Berlin (ots)
Der Lebensmittelverband Deutschland äußert deutliche Kritik am Stakeholderprozess am Max Rubner-Institut (MRI) zur Erarbeitung wissenschaftsbasierter Reduktionsziele für Zucker, Fette und Salz in Lebensmitteln und ruft die Politik zu einer stärkeren Einbindung der Wirtschaft in derartige Entscheidungsprozesse auf. Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff betont: „Unser technologisches und wissenschaftliches Fachwissen war nur bis zu einem bestimmten Punkt in diesem Prozess willkommen. Unsere Meinung in Bezug auf die Einordung in gesundheitspolitische Fragestellungen sollte keine Berücksichtigung finden. Da unsere Branche in entscheidenden Phasen ausgeschlossen wurde, spiegeln die formulierten Maßnahmen keineswegs einen Konsens wider.“
Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die fehlende Transparenz innerhalb des Prozesses sowie die einseitige Ausrichtung der Ergebnisse. „Ein Prozess, der das Ziel formuliert, die Grundlagen der Marktwirtschaft und die unternehmerische Freiheit zu unterminieren, kann nicht unsere Zustimmung finden. Nicht der Staat füllt die Kühlschränke, sondern die Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette vom Landwirt, über das Handwerk zu Industrie und Handel! Die vorgeschlagenen Maßnahmen gefährden nicht nur die wirtschaftliche Stabilität vieler Unternehmen, sondern auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Fokussierung auf steuerliche Eingriffe und strikte Vorgaben ignoriert die technologischen und marktwirtschaftlichen Realitäten, besonders für kleine und mittelständische Unternehmen“, erklärt Minhoff. „Wir appellieren an die Politik, im engen Dialog mit allen relevanten Akteuren evidenzbasierte, wirtschaftlich tragfähige und gesellschaftlich akzeptierte Lösungen zu entwickeln und nicht scheinbar partizipative Prozesse zu starten, deren Ergebnisse vorher schon festgelegt sind“, fordert Minhoff.
Seine umfassende Position hat der Lebensmittelverband in einer Stellungnahme gegenüber dem Max Rubner-Institut (MRI) dargelegt. Die wichtigsten Punkte daraus in Kürze:
1. Eigenverantwortung statt übermäßiger Regulierung
Eine einseitige Fokussierung auf Zucker, Fett und/oder Salz greift zu kurz. Statt regulatorischer Eingriffe plädiert die Lebensmittelwirtschaft für Aufklärung und freiwillige Ansätze. So hat die Branche mit der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten (NRI) bereits seit 2018 gezeigt, dass sie ihre Verantwortung wahrnimmt.
2. Fehlende Einbindung – Transparenz und Dialog dringend notwendig
Die Lebensmittelwirtschaft wurde in den entscheidenden Phasen des Stakeholderprozesses ausgeschlossen. Dies betrifft etwa die im Ergebnispapier enthaltenen Public Health-Maßnahmen, die ohne Mitwirkung oder Konsens mit der Branche formuliert wurden. So wurden z. B. Orientierungswerte für Zucker in Frühstückscerealien oder gesüßten Milchprodukten und pflanzlichen Alternativprodukten (<12,5 g/100 g) vorgeschlagen, ohne klare methodische Grundlagen oder Rücksprachen mit den Herstellern. Die Toolbox zur Zuckerreduktion (Strategiefeld „Zucker“) schlägt u. a. Werbebeschränkungen und steuerliche Maßnahmen vor – ohne wissenschaftliche Evidenzbewertung und ohne Berücksichtigung der praktischen Konsequenzen für die Wirtschaft. Ein solches Vorgehen gefährdet die Marktfähigkeit der Produkte vieler Unternehmen und schafft keine langfristig tragfähigen Lösungen. Künftige Prozesse müssen die Expertise der Branche von Beginn an einbinden. Nur so können realistische, wirtschaftlich vertretbare und von Verbraucherinnen und Verbrauchern akzeptierte Ziele entwickelt werden.
3. Wissenschaftliche Fundierung als Grundlage jeder Entscheidung
Ernährungspoltische Maßnahmen müssen evidenzbasiert sein. Aktuell fehlen jedoch belastbare Daten für viele der im Strategiefeld „Zucker“ empfohlenen Public-Health-Maßnahmen. Zum Beispiel gibt es keine ausreichende Evidenz dafür, dass strenge Höchstmengen für Süßstoffe den Süßgeschmack dauerhaft reduzieren oder die Präferenz für weniger süße Produkte stärken. Ohne solide Daten sind solche Empfehlungen willkürlich. Perspektivisch wird für mehrere Produktgruppen empfohlen, Reduktionsziele bzw. Orientierungswerte auf der Basis von Perzentilen abzuleiten, ohne dass weitere Details der hierfür zu verwendenden Datengrundlage (z. B. Basis- und Zieljahr, Einteilung in Produktuntergruppen, Kriterien für den Schutz traditioneller und stark nachgefragter Rezepturen) im Rahmen des Stakeholderprozesses definiert werden konnten. Eine allgemeine Empfehlung zur Ableitung von Reduktionszielen anhand einer nicht abgestimmten, teils noch nicht einmal verfügbaren Datenbasis kann aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft nicht unterstützt und ebenso wenig adäquat beurteilt werden.
4. Wirtschaftliche Realitäten und Verbraucherakzeptanz berücksichtigen
Unternehmen stehen vor erheblichen Herausforderungen bei der Reformulierung ihrer Produkte. So ist die gleichzeitige Reduktion von Zucker, Fett und/oder Salz bei vielen Lebensmitteln technologisch schwierig und führt in der Regel zu einem veränderten Geschmackserlebnis. Produkte, die anders schmecken, können an Akzeptanz verlieren und damit Absatzverluste riskieren. Im worst case können in der Folge Importprodukte, die nicht den Reduktionsvorgaben unterliegen, traditionelle Produkte verdrängen. Dann hätte die Regierung doppelt verloren: Die angestrebte Gesundheitsverbesserung würde nicht erzielt aber dennoch würden Arbeitsplätze gefährdet.
5. Praxisnahe Lösungen statt überregulierter Eingriffe
Mit den Prozess- und Zielvereinbarungen der NRI hat die Branche gezeigt, dass freiwillige Ansätze funktionieren. Statt auf Zwang und Strafen zu setzen, sollte die Politik auf erfolgreiche Kooperationen aufbauen und dabei die besonderen Herausforderungen für kleine und mittelständische Unternehmen im Blick behalten.
6. Klare methodische Grundlagen und transparente Prozesse gefordert
Zu recht stellt das Ergebnispapier fest: „Es gibt aktuell keinen „Goldstandard“ zur Ableitung von Reduktionszielen.“ Die Erwartungshaltung der Politik im Rahmen von ein paar Monaten eine fundierte Methodik zu entwickeln war daher von Beginn an hoch ambitioniert und vom zeitlichen Horizont vor allem durch das Denken in Legislaturperioden begründet. Um zu tragfähigen Lösungen zu kommen, die wissenschaftlich fundiert und in der Praxis auch umsetzbar sind, wird ein realistischer Zeitrahmen benötigt. Eine aktuelle Datenbasis auf Produktebene, aber auch im Hinblick auf die Ergebnisse des Nationalen Ernährungs- und Gesundheitsmonitorings sind dabei wesentliche und notwendige Voraussetzungen. Gleiches gilt für Transparenz der Politik zum weiteren Vorgehen nach Abschluss des Prozesses.
7. Appell für echten Dialog und Planungssicherheit
Der Lebensmittelverband ist bereit für einen konstruktiven Dialog, fordert jedoch Planungssicherheit durch transparente und faire Prozesse. Die Politik sollte nicht auf halbfertige Ergebnisse drängen, sondern in einem ergebnisoffenen Prozess allen betroffenen und an der späteren Umsetzung beteiligten Akteuren in angemessener Weise Gehör schenken.
Lebensmittelverband Deutschland e. V.
Der Lebensmittelverband Deutschland e. V. ist der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Ihm gehören Verbände und Unternehmen der gesamten Lebensmittelkette „von Acker bis Teller“, also aus Landwirtschaft, Handwerk, Industrie, Handel und Gastronomie an. Daneben gehören zu seinen Mitgliedern auch private Untersuchungslaboratorien, Anwaltskanzleien und Einzelpersonen.
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