Heute jährt sich der 20. Juli und das Attentat auf Hitler zum 81. Mal. Dieses Datum sollte man der Regierung und den Vertretern der Vorgängerregierungen jedes Jahr wie einen feuchten Lappen um die Ohren schlagen. Ebenso den regierungsnahen Medien und ihren Vertretern von Georg Restle bis Louis Klamroth, die aus der Geschichte nichts gelernt haben und wieder auf der Seite der Herrschenden stehen.
Klamroths Dilemma ist das noch viel größere, denn er trägt den großen Namen zweier Widerstandskämpfer, die wegen des versuchten Attentats auf Hitler ermordet und in Plötzensee am Fleischerhaken aufgehängt wurden. Heute steht der Moderator von „Hart aber fair“ für gleich ein ganzes Bündel an Diffamierungs- und Verfolgungskampagnen gegen Regierungskritiker.
Klamroths Sendung (schon unter Vorgänger Plasberg) ist einer der Haupteinpeitscher einer antidemokratischen Entwicklung geworden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jegliche Opposition gegen die Herrschenden zu diskreditieren und ihre Vertreter unisono zu „Nazis“ zu erklären.
Wie sehr muss man sich von der Möglichkeit jeder kritischen Reflexion entfernt und abgeschnitten haben, wenn man nicht mehr in der Lage ist, etwa ein System von Meldestellen als Nachfolger jener Blogwartsytem-Einrichtungen zu erkennen, die nach 1933 die düsterste Zeit der deutschen Geschichte mit eingeleitet und ermöglicht hatten?
Nein, auch für die vielen Restles und Klamroths kann Unwissenheit nicht als Entschuldigung herhalten. Hier haben ausgerechnet jene Kontrollmechanismen versagt, die diese Leute daran erinnern sollten, was ihre eigentliche Aufgabe als Vertreter der vierten Gewalt ist.
Stattdessen ging der totalitäre Geist der etablierten Politik und ihrer Medien so weit, dass nicht viel fehlte, und man hätte unter dem Corona-Regime Ungeimpfte auch an der Jacke als Aussätzige markiert und sie als angebliche Volksschädlinge in Lagern verrotten lassen.
Ohne jedes Pathos und aus voller Überzeugung formuliert: Es waren die Reitschusters, die Ballwegs und Homburgs, die das Schlimmste verhindert haben. Sie zählen zu den neuen Gerechten der Gegenwart.
Warum? Weil niemand kann sagen, was tatsächlich passiert wäre, wenn diese Männer und Frauen nicht interveniert, viel riskiert und für ihre Überzeugung sogar ins Gefängnis gegangen wären, wie Ballweg. Jeder muss es sich fragen: Wozu wäre das Corona-Regime unbehelligt in der Lage gewesen?
So wie übrigens niemand hätte sagen können, was passiert wäre, wenn das sich heute jährende Attentat auf Hitler ein paar Jahre früher und erfolgreich durchgeführt worden wäre. Hier soll lediglich verglichen und nicht gleichgesetzt werden. Kern dieser Überlegung ist, dass wir das Grauen nur dort in voller Blüte erleben müssen, wo niemand da ist, der Einspruch erhebt.
Zur Wahrheit gehört dazu: Die Männer des 20. Juli waren vielfach Günstlinge des Systems. Sie brauchten tatsächlich Jahre, um sich endlich gegen ihren Führer zu wenden.
Niemand kann es ihnen vorhalten. Der Mut ist keine selbstverständliche Eigenschaft; er ist der Spiegel eines reinen Gewissens, gepaart mit Selbstlosigkeit und der Energie des zu allem bereiten Attentäters.
1944 war die Vernichtungsmaschine in den Konzentrationslagern schon in vollem Gange, und Millionen Menschen waren industriell ermordet worden. Aber die Männer um Stauffenberg haben immerhin in einer späten Einkehr alles getan, diesen Wahnsinn zu beenden, und dafür mit dem Leben gebüßt, erschossen oder zappelnd bis zum Tod am Fleischerhaken in Plötzensee.
Aber es ist noch Zeit! Niemand soll eine Bombe bauen, das wäre Wahnsinn! Nein, 2025 ist nicht 1944.
Aber wahr ist auch: Wenn sich 1930 genügend Aufrechte gefunden hätten, dann wäre ein solcher Akt des finalen Aufbegehrens, wie ihn Stauffenberg versuchte, gar nicht notwendig gewesen. Und heute sind die demokratischen Institutionen und Instrumente immer noch stärker, als sie es 1930 waren. Man muss nur immer wieder und gegen alle Widerstände konsequent darauf bestehen.
Erst wenn die Unterdrückung der Opposition real in ihre physische Vernichtung übergeht, sind die Stauffenbergs des 21. Jahrhunderts gefragt. Aber bei allen Übergriffen und Verfolgungen kann von einer solchen Vernichtung nicht die Rede sein.
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Mein Großonkel wurde in Plötzensee am Schweinehaken aufgehängt. Mein Onkel war sein Sohn. Der Mann der Schwester meiner Mutter erzählte oft vom Krieg, von der Zeit des Nationalsozialismus, von der Hinrichtung seines Vaters.
Seine Erzählungen begannen mit der Zeit in einer Napola, einer dieser Nationalpolitischen Lehranstalten, in denen Hitlers zukünftige Eliten gedrillt wurden. Mein Onkel spielte Querflöte, er war dort am denkbar falschen Ort, aber sein Vater wollte es so.
Der Onkel erzählte vom Barfußlauf vor dem Morgengrauen über kilometerlange Kieswege. Von andauerndem Befehlsgeschrei, vom Soldat sein schon mit neunzehn und vom nächtlichen Aufmarsch der Kompanie auf dem Kasernenhof, als der junge Fahnenjunker vortreten musste, geohrfeigt wurde und ihm der Kommandeur vor den versammelten Kameraden die Rangabzeichen von den Schulterklappen riss, der Verstoßene seine Sachen packen und zu Schwerkriminellen und gewöhnlichen Verbrechern in ein Strafbataillon gesteckt wurde: Sippenhaft.
Aber das grausige Schicksal hatte ihm noch mehr zu bieten, als der schwer Traumatisierte nach Kriegsende noch ein Jahr lang wegen eines Missverständnisses als Saboteur beim Russen in Einzelhaft sitzen musste.
Der Onkel hatte zu Weihnachten und an Familienfesten oft die übelsten Launen. Dann übernahm seine sonst mühsam in Schach gehaltene Schwermut das Regiment. Wir Kinder fürchteten seine plötzlichen Gefühlsausbrüche, die wie aus heiterem Himmel kommend alles verdüstern konnten, nach denen er aber immer recht bald auf seinem Stuhl zusammensackte wie ein Häufchen Elend.
Eine Naturgewalt, die vorbeizog. Jedenfalls reagierten die Erwachsenen gelassener, man hatte sich wohl über die Jahre gewöhnt, und so etwas wie die Diagnose etwa eines posttraumatischen Stresssyndroms war damals noch unbekannt. Es war halt was hängen geblieben vom Krieg. Und es war kein Einzelschicksal, dachten die anderen, den einen erwischt es eben mehr als den anderen.
Der Onkel war Gesprächspartner für seine Neffen. Beim Pilzesuchen im Wald, beim Spaziergang in der Stadt – sicher drängelten wir auch oft, zu erzählen, dann redete er halt.
Immer am Vorabend oder am Abend des 20 .Juli werden Dokumentationen im Fernsehen gezeigt: Der brüllende Nazi-Richter Freisler und der knappe Moment, wenn dann auch kurz mein Großonkel auf der Mattscheibe erschien. Dann sehen wir einen dünnen verängstigten Mann, der seine Hosen mit beiden Händen festhalten muss, weil man ihm den Gürtel und die Hosenträger abgenommen hatte, wohl damit er sich nicht vorzeitig der Todesstrafe durch Selbstmord entziehen kann – ein Toter zappelt nicht am Schweinehaken.
Und dieses Zappeln wurde gefilmt, wie mein Onkel später erfuhr, als man ihn im engen Kreise zu so einer Vorführung des Materials eingeladen hatte, ihm aber die Kraft fehlte, sich dieses ultimative Grauen anzuschauen.
Der Großonkel also vor Freisler in Schwarzweiß-Aufnahme. Ein ganz ängstliches, ein schmales Gesicht mit dünner Rundglasbrille ist mir in Erinnerung. Aber noch viel mehr berührte mich als Kind dieses kurze letzte Aufbäumen von Haltung, als Freisler wieder irgendeine Frage brüllte und der Großonkel den gesenkten Kopf noch einmal mit aller verbleibenden Kraft hochriss, um Antwort zu geben, die dann nur wieder niedergebrüllt wurde.
Tragisch die Hintergrundgeschichte des Onkels dazu: Sein Vater schützte nur den Schwager, der wohl aktiv beteiligt war an den Attentatsplanungen, dessen Vorbereitungen er nur zufällig mitbekommen hatte. Sein Heldentum bestand also schlicht darin, keine Meldung zu machen, kein Verräter am Schwager und keiner der Attentäter zu sein.
Nein, diese Männer des 20. Juli 1944 waren keine Sophie Scholl und kein Johann Georg Elser. Sie waren anfangs sogar oftmals Profiteure oder Mitgestalter des mörderischen Regimes. Sie mögen jeder für sich, als die deutsche Wehrmacht noch siegreich war, die konfiszierten Champagnerflaschen im halben Dutzend geleert haben bis auf den Grund. Über ihre Motive wurde in der Nachkriegszeit viel spekuliert. Einig sind sich wohl die meisten Historiker heute: An erste Stelle stand ihnen nicht das Ende der Massenvernichtung der Juden in den Lagern außerhalb des Reiches. Und dass sie davon mehr gewusst haben müssen, als der einfache Bürger ohnehin wusste oder ahnte, steht außer Frage.
Klar ist jedenfalls, die Widerständler gegen Hitler haben ihren gescheiterten Attentatsversuch mit dem Leben bezahlt und sind durchaus Teil eines Mythos der Staatsgründung eines besseren Deutschlands geworden. Mein Onkel wusste nichts vom Attentatsplan, von denen sein Vater hörte und die von seinem Onkel mit geplant wurden. Aber er blieb diesen Ereignissen über tiefe Verletzungen und einen anhaltenden Seelenschmerz bis ins hohe Alter unfreiwillig verbunden.
Mein Onkel war schwerer getroffen. Seine inneren Verletzungen waren sichtbarer. Er wurde weit über 80 Jahre alt. Sophie Scholl starb mit 21 Jahren, Georg Elser wurde 42, Stauffenberg 37 und mein Großonkel 45 Jahre alt. Allen gemeinsam ist: Sie waren Deutsche. Jeder auf seine Art. Und alle gemeinsam in ihrer Zeit.
Aber was bedeutet das nun alles für die Deutschen im 21. Jahrhundert? Heute rufen welche „Widerstand!“. Zu früh? Jedenfalls rückt er stetig näher im gleichen Maße, wie die Demokratie von den regierungsnahen Propagandisten Restle und Klamroth regelmäßig niederkartätscht wird.
„Es lebe das heilige Deutschland!“
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Author:
Alexander Wallasch