Es beginnt, wie so oft, mit einem Versprechen. Der Staat, heißt es, wolle nicht massenhaft spionieren, nicht in unser Privatleben eindringen – nur in ganz bestimmten Fällen. Nur bei Terror. Nur bei „konkreter Gefährdung“. Und auch nur dann, wenn ein richterliches Gremium zustimmt. Was kann da schon schiefgehen?
Die Antwort: alles.
Denn was Österreichs Regierung jetzt im Ministerrat beschlossen hat, ist ein gefährlicher Dammbruch. Die Dreierkoalition aus offiziell bürgerlicher ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den formell liberalen NEOS will es künftig erlauben, in verschlüsselte Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Telegram einzudringen – mit einer Software, die nichts anderes ist als ein gut getarnter Staatstrojaner.
Er soll angeblich nur in maximal 30 Fällen pro Jahr eingesetzt werden, streng überwacht, streng begrenzt. Doch schon die Geschichte lehrt: Sobald der Zugriff einmal erlaubt ist, wird über das „Wann“ und „Warum“ später flexibel verhandelt. Was heute als Notfallinstrument verkauft wird, ist morgen schon Alltagstechnik.
Offiziell ist die Rede von schweren Straftaten, von Terrorismus, Spionage, gewalttätigem Extremismus. Doch wer definiert das? Und wie „konkret“ muss eine Gefährdung sein, damit ein Trojaner aktiviert wird? Die Gesetzgebung bleibt vage – gerade dort, wo sie glasklar sein müsste. Selbst der Begriff „konkret“ wird nicht näher gefasst. Ein politisches Minenfeld, getarnt als Sicherheitsmaßnahme.
Innenminister Gerhard Karner von der ÖVP spricht von einem „Meilenstein der Inneren Sicherheit“. Die NEOS verteidigen den Beschluss mit Verweis auf die angeblich besonders strenge Kontrolle. Die SPÖ hat Fragen – stimmt aber trotzdem zu. Nur die Grünen warnen. Von außen.
Man muss diesen Schritt nicht skandalisieren, um seine Tragweite zu erfassen. Es reicht, sich bewusst zu machen, wie stark er den Grundsatz der digitalen Vertraulichkeit aushöhlt. Ein Trojaner bedeutet: Der Staat darf heimlich in Geräte eindringen. Selbst das beste Verschlüsselungsprotokoll wird so wirkungslos – weil der Angriff direkt beim Nutzer ansetzt. Kein Einbruch in den Safe – sondern ein Schlüssel in der Hand.
Im politischen Wien wird betont, dass alle demokratischen Kontrollmechanismen eingehalten werden. Und vielleicht stimmt das sogar – im Moment. Aber wer garantiert, dass es dabei bleibt? Wer garantiert, dass die 30 Einsätze nicht bald 50 sind, und dass „konkrete Gefährdung“ nicht irgendwann auch auf politische Unbequemlichkeit ausgeweitet wird?
Was Österreich hier einführt, ist kein Einzelfall. Es ist ein weiteres Glied in einer Kette, die längst in Bewegung ist. Deutschland hat vergleichbare – teils sogar weitergehende – Regelungen längst in Kraft: Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung, Staatstrojaner im Einsatz, oft weit über Terrorverdacht hinaus. Und in Wien verweist man nun auf diese Nachbarn, um den eigenen Kurs zu rechtfertigen. Das ist das eigentlich Beunruhigende: Nicht der eine Trojaner. Sondern der stille Rückgriff auf das „Machbare“ – bis Freiheit sich selbst aushebelt.
Es beginnt mit dem Verweis auf bestehende Praxis. Und endet vielleicht mit dem letzten freien Chat.
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