• 1. April 2025

Wer hätte das gedacht?!: Alkoholisierte Augenzeugen sind für die Identifizierung von Tatverdächtigen kaum zu gebrauchen [Neue Studie]

Vor dem Hintergrund, dass viele Augenzeugen, die an Orten, an denen Straf- oder Gewalttaten begangen werden, anwesend sind, unter Alkoholeinfluss stehen, wollte eine Forschergruppe unter der Leitung von Dr. Alistair Harvey, Gastforschern an der Universität in Portsmouth im Süden des Vereinigten Königreiches, untersuchen, ob Alkohol die Fähigkeit von Augenzeugen beeinträchtigt, sich an Gesichtszüge von Verdächtigen zu erinnern, vor allem an Details wie ihre Augen, Nase und Mund.

Vielleicht war ihnen eine direkte Untersuchung dieser Frage praktisch nicht möglich, vielleicht haben sie eine direkte Untersuchung dieser Frage auch von vornherein als nicht möglich oder zu aufwändig eingeschätzt. Jedenfalls haben sie eine Studie durchgeführt, in der diese Frage nicht direkt untersucht wurde. Vielmehr haben sie – unabhängig von tatsächlichen Augenzeugen tatsächlicher Straf- oder Gewalttaten –untersucht, wie sich Alkoholkonsum auf die Gedächtnisleistung mit Bezug auf Gesichter auswirkt.

Drunken Waterfall

Im Rahmen eines diesbezüglichen Experimentes wurden achtunddreißig Teilnehmer – mit normalem Sehvermögen oder (z.B. durch Kontaktlinsen) korrigiertem Sehvermögen – in zwei Gruppen eingeteilt, eine, in der die Teilnehmer alkoholische Getränke konsumierten, und eine, in der die Teilnehmer alkoholfreie Getränke konsumierten. (Da soll einer sagen, an Forschungsprojekten teilzunehmen, könne nicht auch Spaß machen!) Die so „präparierten“ Teilnehmer bekamen anschließend ein oder zwei ihnen unbekannte weibliche Gesichter (in einem Video) gezeigt, die sie am folgenden Tag – in nüchternem Zustand – beschreiben sollten.

Die abgebildeten Frauen trugen teilweise ihre langen Haare offen, teilweise zurückgebunden, weil die Forscher die Vermutung hatten, dass Alkoholkonsum die Aufmerksamkeit auf externe Elemente, hier: die Frisur, lenkten bzw. reduzierten, so dass am Vortag alkoholisierte Studienteilnehmer Augen, Mund und Nase der Frauen, deren Gesichter sie gesehen hatten, weniger gut würden erinnern können sollten als deren Frisur und weniger gut als nicht Studienteilnehmer, die am Vortag nicht alkoholisiert waren.

Die Studie ergab wenig überraschend, dass die am Vortag alkoholisierten Teilnehmer größere Schwierigkeiten hatten, sich an Augen, Mund und Nase der Frauen, die sie gesehen hatten, zu erinnern als die Teilnehmer, die am Vortag alkoholfreie Getränke konsumiert hatten. Aber die alkoholisierten Teilnehmer konnten sich noch an die Frisuren der gesehenen Frauen erinnern, wobei es keine Rolle spielte, ob sie Frauen mit offenen oder zurückgebundenen Haaren gesehen hatten.

Der Forschungsleiter Dr. Alistair Harvey ist der Meinung, dass diese Ergebnisse wichtige Implikationen für die Strafverfolgung haben insofern viele Straftaten in Bars und Nachtclubs verübt werden, in denen die Besucher – Täter und Opfer, aber eben auch Augenzeugen, – häufig alkoholisiert sind. Die Polizei sollte die Ergebnisse dieser Studie bei Zeugenvernehmungen und der Zusammenstellung von Täterbeschreibungen in Rechnung stellen.

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Die Frage ist: wie genau können sie das tun?

Dr. Sarah Bayless, Mitglied der Forschergruppe, meint, dass die Studie die Bedeutung des Einholens mehrerer Augenzeugenberichte – etwa von einer Reihe alkoholisierter Zeugen?! – und der Nutzung von Videoüberwachung unterstreicht. Aber wenn brauchbares Videoüberwachungsmaterial vorhanden ist, was genau sollten nüchterne oder alkoholisierte Augenzeugen dann noch zur Sache beitragen?! Wenn kein brauchbares Videomaterial vorhanden ist und die Zuverlässigkeit von Personenbeschreibungen durch alkoholisierte Augenzeugen – wie die Studie belegt – in Frage stehen, was kann die Polizei dann mit den Studienergebnissen anfangen?

Immerhin: Die Forscher treten dafür ein, nunmehr zu untersuchen, wie sich verschiedene Interviewtechniken auf die Erinnerungsleistung alkoholisierter Augenzeugen auswirken. Unausgesprochene Voraussetzung dabei ist, dass man durch die Art der Vernehmung von Augenzeugen Einfluss auf die Erinnerungsleistung nehmen kann – und zwar in eine bestimmte Richtung, nämlich die einer besseren Erinnerungsleistung. Bislang hat die empirische Sozialforschung gezeigt, dass eine ganze Reihe von verzerrenden Faktoren in Befragungen vorkommen und ihre Wirkung tun können; Befunde dazu, wie man durch (bestimmte) Befragungstechniken dazu beitragen kann, das Antwortverhalten von Befragten sozusagen näher an ihren „wahren Wert“ zu bringen, sind jedoch nicht vorhanden, wenn sich dieser (positive) Versuch nicht einfach im (negativen) Versuch des Abbaus von Verzerrungseffekten erschöpfen soll.

Insofern stelle ich mir den Versuch, Erinnerungsleistungen von alkoholisierten Augenzeugen durch bestimmte Interviewtechniken verbessern zu wollen, die dann noch dazu von der Polizei, also dahingehend ungeschultem Personl anzuwenden wären, ziemlich schwierig vor.

Was bis auf Weiteres bleibt von der vorliegenden Studie nur die wenig überraschende Erkenntnis, dass Alkoholkonsum die Aufmerksamkeit der Alkoholisierten auf vergleichsweise auffällige äußere Merkmale verengt, so dass Gesichtszüge, Augen, Nase und Mund weniger gut erinnert werden. Möglicherweise ist es aber gar nicht oder nicht nur eine verringerte Erinnerungsleistung, die hier entscheidend ist, sondern eine beeinträchtigte Wahrnehmung. So weist Dr. Harvey in Interview darauf hin, dass es das Phänomen der Alkohol-Kurzsichtigkeit gebe, so dass Alkoholisierte je nach Abstand vom Geschehen, das sie beschreiben sollen, die am Geschehen Beteiligten oder bestimmte am Geschehen Beteiligten nicht klar sehen. In diesem Fall könnten sie auch dann, wenn sie sich an das, was sie gesehen haben, oder das, was sie meinen gesehen zu haben, mehr oder weniger korrekt erinnern, irreführende Personenbeschreibungen oder Beschreibungen von Tathergängen liefern. Einen Versuch, Wahrnehmungsleistung und Erinnerungsleistung voneinander zu unterscheiden, unternehmen die Autoren in dieser Studie jedoch nicht. Und durch die Entwicklung bestimmter Interviewtechniken wäre das Problem beeinträchtigter Wahrnehmung auf Seiten von alkoholisierten Zeugen jedenfalls nicht zu lösen; in der Praxis der Täterermittlung vernimmt man Zeugen ja, weil man den Täter nicht kennt, also den „wahren Wert“ nicht kennt, anhand dessen man feststellen könnte, wie weit die Wahrnehmung – oder die Erinnerungsleistung – eines Zeugen abweicht.

Wer die Veröffentlichung der Forscher zu dieser Studie nachlesen möchte, der kann das hier tun:

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Author: Dr. habil. Heike Diefenbach
Michael Klein

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