins Gesicht all jener, die das Gesundheitswesen finanzieren“, kritisiert Wollseifer.

Eine aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag des IKK e.V. belegt den massiven Stimmungsumschwung. 65 Prozent der Befragten sehen inzwischen die zu hohen Beitragssätze als eines der drängendsten Probleme im Gesundheitswesen – im Vorjahr sagten das noch 46 Prozent. Besonders deutlich zeigt sich auch das Plädoyer für eine strikte Zweckbindung der GKV-Beiträge: 82 Prozent der Versicherten verlangen, dass ihre Gelder ausschließlich für Leistungen an die GKV-Mitglieder verwendet werden. Das ist ein Anstieg um 15 Prozentpunkte binnen eines Jahres. Gleichzeitig sinkt die Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik auf ein erschreckend niedriges Niveau: Nur noch etwas mehr als ein Viertel (28 Prozent) der Menschen sind aktuell zufrieden oder sehr zufrieden, während es 2024 noch 39 Prozent waren. Alarmierend ist die Entwicklung in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen, die die Hauptlast der Finanzierung trägt. Hier äußern Dreiviertel (74 Prozent) deutliche Unzufriedenheit. Diese Mitte der Gesellschaft, lange Garant für Stabilität und Vertrauen, verliert zunehmend das Vertrauen in Politik und Gesundheitswesen.

Angesichts dieser Entwicklungen fordern die Vorstandsvorsitzenden des IKK e.V. drei kurzfristige Maßnahmen, um die Eskalation zu stoppen. Erstens muss die Bundesregierung die Versorgung von Bürgergeld-Beziehenden vollständig und kostendeckend aus Steuermitteln finanzieren, anstatt Jahr für Jahr eine Lücke von rund zehn Milliarden Euro in die GKV-Haushalte zu reißen. „Zweitens müssen gesetzliche Ausgabensteigerungen kritisch überprüft werden, wenn sie keinen nachweisbaren Mehrwert in der Versorgung bringen“, ergänzt Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., und führt aus: „Dazu zählen insbesondere die geplante Entbudgetierung im fachärztlichen Bereich oder die Erhöhung des Apothekenfixums.“ Drittens braucht es jetzt ein verbindliches Ausgabenmoratorium, bis die Ergebnisse der eingesetzten Expertenkommission vorliegen und in politische Reformen übersetzt sind. „Die GKV steht am Wendepunkt. Jetzt braucht es keine Symbolpolitik und keine Verschuldungstaktik, sondern Mut zur ordnungspolitischen Korrektur“, mahnt Wollseifer.

Sein Vorstandskollege Müller appelliert, endlich von der Problembeschreibung zur echten Lösungsorientierung zu wechseln. Der jüngste ARD-Deutschlandtrend zeigt, dass mehr als 40 Prozent der Bevölkerung eine grundlegende Reform der Sozialversicherungen für notwendig halten. Gleichzeitig sprechen 72 Prozent der Befragten der Bundesregierung das Vertrauen ab, die erforderlichen Schritte einzuleiten. „Die Politik gefährdet nicht nur das Prinzip der Solidarität, sondern auch das Vertrauen von Millionen Versicherten und Arbeitgebern in unser Gesundheitssystem, wenn sie weiter auf Zeit spielt“, warnt Müller. Besonders drängend ist dabei die verantwortungsgerechte Finanzierung versicherungsfremder Leistungen. Diese werden aktuell aus Beiträgen gestemmt, obwohl es sich um originär staatliche Aufgaben handelt. Der Bundeszuschuss ist seit 2017 nicht mehr erhöht worden – faktisch eine Kürzung angesichts steigender Kosten. „Der Staat muss seiner Verantwortung nachkommen und darf den Bundeshaushalt nicht dauerhaft aus Beiträgen der Sozialversicherung quersubventionieren“, fordert Müller.

Die IKKn legen daher erneut ein Bündel von Reformvorschlägen vor, das Einnahmen und Ausgaben gleichermaßen adressiert. Auf der Einnahmeseite verlangen sie die Einbeziehung neuer Erwerbs- und Geschäftsmodelle wie die digitale Plattformarbeit in die solidarische Finanzierung. Zudem soll ein Teil der staatlichen Einnahmen aus Genusssteuern – allein 17 Milliarden Euro jährlich aus Tabak- und Alkoholsteuern – zweckgebunden an die GKV zurückfließen. Auf der Ausgabenseite betonen die Innungskrankenkassen die Notwendigkeit, Steuerungs- und Prüfrechte wieder auszubauen – von Krankenhausabrechnungen bis zu Ausschreibungen im Arznei- und Hilfsmittelbereich. Gleichzeitig müssen evidenzbasierte Entscheidungen darüber gefördert werden, welche Leistungen im Katalog bleiben. Um Wartezeiten zu reduzieren und den Zugang zur Versorgung zu verbessern, muss die Primärversorgung gestärkt werden.

Eine praxisnahe Perspektive bringt Uwe Deh, Vorstandsvorsitzender der IKK gesund plus, ein. Aus Sicht der Kassen resultiert die Liquiditätslage nicht aus äußeren Zwängen, sondern ist eine politische Folge. „Uns fehlen die Möglichkeiten, Rücklagen für Belastungsspitzen zu bilden und flexibel auf veränderte Ausgaben zu reagieren. Das führt zu einer Notverwaltung statt zu vorausschauender Planung“, erklärt Deh. Er fordert die Rückgabe von Steuerungsinstrumenten, verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen und neue Handlungsspielräume. „Unser Appell lautet: Lassen Sie die Kassen Verantwortung übernehmen – das ist im Interesse der Versicherten, der Arbeitgeber und der Solidargemeinschaft insgesamt. Ran an die Ursachen statt Symptomkosmetik. Die Zeit des Abwartens und Taktierens ist vorbei. Wenn die Akteure im Gesundheitswesen, ausgehend von der Bundespolitik jetzt nicht handeln, steht das Ergebnis bereits feststeigende Beiträge, schlechtere Versorgung, negative Konjunkturimpulse und wachsende Unzufriedenheit.“

Am Ende der Pressekonferenz richten die IKKn einen klaren Appell an die Politik: Die notwendigen Strukturreformen müssen sofort beginnen – nicht erst in ferner Zukunft. Versicherungsfremde Aufgaben müssen vollständig steuerfinanziert werden. Beitragszahler brauchen endlich Entlastung, statt sie durch Darlehen zusätzlich zu verschulden. Den Krankenkassen müssen die Steuerungsrechte zurückgegeben werden, damit sie im Sinne der Versicherten effizient arbeiten und die Versorgung sichern können. „Es geht um weit mehr als um Zahlen und Bilanzen“, resümiert IKK e.V.-Vorstandsvorsitzender Hans Peter Wollseifer. „Es geht um den sozialen Zusammenhalt, um die Stabilität unserer Solidarsysteme und letztlich um das Vertrauen der Menschen in Politik und Demokratie. Wer dieses Vertrauen weiterhin verspielt, riskiert sozialen Frieden und gesellschaftliche Stabilität.“ Sein Kollege Hans-Jürgen Müller ergänzt: „Unsere Botschaft ist eindeutig: Schluss mit Verschiebungstaktik – jetzt braucht es Verantwortung, Reformen und Verlässlichkeit.“

Hinweis für Redaktionen:

Die vollständige Pressemappe zur Pressekonferenz sowie die Positionspapiere der Innungskrankenkassen zu Einnahmen und Ausgabensteuerung finden Sie unter: www.ikkev.de/pressekonferenz-2025

Über den IKK e.V.:

Der IKK e.V. ist die Gemeinsame Vertretung der Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die Interessen seiner Mitglieder und deren Versicherten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten. Die Innungskrankenkassen stehen für 5,1 Mio. Versicherte.

Pressekontakt:

Pressesprecherin
Iris Kampf
Tel.: 030 202491-32
Fax: 030 202491-50
E-Mail: [email protected]

Original-Content von: IKK e.V., übermittelt durch news aktuell

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